Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. WIRTSCHAFTS-, HANDELS- UND WÄHRUNGSPOLITIK
1. Bilaterale Verhandlungen
1.1. Der Handelsvertrag mit Frankreich
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 3, Dok. 126
volume linkBern 1986
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2200.41-02#1000/1671#944* |
Alte Signatur | CH-BAR E 2200.41-02(-)1000/1671 348 |
Dossiertitel | Handel (01.01.1878–01.01.1881) |
Aktenzeichen Archiv | 2/78 |
dodis.ch/42105 Der Vorsteher des Eisenbahn- und Handelsdepartements, J. Heer, an den schweizerischen Gesandten in Paris, J. K. Kern1
Ich bin Ihnen für Ihren sehr einlässlichen u. interessanten Bericht vom 31. Jan.2 zu grossem Danke verpflichtet, obgleich derselbe mit einem Ergebnisse abschliesst, das meinen Wünschen durchaus nicht entspricht. Man vertröstet uns auf die Zukunft – und zwar auf eine ganz unbestimmte Zukunft, u. unterdessen brennt uns die Frage des Zolltarifs auf den Nägeln. Die Verweisung auf Geldcontingente u. Tabaksteuer ist ein ganz schlechter Trost: denn von jenen will–wenigstens in bedeutenderm Umfang – Niemand etwas wissen, u. die Anregungen, sich wesentlich auf dem Tabak zu erholen, sind bis jezt, insbesondere im Nationalrath, noch immer mit ganz entschiedener Ungunst aufgenommen worden. Dagegen scheint ziemlich allgemein eine gute Disposition vorhanden zu sein, uns durch mässige Erhöhung unserer Eingangszölle diejenigen Finanzquellen aufzuschliessen, deren wir bedürfen. Es wird sich zeigen, wie im Juny der Nationalrath sich zu dieser Frage stellt, u. je nachdem werden wir weiter sehen; unterdessen wird sich dann wohl endlich auch das Schikksal des französisch-italienischen Handelsvertrags entschieden haben. Wenn Frankreich z. Z. absolut nicht in Verhandlungen eintreten will, so können wir natürlich daran nichts ändern, u. ich will ja auch gerne zugeben, dass der Moment kein glükklich gewählter wäre – aus den Gründen, die man Ihnen angeführt hat u. die Sie selbst namhaft machen. Eine Prolongation des bestehenden Vertrages bis zum 31 Xbr. 1. J.3 hat auch keinerlei Bedenken, weil vorher unser neuer Zolltarif – falls er zu Stande kommt – jedenfalls nicht in Kraft gesetzt werden könnte. Dagegen wird man allerdings rechtzeitig sich die Frage vorlegen müssen, wie man sich denn einrichten soll, wenn bis zu dem genannten Zeitpunkt ein neuer Vertrag nicht zu Stande kommen sollte u. doch unser Tarif in neuer Gestalt zu Kräften gelangen würde? Einfach den alten Vertrag zu kündigen u. völlig ohne Vertrag mit Frankreich zu bleiben, hielte ich ebenfalls durchaus nicht für rathsam, u. in so weit theile ich die von Ihnen ausgesprochenen allgemeinen Auffassungen über die Nützlichkeit u. Nothwendigkeit vertragsmässiger Regelung der Handels- & Zollbeziehungen zwischen verschiedenen Staaten; dagegen scheint mir die Frage: was besser sei, blosse Verträge auf dem Fusse der Behandlung der meistbegünstigten Nation, od. eben eigentliche Conventional-Tarife – noch sehr der Erörterung fähig zu sein u. die Arbeit des Hrn. Leroy-Beaulieu im Economiste dürfte wohl kaum als «der Wahrheit letzter Schluss» anzuerkennen sein. Beispielsweise haben wir mit Deutschland einen blossen generellen Vertrag u. befinden uns sehr wohl dabei. – Aber ich will zugeben, dass im Verhältnisse zu Frankreich es sich empfehlen wird, die bisherige Grundlage nicht ohne Weiteres zu verlassen u. dass man also suchen soll, sich über einen neuen Conventional-Tarif zu verständigen. Was aber soll geschehen, wenn diese Verständigung sich auf längere Zeit, vielleicht auf Jahre, hinausspinnt & wir den bisherigen Conv[entional-J Tarif für unsere Einfuhr so lange nicht ertragen können. Hierauf scheint mir eine Art von Antwort zu liegen in der Convention, welche neulich zwischen Frankreich u. Spanien abgeschlossen worden ist & auf deren Reproduction im Journal officiel Sie die Freundlichkeit hatten, mich aufmerksam zu machen.4 Man hat hier für die Zeit bis zum Abschluss eines wirklichen u. definitiven Vertrages eine interimistische Abkunft getroffen, die im Wesentlichen auf dem Grundsatz der meistbegünstigten Nation fusst, daneben aber einzelne, für das eine oder andere Land besonders wichtige Punkte doch auch conventionell regelt. Sollte es nicht möglich sein, etwas Ähnliches zwischen der Schweiz u. Frankreich zu machen? also etwa in der Meinung, dass dabei unserseits der neue Tarif, wie er im Juny wird festgestellt werden, zu Grunde gelegt u. in einzelnen wenigen Positionen – zB. Wein, Pariser Artikel & dgl. conventionell abgeändert würde, während Frankreich uns zB. den Tarif des franco-italienischen Vertrags (falls derselbe zu Stande kommt) zugestände, auch etwa mit etwelchen Concessionen für Broderien, Garne & dgl. Ich möchte Sie bitten, diesen Gedanken in Erwägung zu ziehen u. gelegentlich in vertraulicher Weise an geeigneter Stelle zu sondiren, was man französischer Seits dazu sagen würde.5 Mir scheint, dass auf diese Art sich so ziemlich allen denjenigen Interessen Rechnung tragen Hesse, die für uns von Bedeutung sind, u. ich halte es nicht für unmöglich, dass auch Frankreich darauf eintreten könnte.
PS. So eben, wie ich diese Zeilen schliesse, vernehme ich, dass der Ständerath mit ansehnlicher Mehrheit (22/n St[immen]) sich im Prinzip für die Einführung einer Steuer auf Tabak u. Sprit ausgesprochen hat.6 Hiedurch könnte allerdings eine Wendung in die Sache kommen; doch zweifle ich noch, ob der Nat[ional Rath sich anschliessen wird.
- 1
- Schreiben: E 2200 Paris 1/127.↩
- 2
- Nr. 124, Annex.↩
- 3
- 31. Dezember laufenden Jahres.↩
- 4
- Convention de commerce entre la France et l’Espagne. /«.-Journal Officiel de la République française. Dixième année, No 17, Vendredi 18 Janvier 1878, p. 405 (E 13 (B)/172).↩
- 5
- Vgl. Nr. 128.↩
- 6
- Vgl. E 1001 (D) d 1/65, Nr. 729.↩
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