Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. WIRTSCHAFTS-, HANDELS- UND WÄHRUNGSPOLITIK
1. Bilaterale Verhandlungen
1.3. Die Verhandlungen mit Italien
1.3.1. Die Handelsverträge
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 102
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#263* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 60 | |
Dossier title | Korrespondenz des Eisenbahn- und Handelsdepartements, u.a. mit Köchlin-Geigy (Mitglied der Schweizer Vertragsdelegation in Rom); Bericht Köchlin-Geigy über die Vertragsverhandlungen; Anträge des EHD an den Bundesrat; Notizen; Bundesratsbeschlüsse; Verlängerungen des Handelsvertrages vom 22.07.1868 durch Erklärungen vom 22.07.1877 [AS, 3, 85] und 17.12.1877 [AS, 3, 253] (1876–1877) |
dodis.ch/42081
Antrag des Vorstehers des Eisenbahn- und Handelsdepartements, K. Schenk, an den Bundesrat1
Der italienische Geschäftsträger hat unterm 2. ds. im Namen seiner Regierung dem Bundespräsidenten mündlich den Wunsch ausgesprochen, dass die letztes Frühjahr abgebrochenen Unterhandlungen über den schweizerisch-italienischen Handelsvertrag gegen Mitte dieses Monats in Rom wieder aufgenommen werden möchten.
Indem das Unterzeichnete Departement dem Bundesrathe seine Anträge betreffend Beantwortung dieses Wunsches der ital. Regierung unterbreitet, schickt er denselben folgende Bemerkungen voraus:
Der Handelsvertrag mit Italien ist am 22. Juli 1868 auf die Dauer von 8 Jahren von der Auswechslung der Ratifikation, welche am l.Mai 1869 stattfand, an gerechnet, abgeschlossen worden. Der Art. 18 desselben enthält folgende Bestimmung:
«Wofern keiner der hohen vertragschliessenden Theile zwölf Monate vor dem Ablauf des genannten Zeitraumes die Absicht kundgegeben haben sollte, die Wirkung des Vertrages aufhören zu lassen, so bleibt derselbe verbindlich bis zum Ablauf eines Jahres von dem Tage ab, an welchem der eine oder andere der hohen vertragschliessenden Theile ihn gekündet haben wird.»2
Eine Kündung ist bis jetzt von keiner Seite erfolgt. Wohl aber hat die italienische Gesandtschaft in Bern im Aufträge ihrer Regierung mit Note vom 24. Februar 18753 dem Bundesrathe den Vorschlag gemacht, gleichzeitig mit dem italo-französischen und italo-österreichischen Vertrag, welche beide im Jahre 1876, und zwar ersterer am 19. Jänner, letzterer am 30. Juni, zu Ende gehen, auch den zwischen der Schweiz und Italien bestehenden Handelsvertrag zu revidiren. Die Verfallzeit des letztem sei zu entfernt, als dass nicht für beide Länder grosse Inconvenienzen eintreten müssten, wenn an derselben festgehalten werden wollte. In der Hauptsache gelten für den schweizerisch-italienischen Verkehr die Tarife, welche von Italien mit Frankreich und Oesterreich vereinbart worden seien. Im Falle die Schweiz auf ihren Vertrag vor dessen Ablauf nicht verzichtete, würde dieselbe gegenüber Italien Tarife besitzen, welche gegenüber den Nationen mit welchen sie vereinbart worden, nicht mehr beständen. Die italienische Regierung würde dadurch genöthigt, auch die sämmtlichen Verträge, in welchen nur die Gleichstellung mit der meistbegünstigten Nation zugesichert worden sei, zu künden. Aus dem gleichen Grunde und zum gleichen Zwecke wäre die italienische Regierung genöthigt, von den schweizerischen nach Italien gehenden Erzeugnissen Ursprungszeugnisse zu verlangen, eine vexatorische Massregel, auf die bis jetzt habe verzichtet werden können.
Nachdem der Bundesrath diesen Vorschlag der Verzichtleistung auf den Vertrag vor dessen legalem Ablauf in konstitutioneller und volkswirthschaftlicher Beziehung geprüft hatte, antwortete derselbe unterm 23. Juni gl. Jahres4, dass er, soweit an ihm bereit sei, Hand zu bieten, um den schweiz.-ital. Handelsvertrag, wo möglich, schon auf [den 30. Juni 1876 durch neue Stipulationen zu ersetzen. Er werde zu diesem Behufe Delegirte ernennen, um mit den Bevollmächtigten der k. ital. Regierung die nöthigen Verhandlungen zu pflegen, für deren Resultat selbstverständlich die Genehmigung der schweizerischen Bundesversammlung Vorbehalten werden müsse. Wenn der Bundesrath auf diese Weise bestrebt sei, den Wünschen der italienischen Regierung entgegenzukommen, so glaube er andererseits, der bestimmten Hoffnung sich hingeben zu dürfen, dass die ital. Regierung den Begehren, welche die Schweiz bei der Neugestaltung der Tarife zu stellen im Falle sei, Rechnung zu tragen geneigt sein werde.
Da diese Antwort hinsichtlich der Verzichtleistung auf den Vertrag nicht so definitiv lautete, wie es die italienische Regierung gewünscht hatte, so kündigte dieselbe den 25. Juni gl. J. die Verträge, mit welchen Italien anderen Nationen die Gleichstellung mit der meistbegünstigten Nation zugesichert hat.5
Vom 29. September bis 8. Oktober fanden sodann zwischen dem Delegirten des Bundesrathes, Herrn Köchlin-Geigy in Basel, und der italienischen Abordnung, nachdem diese bereits mit den Abordnungen der französischen und der österreichischen Regierung behufs Revision der resp. Handelsverträge negocirt hatte, die ersten Verhandlungen über Revision des schweiz.-ital. Vertrages in Bern statt.
Die abschliessenden Verhandlungen zwischen der Schweiz und Italien sollten im Frühling abhin stattfinden. Nachdem die italienische Regierung durch das Organ ihrer Gesandtschaft in Bern zur Sendung einer Abordnung nach Rom eingeladen, traf diese mit Vollmacht zur Fortsetzung der Verhandlungen am 18. März in Rom ein.
Am folgenden Tage trat das Ministerium wegen des Resultates einer Abstimmung im Parlamente über die Eisenbahnpolitik des Ministeriums, welche in dem sogenannten «Baslervertrag»6 ihren Ausdruck fand, zurück. Das neue Ministerium war nicht geneigt, mit unserer Abordnung sofort die Negociationen fortzusetzen. Am 4. April erhielt dieselbe von dem Beschlüsse des Ministeriums, die Angelegenheit einstweilen zu verschieben, Kenntniss, worauf unsere Abordnung von Rom abreiste.
Bis zu der unterm 2. ds. von dem italienischen Geschäftsträger dem Bundespräsidenten gemachten Mittheilung, dass die ital. Regierung die Unterhandlungen Mitte dieses Monats wieder aufnehmen möchte, ist in Sachen nichts weiter vorgegangen.
Bei der Frage, welche Antwort dem italienischen Geschäftsträger zu ertheilen sei, fällt Folgendes in Betracht.
Wie aus der obigen Darstellung hervorgeht, ist bis jetzt von keinem der beiden Kontrahenten eine rechtskräftige Kündung des Vertrages erfolgt. Die Note der ital. Gesandtschaft vom 24. November 18757 und die Antwort des Bundesrathes vom 23. Juni gl. J. können nicht als solche angesehen werden. Auch sind die Voraussetzungen, welche dem Vorschläge hinsichtlich der Vereinbarung neuer Handelsverträge mit Frankreich und Oesterreich zu Grunde lagen, nicht eingetroffen. Unser Vertrag mit Italien bleibt verbindlich bis zum Ablauf eines Jahres von dem Tage ab, an welchem die im Art. 18 desselben vorgesehene Kündung stattfinden sollte.
Das den bisherigen Negociationen zu Grunde gelegene Projekt der ital. Regierung zu einem neuen Generaltarife8 trägt eine stark protektionistische Färbung und ist nicht geeignet, den gegenseitigen Handelsverkehr zu fördern, während letzteres doch das Ziel eines jeden internationalen Handelsvertrages sein soll. Bei den bisherigen Unterhandlungen wurden zwar einige Positionen des Projektes moderirt, immerhin aber ist das Gesammtergebniss desselben ein die Verkehrsinteressen sehr unbefriedigendes. Wie uns die Schweiz. Gesandtschaft in Rom unterm l.lf.Mts. berichtet,9 befolgt das gegenwärtige Ministerium die gleiche Handels- und Zollpolitik, wie das abgetretene. Abgesehen von der Erleichterung des Grenzverkehres, bemerkt die Gesandtschaft, werden die liberalen Neigungen des Ministeriums durch die Forderungen der Staatskasse und durch den Zustand, in welchem sich gewisse wenig entwickelte Zweige der nationalen Industrie befinden, bedingt.
Endlich fällt in Betracht, dass vom schweizerischen Handels- und Industriestande längst das Verlangen nach Revision unseres schweizerischen Zolltarifs laut geworden, und jetzt dahin formulirt wird, dass, bevor in dieser Beziehung die Schweiz durch Erneuerung der Handelsverträge sich wieder für eine Reihe von Jahren die Hände binde, unser Tarif neugeregelt und den veränderten Verhältnissen entsprechend eingerichtet werde.
In diesem Sinne sprechen sich Berichte der Herren Köchlin-Geigy in Basel, a. Nationalrath H. Fierz in Zürich und Oberst Rieter in Winterthur, sowie die vom Regierungs-Rathe des Kantons Zürich in Sachen der Revision des schweizerischfranzösischen Handelsvertrages bestellte Expertenkommission aus. Diese Berichte10 werden hier beigelegt und auf dieselben verwiesen.
Mit Rücksicht auf die Verhältnisse stellt das Unterzeichnete Departement den Antrag:
Es sei der Herr Bundespräsident einzuladen, dem italienischen Geschäftsträger auf den Wunsch betreffend Wiederaufnahme der Unterhandlungen über Revision des Handelsvertrages mündlich zu antworten, dass dem Bundesrathe der gegenwärtige Moment nicht dienlich sei, und dass er die Wiederaufnahme bis zum nächsten Jahre zu verschieben wünsche.11
- 1
- E 13 (B)/211.↩
- 2
- AS 1866-1869, IX, S. 673 f.↩
- 3
- E 13 (B)/210.↩
- 4
- Ibid.↩
- 5
- Vgl. das Telegramm des italienischen Aussenministers an die Gesandtschaft in Bern vom 26. 6.1875 (E 13 (B)/210).↩
- 6
- Dieser Vertrag regelte den Verkauf der Alta huhu-Eisenbahn an den italienischen Staat.↩
- 7
- Es handelt sich um die Note vom 24. Februar 1875 (E 13 (B)/210).↩
- 8
- E 13 (B)/210.↩
- 9
- Nicht abgedruckt.↩
- 10
- Nicht abgedruckt.↩
- 11
- Der Antrag wurde vom Bundesrat am 17.10.1876 gebilligt (E 1004 1/107, Nr. 6002). Der Vertrag wurde am 17.12.1877 bis 31. 3.1878 verlängert (BBl 1877, 4. S. 787). Vgl. auch die GBer. 1876 (BBl 1877, 2, S. 251-253) und m i (BBl 1878, 2, S. 81 f.)↩
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