Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. WIRTSCHAFTS-, HANDELS- UND WÄHRUNGSPOLITIK
1. Bilaterale Verhandlungen
1.3. Die Verhandlungen mit Italien
1.3.1. Die Handelsverträge
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 79
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#6002* | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 28.09.-29.09.1875 (1875–1875) |
dodis.ch/42058 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 28. September 18751 5480. Schweizerisch-italienischer Handelsvertrag, Revision
Die gestern theilweise erledigte Vorlage2 des Departements betreffend die Frage der Revision des Handelsvertrages zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 18683
wird neuerdings in Behandlung gezogen und hierbei für den schweizerischen Abgeordneten, Herrn Alt-Ständerath Köchlin folgende Instruktion beschlossen:
1. Herr Köchlin wird sich über seine Ernennung als Abgeordneter des schweizerischen Bundesrathes für die Unterhandlungen betreffend Revision des schweizerisch-italienischen Handelsvertrages ausweisen und die Zuziehung von Fachmännern, welche er zur Aufschlussertheilung bei einzelnen Fragen als nöthig erachten sollte, Vorbehalten.
2. Er wird hierauf die Vollmacht des Abgeordneten Seiner Maj. des Königs von Italien prüfen.
3. Der schweizerische Abgeordnete wird die nähern Eröffnungen und Erläuterungen, welche in der Note4 der Königl. italienischen Gesandtschaft vom 12. Juli d. J. P. No 4126 in Aussicht gestellt sind, von Seite des ital. Beauftragten entgegennehmen und sodann in eine allgemeine Besprechung der Frage der Vertragsrevision eintreten.
4. Der Bundesrath genehmigt bezüglich der allgemeinen Beurtheilung der italienischen Vorlagen und Begehren die in dem zu den Akten gegebenen Experten-Gutachten5 vom 23. ds. aufgestellten Grundsäze:
1°- Der Handelsvertrag von 1868 ist in seinen Resultaten vortheilhafter für Italien, als für die Schweiz gewesen. Der schweizerische Export ist von 71 auf 48 Millionen gefallen und es wäre desshalb bei einer Erneuerung die Schweiz eher im Falle, Erleichterungen zu fordern, als sich neue Erschwerungen gefallen zu lassen.
2°- Wenn im Prinzip die Berechtigung der sub 1, 2b und 3 angeführten, im italienischen Memorial aufgestellten Grundsäze zugegeben werden kann, so muss dagegen die in 2a enthaltene Prätension in dieser Ausdehnung des bestimmtesten zurükgewiesen werden.6
3°- Das italienische Memorial greift hier7 auf das Jahr 1861 zurük, also auf 7 Jahre früher, als der Abschluss des Handelsvertrages und schafft dadurch eine auszugleichende Steuerdifferenz, welche unberechtigt erscheint, indem im Jahre 1868 das Ausgabenbudget von Italien bereits eine Milliarde überschritten hatte und die daherigen Lasten bei den Tarifansäzen durchaus nicht ausser Berüksichtigung gefallen waren.
[Seit] 1868 sind überdiess die Steuerschrauben in den industriellen Kantonen der Schweiz, um welche es sich hier handelt, zum mindesten ebenso stark angezogen worden, als in Italien, wobei noch angenommen werden kann, dass industrielle Geschäfte in der Schweiz in der Regel richtiger und genauer ihre Steuern entrichten, als die italienische Concurrenz, welche in dieser Beziehung Compromisse zu treffen gewohnt ist.
Nach dem Grundsaze der Reciprozität, welcher von den Industriellen Italiens, wenigstens Frankreich gegenüber so sehr betont wird, indess die Schweiz diese höhere Besteuerung ihrer Angehörigen zur ganzen oder theilweisen Compensation geltend machen könnte.
Sogar wenn die Berechtigung eines solchen Anspruches auf Ausgleichung wegen höherer Besteuerung wollte zugelassen werden, so kommt man materiell auf ein so geringes Resultat, dass es kaum gerechtfertigt erscheint, desswegen den Zolltarif umzuarbeiten.
Die ganze italienische Steuer auf dem Einkommen beträgt nämlich 13 1/2%, vom Nettoergebnis. Bei Berechnung dieses leztern auf 10% würden die 131/2% davon, welche der italienische Fiskus bezieht einen Ausgleich von 1,31/2% auf dem Verkaufspreis erfordern. Es liegt auf der Hand, dass die italienische Regierung die Prätension, die ganze Steuer zu berechnen, nicht stellen kann und nicht stellen wird, und dass es sich hier höchstens um einen Bruchtheil der Einkommenssteuer handeln kann, welcher die Ausgleichsquote weit unter 1% des Werthes sinken macht.
Es ist ebenso klar, dass hier von einer Ausgleichung der indirecten Steuern nicht die Rede sein kann. Es sind diese, so weit das Geschäft dadurch beschlagen wird, im Arbeitslohn und den allgemeinen Spesen bereits verrechnet, und was auf die Haushaltung des Fabrikbesizers speziell davon abfällt, wird doch gewiss ausser Frage bleiben müssen.
Es ist desshalb angezeigt, auf die in Ziffer 2 la. a8 angedeutete Grundlage nicht einzugehen.
Es ist dies um so mehr gerechtfertigt, als laut den gemachten Erhebungen die italienische Industrie überall gegenüber der schweizerischen im Vorsprung ist. Bezüglich der übrigen Punkte müssen die in Aussicht gestellten Erklärungen vorerst abgewartet werden. Es kann aber jezt schon im Prinzip in Aussicht genommen werden, dass die Schweiz auch hier die Reciprozität soweit möglich vindizire, dh., dass sie für jede Erschwerung, welche die Neuerungen für sie involviren, eine entsprechende Erleichterung verlange.
Bezüglich Punkt 2, lemma b9, lässt sich formal wenig einwenden. Es ist das Vorgeschlagene formell wirklich eine Vereinfachung, materiell aber werden diese unter dem Namen «droits compensateurs» bekannten Zuschläge unwiederbringlich festgenagelt und die Hoffnung auf ein Wegfallen ist in diesem Falle ganz verloren.
Es müsste in dieser Richtung in dem Vertrage stipulirt werden, dass neue «droits compensateurs» einzuführen untersagt sei.
Die Umwandlung der Werthzölle in Gewichtszölle ist nicht zurükzuweisen, die Klassifikation ist aber so festzustellen, dass keine der schweizerischen Exportartikel über Gebühr dadurch belastet und dass der Nachtheil der auf einer Seite erwächst, durch einen Vortheil auf der ändern compensirt werde.
Bei dieser Gelegenheit soll die Schweiz die Verminderung resp. Aufhebung der noch in Kraft befindlichen Ausfuhrzölle verlangen.
Wenn die italiänische Regierung darauf eingeht, mit der schweizerischen Regierung auf diesem Boden zu unterhandeln, d. h. grundsäzlich den Standpunkt des Vertrags von 1868 festzuhalten und am Tarife nur nothwendige und wünschbare Veränderungen vorzunehmen, ohne das materielle Verhältnis in protektionistischem Sinne zu alteriren, so kann je nach dem Ergebnis auf die Einführung des neuen Tarifes pro 1. Juli 1876 eingegangen werden. Ist jedoch dies nicht der Fall, beharrt Italien auf seiner Vorlage, oder wird uns einfach ein mit Frankreich oder Österreich (vielleicht auf Reciprozitätsgrundsäzen) vereinbarter Tarif général vorgelegt, welcher unsere Stellung wesentlich zu schädigen geeignet ist, so dürfte es dagegen angezeigt sein, den Vertrag von 1868 bis zu seinem Ablauftermin im April 1877 aufrecht zu erhalten und auf das italienische Begehren um frühere Aufhebung nicht einzugehen.
In diesem Falle würde alsdann die weitere Frage zu erörtern sein, ob am Plaze eines Tarifvertrages schweizerischerseits ein einfacher Vertrag vorgeschlagen werden solle, wonach die Schweiz auf dem Fusse der meistbegünstigten Nationen behandelt würde, oder ob überhaupt auf jeglichen Vertrag dermalen zu verzichten, für die Schweiz ganz freie Hand vorzubehalten, das Beste sei, und ermächtigt den schweizerischen Abgeordneten, sich im Sinne derselben auszusprechen.
5. Der schweizerische Abgeordnete wird über den Gang und das Ergebnis dieser ersten Verhandlungen dem Bundesrathe Bericht10 erstatten und dessen fernere Instruktionen einholen, bevor über die weitere Fortführung derselben verbindliche Erklärungen abgegeben werden.
- 2
- Vgl. E 1004 1/102, Nr. 5460 und E 13 (B)/210.↩
- 3
- AS 1866-1869, IX, S. 657-679.↩
- 4
- E 13 (B)/210.↩
- 5
- Ibid.↩
- 6
- Mit Begleitschreiben vom 4. 3.1875 hatte Melegari Bundespräsident Schenk ein Mémoire concernant le nouveau projet de tarif italien übermittelt. Punkt 1 dieses Memorandums führte aus: [...] L’administration italienne a donc eu soin de reccueillir tous les éléments de fait, grâce auxquels ses conclusions ont pu être prises en pleine connaissance de cause. Ces éléments pourront, probablement, être livrés à la discussion, soit à l’occasion des négociations diplomatiques, soit à l’occasion des débats parlementaires qui devront s’ouvrir sur le projet de tarif pour qu’il devienne une loi d’Etat. [...] . Punkt 2 b sagte namentlich: [...] Les produits qui ont été jusqu’ici à l’abri des tarifs conventionnels ont joui, en quelque sorte, d’une immunité qui ne doit point survivre aux traités qui la sanctionnaient. Il est juste que ces produits cessent d’être affranchis des charges qui, par suite des événements politiques, se sont accumulées, chez nous, sur toutes les ressources du pays. [...] . Punkt 3 wurde folgendermassen eingeleitet: [...] Une considération économique suggérait de proportionner, les uns avec les autres, les différents articles du tarif. [...] . Punkt 2 a sagte namentlich: [...] Il existe quelquefois, au point de vue économique, entre les différents produits, une connexion tellement étroite, qu’en s’écartant des règles d’une impartialité absolue on aboutit fatalement aux résultats les plus fâcheux. [...] L’administration italienne a voulu inaugurer l’œuvre de la révision par la suppression de ces déplorables anomalies. Ce but a été atteint, dans quelques cas par l’atténuation des droits actuels, mais plus souvent par une légère aggravation des droits qui ont favorisé sans raison, jusqu’ici, certaines branches d’industrie. f...J (E 13 (B)/210).↩
- 7
- Es handelt sich wahrscheinlich um Punkt 4 des Memorandums vom 4. 3.1875. Dieser wurde folgendermassen eingeleitet: [...] Une considération fiscale suggérait de ramener les charges pesant sur les importations au niveau qu’ont atteint, en Italie, les impôts pesant sur l’industrie et sur la production nationale (E 13 (B)/210).↩
- 8
- Gemeint ist wahrscheinlich Punkt 4 des Memorandums. Vgl. Anm. 7 und 9.↩
- 9
- Es handelt sich wahrscheinlich um folgende Stelle in Punkt 4: [...] Au point de vue de l’équité, les industries nationales, au fur et à mesure que les impôts s’aggravaient, auraient dû être replacées à tout prix sur un pied d’égalité vis-à-vis des industries étrangères. Il aurait fallu pouvoir ajouter, à ce titre un droit supplémentaire au droit principal de douane. [...] (E 13 (B)/210).↩
- 10
- Vgl. den Bericht von Koechlin-Geigy an Schenk vom 9. 10.1875 (E 2200 Paris 1/105).↩
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