Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 2, doc. 338
volume linkBern 1985
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.41-02#1000/1671#526* |
Old classification | CH-BAR E 2200.41-02(-)1000/1671 304 |
Dossier title | Diverse Korrespondenzen, Eingang (1870–1871) |
File reference archive | 429 |
dodis.ch/41871
Ich sehe mich veranlasst, die Instruction des Bundesrathes, welche Ihnen Herr Grüner von Winterthur überbringt, mit nachfolgenden Mittheilungen zu beglei
Der Bundesrath hat sich Freitag d. 24ten Nachmittags2 in ausserordentlicher Sitzung mit der in Frage stehenden Angelegenheit beschäftigt. Wir waren damals im Besitz Ihrer beiden Telegramme3, von denen das eine sofortige Absendung von Experten wünschte, das andere vorläufige Verschiebung der Abreise dieser Delegirten empfahl und uns von der unmittelbar bevorstehenden Audienz bei Graf Bismark in Kenntniss setzte. Man hatte das Materielle der Frage einlässlich discutirt, u. hatte eventuell, als abzusendende Experten die Herren Oberst Siegfried in Bern und Bürgerm. Stählin in Basel in Aussicht genommen, als ein weiteres Telegramm4 eintraf, welches uns als Resultat der Besprechung mit dem Reichscanzier meldete, dass dermalen weitere Schritte durchaus unnütz wären und der Abschluss des Friedens abgewartet werden solle.
Dieses Telegramm beunruhigte nach zwei Seiten hin. Einmal schien Gefahr vorhanden zu sein, dass wir vor Benutzung des richtigen Momentes zur Erreichung unserer Ziele weggedrängt werden, und sodann sahen wir uns auch im besten Fall ausschliesslich an Deutschland gewiesen, was uns aus naheliegenden Gründen bedenklich erscheint. Wir legen hohen Werth darauf, dass die Angelegenheit von Frankreich aufgenommen und vertreten werde, was um so eher erwartet werden kann, als es sich dabei ebenso sehr um französische, als um schweizerische Interessen handelt und, dieweil diess nur jezt, in den Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland, stattfinden kann, dass dieser Moment zur Sicherstellung der in Frage stehenden Interessen auch wirklich benutzt werde.
Diesen Gedanken und Absichten ist der Auftrag entsprungen, welchen Ihnen das beiliegende Schreiben des Bundesrathes bringt.
Gestern Abend hatte ich über den Gegenstand eine Unterredung mit General von Röder, welche ich Ihnen ganz so wiedergebe, wie ich sie unmittelbar nachher niedergeschrieben habe.
«Ich komme zu Ihnen», sagte er, «um Ihnen eine Eröffnung zu machen, Ihnen persönlich, nicht für den Bundesrath bestimmt. Ich habe zwei Telegramme von Bismark erhalten, von denen das eine gestern Nachts halb 12 Uhr noch aufgegeben wurde. Herr Kern hat Verhandlung gepflogen mit Bismark bezüglich einer Grenzregulirung an der Nordgrenze der Schweiz für den Fall einer Annexion des Elsasses an Deutschland. Bismark musste vorläufig ablehnend antworten, da sich nicht wohl Verhandlungen über eine Frage pflegen lassen, welche etwas voraussetzen, was noch nicht fest und sicher ist, die Annexion des Elsasses. Aber es sei von dem Postulate der Schweiz Notiz genommen. Ein weiteres Eindringen in diesem Moment könnte der Schweiz und ihren Wünschen nur schaden, nicht nützen. Jede Complication muss in diesem Augenblick fern gehalten werden. Ein Eingehen in Details, wie sie der schweizerische Vorschlag erheische, sei dermalen unmöglich. Theilen Sie Herrn Kern mit, er möge diesen Augenblick weitere Schritte unterlassen». Ich erklärte ihm, diess sei schön und gut, aber ich wüsste nicht, wie ich eine Sistirung unserer Bestrebungen, welche übrigens derart seien, dass sie ganz offen dargelegt werden könnten, rechtfertigen könnte. Auch unsere Meinung sei es nicht, jetzt in Details einzugehen; was wir anstrebten, sei lediglich nur die Einfügung eines Vorbehalts in den Friedensvertrag, welcher eine Berücksichtigung der durch die Annexion bedrohten schweizerischen Interessen in Aussicht stellt. Alles Weitere sei Sache eines spätem Vertrages. Für jenes zu sorgen, sei jetzt der Moment, und ich könnte es nicht verantworten, wenn keine ändern Gründe angebracht würden, die eingeleiteten Schritte zu unterbrechen. General von Röder erklärte, er habe Grund zu glauben, dass unsere Wünsche durch die Delimitation, welche der Friedensvertrag bringen werde, erfüllt werden. Es sei nicht nöthig, hiefür jetzt weitere Schritte zu thun. Bismark sei von den besten Intentionen für die Schweiz beseelt und von ihm, Röder, wisse ich, dass er für die berechtigten Interessen unseres Landes ebenso einstehe, wie für die seines eigenen Landes, und Bismark wisse, dass er so handle. Er versichere mich, dass wir ruhig sein könnten. Ich erwiederte, dass diese Eröffnungen mir sehr angenehm seien, indessen mich doch nicht vollständig beruhigten. Wenn er eine bestimmte Zusage machen und mir gestatten könnte, davon dem Bundesrath Mittheilung zu machen, so würde der Letztere seine Schritte darnach einrichten können. Er begreife selbst, dass, wenn ich Schritte thue, von denen möglicherweise der Erfolg in einer wichtigen Angelegenheit des Landes abhängig werden könne, ich in der Lage sein müsse, dieselben klar und deutlich zu rechtfertigen. Gen. v. Röder antwortete, es sei ein ausserordentlich critischer Augenblick. Ohne dem Bundesrath irgendwie zu nahe treten zu wollen, so sei doch nicht absolute Sicherheit vorhanden, dass ihm gemachte Eröffnungen nicht durchsickerten, und eine Indiscretion in diesem Augenblick könnte von den weitführendsten, verhängnissvollsten Folgen sein. Es solle mir genügen, dass er mir erkläre, dass weitere Schritte diesen Augenblick nicht für uns günstig wären und auch nicht nöthig seien. Ich erwiederte, dass ich unter allen Umständen mir Vorbehalten müsse, wenn auch nicht jetzt, doch später, mich auf dasjenige zu berufen, was er mir gesagt habe. Hierauf General v. Röder, dagegen habe er nichts einzuwenden. Ich könne später erklären, dass er mir die bestimmte Hoffnung gemacht habe, dass ohne weiteres Insistiren des Bundesraths man den Schweiz. Wünschen werde gerecht werden, und als ich ihn fragte, wie diess zu verstehen sei, so antwortete er, dass die Linie Pruntrut–Montbéliard frei bleibe und dass sich Deutschland dazu verstehen werde, zwischen Pruntrut und Basel die Sache so zu legen, dass für die Schweiz eine directe Verbindung zwischen Basel und Pruntrut möglich werde. Indem ich Gen. von Röder zusagte, Ihnen sofort zu schreiben, behielt ich mir vor, Ihnen von den Äusserungen, welche den angebrachten Rath begleiteten, confidentielle Mittheilung zu machen.
Dermalen noch nicht im Besitze Ihres Berichtes5 über die stattgehabte Unterredung zwischen Ihnen u. Grafen Bismark, kann ich nicht beurtheilen, ob die Sache wirklich so liegt, wie aus den Andeutungen des nordd. Gesandten hervorzugehen scheint. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln: indessen, was uns mit dem Kaiser Napoleon bezüglich Savoyens begegnet ist, kann uns auch mit Bismark passiren. Wäre es wirklich sicher, dass die neue Delimitation zwischen Deutschland und Frankreich die Eisenbahnverbindung Pruntrut (Schweizergrenze) nach Montbéliard auf französischem Boden liesse, so wäre diess natürlich eine wesentliche Veränderung unserer Voraussetzungen, um so mehr, als es sich herausgestellt hat, dass eine directe Verbindung von Basel über Laufen und das Lützelthal mit Pruntrut ohne grosse Schwierigkeit erstellt werden könnte.
Die Ausführung der Instruction des Bundesraths, welche eine unverzügliche neue Besprechung mit Thiers erheischt, wird am ehesten dazu führen, über die Sachlage ins Klare zu kommen. Sollte sich dabei bestätigen, oder schon aus den vom Grafen Bismark Ihnen gegebenen Erklärungen hervorgehen, dass Deutschland nicht beabsichtigt, den Canton Delle an sein Gebiet zu ziehen, so wird der Bundesrath im Fall sein, Ihnen neue Instructionen zu ertheilen, wozu Sie nicht ermangeln werden, ihm durch schleunige Berichterstattung Veranlassung zu geben.
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Neutrality of Savoy (1870–1871)