Stucki antwortet auf die in der Presse formulierten Vorwürfe zum Abänderungsvorschlag der Schweiz, der von der Welthandelskonferenz abgelehnt worden ist. Die USA kritisieren den schweizerischen Vorschlag ausserhalb der Tagungen.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 17, doc. 55
volume linkZürich/Locarno/Genève 1999
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2800#1967/60#61* | |
Old classification | CH-BAR E 2800(-)1967/60 18 | |
Dossier title | Conférence de la Havane. 21 novembre 1947 (1947–1949) | |
File reference archive | 16 |
dodis.ch/3200 Der Delegierte des Bundesrates an der Welthandelskonferenz, W. Stucki, an den schweizerischen Gesandten in Washington, K. Bruggmann1
Soeben erhalte ich Bericht, dass in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 9. d. M. ein Artikel erschienen ist, offenbar von Dr. Imhoof, wonach der Präsident des Spezialkomitees Schweiz nach der am 4. Februar erfolgten Ablehnung des schweizerischen Antrages sich anerboten habe, einen Alternativvorschlag auszuarbeiten, der die Wünsche der Schweiz in anderer Form berücksichtigen sollte. «Minister Stucki, der seine Ungeduld über weitere Verzögerungen zum Ausdruck brachte, weigerte sich jedoch, den Text seines Zusatzantrages abzuändern.» Es wird beigefügt: «Man kritisiert im amerikanischen Staatsdepartement die Haltung der Schweiz in Havanna lebhaft.»
Diese Darstellung ist so vollkommen falsch, dass es mir notwendig erscheint, Sie näher zu orientieren:
Der Ihnen bekannte schweizerische Antrag wurde von mir in der Plenarkonferenz am 28. November 1947 angekündigt und einlässlich begründet2. Meine Darlegungen stiessen auf keinerlei Opposition. In den ersten Tagen Dezember wurde der Vorschlag formell eingereicht. Am 5. Januar begründete ich ihn einlässlich vor der III. Kommission. 13 Delegationen meldeten sich zu Wort. Der Antrag fand viele direkte Unterstützung, von anderer Seite wurden nicht gegen den Gedanken sondern bloss gegen den Wortlaut Bedenken geäussert und jedermann gab dem Wunsche Ausdruck, für die schweizerische Sonderfrage eine Sonderlösung zu finden. Von keiner einzigen Seite wurde der Antrag systematisch bekämpft. Die Amerikaner schwiegen sich aus.
Am gleichen Tage ist bekanntlich zum Studium dieser Schweizerfrage ein besonderes Komitee ernannt worden. Nicht ohne Bedenken akzeptierte ich einen Engländer als Präsidenten3. In der ersten Sitzung des Komitees wurden eine Reihe von Fragen gestellt, auf die ich antwortete. In der zweiten Sitzung legte der Präsident ein «Working paper» vor, das von allen Mitgliedern mit Ausnahme von Venezuela und Uruguay, aber mit Einschluss der Schweiz als Diskussionsgrundlage akzeptiert wurde. In mehreren Sitzungen wurde auf dieser Basis diskutiert. Die Amerikaner beschränkten sich auf einige Fragen und kurze Bemerkungen. Eine Verständigung auf dieser Grundlage wäre für uns durchaus möglich gewesen. Nach einem längeren Unterbruch der Sitzungen wollte der Präsident, ganz offensichtlich auf amerikanischen Druck, die Diskussion seines eigenen Vorschlages nicht zu Ende führen sondern gleich zur Ausarbeitung eines Berichtes ohne Gegenvorschlag übergehen. Ich setzte mich zur Wehr, worauf der englische Vorschlag weiter diskutiert wurde. Nach einem neuen längeren Unterbruch wurde das Manöver wiederholt, wogegen ich vergeblich Einsprache erhob. Die Amerikaner hatten diesmal das Terrain vorbereitet und die nötige Mehrheit gesichert. Erst in diesem Moment und nur um gegen das unglaubliche Vorgehen zu protestieren verlangte ich eine Abstimmung über den ursprünglichen schweizerischen Antrag. Er wurde mit 4 zu 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen und einer Abwesenheit abgelehnt.
Wiederum geschah längere Zeit nichts. Dann legte der Präsident den Entwurf zu einem Rapport des Subkomitees an die III. Kommission vor, den ich als Diskussionsbasis sofort annahm. Er ging davon aus, dass man anerkennt, dass die schweizerische Stellung einzigartig ist, dass sie durch den jetzigen Chartaentwurf nicht gedeckt ist und dass man deshalb der Schweiz nicht zumuten könne der ITO beizutreten. Er sah aber vor, durch einen neuen Artikel die zu schaffende Organisation zu ermächtigen, Ländern wie der Schweiz die temporäre Beibehaltung von Ein- und Ausfuhrbeschränkungen zu gestatten. Selbstverständlich würde eine solche Lösung der Schweiz den Beitritt wenigstens vorderhand nicht gestatten. Sie müsste abwarten, bis die Organisation geschaffen ist, dann mit ihr verhandeln und je nach dem Ausgang der Verhandlungen über ihren spätern Eintritt entscheiden.
Trotz einer sehr freundschaftlich verlaufenen längern Besprechung mit Clayton machen aber die Amerikaner auch gegen diesen neuen englischen Entwurf die grössten Schwierigkeiten. Es geschieht dies aber niemals in offener Sitzung sondern immer nur in Spezialbesprechungen mit den Engländern und Franzosen.
Beizufügen ist, dass, während der schweizerische Antrag unter gewissen Voraussetzungen Freiheit für die ganze Charta verlangte, ich mich damit einverstanden erklärte, diese Freiheit auf das IV. Kapitel zu beschränken, worauf ich noch weiter ging und nur noch die Artikel 17, 18, 20 bis 24 und 31 vorbehielt. Ich fügte gleichzeitig bei, dass ich bereit wäre, dem Bundesrat die Annahme einer Art «Clausula rebus sic stantibus» zu empfehlen.
Aus diesen Darlegungen geht hervor:
1) Es ist nicht wahr, dass wir stur an unserm ursprünglichen Antrag festgehalten haben. Wir waren gegenteils auf Grund eines englischen Vorschlages zu wesentlichen Konzessionen bereit.
2) Unter amerikanischem Druck wurde der englische Vorschlag überhaupt nie fertig diskutiert und nie zur Abstimmung gebracht.
3) Wir haben den englischen Entwurf zu einem Bericht als Diskussionsbasis angenommen.
4) Die Amerikaner haben sich bis zur Stunde niemals offen in einer Sitzung der Kommission oder Unterkommission gegen die schweizerische Stellungnahme ausgesprochen. Sie haben ausschliesslich «hinten herum» gearbeitet und jede auch für die übrigen Mitglieder des Subkomitees annehmbare Lösung torpediert.
5) Die letzte Sitzung des Schweizerkomitees hat am 4. Februar stattgefunden. Trotz aller meiner Anstrengungen habe ich bis jetzt nicht erreichen können, dass eine neue Sitzung einberufen wird, einzig weil der englische Präsident unter amerikanischem Druck steht. Und dabei behauptet man, alle Länder hätten an der Konferenz gleiche Rechte!
Es würde mich interessieren zu vernehmen, ob und wer im State Department die schweizerische Haltung lebhaft kritisiert. Die Unzufriedenheit könnte ich mir allerdings sehr wohl erklären, weil wir sozusagen die einzige Delegation sind, die nicht wie fast alle übrigen die Faust im Sacke macht, sondern weil wir offen und direkt unsere Lebensinteressen vertreten, was den Amerikanern natürlich nicht ins Konzept passt.
Ich mache Ihnen diese Mitteilungen, damit Sie bei allfälligen Gesprächen mit Amerikanern im Bilde sind4.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2800(-)1967/60/18.↩
- 2
- Vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 41, dodis.ch/128. Der schweizerische Antrag an der Welthandelskonferenz lautete: Wenn ein Mitgliedstaat, der sich nicht auf die Voraussetzungen des Art. 21 berufen kann, feststellen muss, dass sein wirtschaftliches Gleichgewicht, namentlich mit Bezug auf seine Landwirtschaft und die Beschäftigung, ernsthaft beeinträchtigt oder bedroht ist, so kann er die zum Schutze der lebenswichtigen Interessen des Landes notwendigen Massnahmen treffen. Auszug aus dem Bericht des EPD an den BR vom 4. November 1947, vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 34, dodis.ch/1965. Für die Rede von W. Stucki vom 28. November 1947 vgl. E 2001(E) -/1/196 (dodis.ch/5680).↩
- 4
- Zum Ergebnis der Havanna-Konferenz vgl. den mündlichen Bericht von W. Stucki an den BR vom 15. April 1948, E 2801(-)1968/84/13 (dodis.ch/2364 und 2362). Zum Text des Berichts des Subkomitees «Schweizer Antrag» an der dritten Kommission der Welthandelskonferenz vgl. E 2001(E)-/1/191 (dodis.ch/5684).↩
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Conference on Trade and Employment in Havana and GATT follow-up meetings (1947–1961)
UN (Specialized Agencies) United States of America (USA) (Economy) GATT