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1940-1949
StABS, Gerichtsarchiv A, 1 Gerichtsprotokolle, Bd. 724 (1.1.-30.4.49): Tannerie Kamp S.A., Tirlemont, Belgien, gegen Natural AG, Basel; Prozess Nr. 1948/159
Information Unabhängige Experkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg (UEK) (UEK)
Info UEK/CIE/ICE ( deutsch français italiano english):
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Vorbemerkung

Die Schilderung des Falles beruht im wesentlichen auf dem im Protokollband enthaltenen Urteil vom 9.4.1949 und der Protokollierung der mündlichen Verhandlung vom 2.3.1949 mit den Erklärungen der beiden Parteivertreter Dr. A. Engeli, Zürich (Kläger) und Dr. L. Levaillant, Basel (Beklagte).

Unter der Signatur Gerichtsarchiv LL 20, 1948/159, finden sich die Prozessakten, d.h.:
Klageschrift, 29.5.48, 34 S.
Klagebeantwortung, 3.9.48, 29 S.
Nachtrag zur Klagebeantwortung, 24.9.48, 1 S.
Replik der Klägerin, 24.11.48, 17 S.
Nachtrag der Beklagten, 16.2.49, 3 S.
Replik der Klägerin, 25.2.49, 2 S.
Die Beilagen (Beweismittel) zu den eingereichten Schriften sind grösstenteils nicht erhalten. Die am 25.2.49 und 2.3.49 eingereichten Beilagen der Klägerin wurden wegen Verspätung und weil sie das Klagefundament, nämlich die Ernennung des kommissarischen Verwalters, betrafen, nicht mehr zugelassen.


Schilderung des Falles

Im Februar 1940 lieferte die Tannerie Kamp S.A., ein belgisches jüdisches Familienunternehmen, 54 Ballen Leder an eine Basler Firma. Da der Empfänger die Ware nicht entgegennahm, lagerte die Natural AG, eine Firma für internationale Spedition und Lagerhaltung mit Sitz in Basel, das Leder im Auftrag der Kamp S.A. in Basel ein.
Im Mai 1940 floh Julien Kamp, der Direktor und Mitinhaber der Tannerie, mit seiner Familie nach Frankreich, von wo er der Natural AG in mehreren Postkarten mitteilte, die Ware dürfe ohne seine persönliche Aufforderung nicht ausgeliefert werden.
Im September 1940 kehrte er nach Belgien zurück und teilte der Natural AG mit, dass er wieder seine frühere Stellung einnehme.
Am 31.3.1941 schloss Vital Coenen, ein langjähriger, seit 1933 mit gewissen Vollmachten ausgestatteter leitender Mitarbeiter der Firma, der auch frühere Schreiben unterzeichnet hatte, mit der Schoellkopf & Co. in Zürich einen Kaufvertrag ab und forderte die Natural AG am 15.4.1941 auf, das Leder nach Erhalt des Kaufpreises auszuliefern. Die Natural AG leitete den Erlös von Fr. 34 398 am 12.5.1941 über das schweizerisch-belgische Clearing an die Kamp SA weiter.
1946 teilte die Tannerie Kamp der Natural AG mit, sie werde eine im Moment noch nicht bezifferbare Forderung wegen des widerrechtlich ausgelieferten Leders stellen. Die im Jahr darauf gestellte Rechnung wies die Natural AG zurück, worauf die Tannerie am 1.6.1948 beim Zivilgericht Basel Klage einreichte.
Die Tannerie forderte die Bezahlung von Fr. 37 800 plus 5% Zins seit dem 23.5.1941 (Auslieferung des Leders). Sie begründete dies folgendermassen: Vital Coenen habe sich auf Grund einer deutschen Verordnung vom 20.5.1940 am 23.8.1940 aus eigenem Antrieb zum kommissarischen Verwalter der Firma ernennen lassen (dies mit der Begründung, Kamp sei als Jude bei den Deutschen nicht gut angesehen und es sei besser, anstelle eines deutschen einen belgischen kommissarischen Verwalter einzustellen). Er habe sich nach der Rückkehr von Julien Kamp zunächst als loyaler Angestellter gezeigt, doch habe er Kamp am 9.11.1940 definitiv aus dem Betrieb verwiesen und ihm jeden Zutritt untersagt. Coenen, der zu einem eigentlichen Kollaborateur der deutschen Besatzungsmacht geworden sei, habe seit jeher beschränkte Vollmachten besessen; die Weisung von Kamp aus Frankreich sei nie widerrufen, sondern im Gegenteil auch später mehrmals bestätigt worden. Die Natural AG habe auf Grund der besonderen Verhältnisse, insbesondere der wiederholten Weisungen von Kamp, der Tatsache, das Coenen einen neuen Stempel mit der Bezeichnung "Gestionnaire" verwendet habe, und auf Grund des Kriegszustandes als international ausgerichtete Firma eine besondere Verpflichtung gehabt, die Handlungsvollmacht Coenens zu überprüfen. Die kommissarische Verwaltung sei eine entschädigungslose Enteignung gewesen und habe als solche sowohl der Haager Landkriegsordnung als auch dem schweizerischen Ordre public widersprochen, was das Bundesgericht bereits nach dem Ersten Weltkrieg verschiedentlich festgestellt habe. Der Schaden sei durch den Verlust des Eigentums an der Ware entstanden, zumal der kommissarische Verwalter Coenen als eine von der Tannerie verschiedene Drittperson und nicht als ihr Organ betrachtet werden müsse, so dass der Verkaufserlös nicht der Firma, sondern Coenen zugekommen sei, der sich nach der Befreiung Belgiens abgesetzt und einen heruntergewirtschafteten Betrieb zurückgelassen habe. Überdies habe er die Ware, nachdem eine von ihm angestrebte Rückfuhr an den schweizerischen Ausfuhrbestimmungen gescheitert sei, unter dem Marktpreis (Fr. 6.50 statt Fr. 7.- pro Kilo) verkauft.

Die Natural AG argumentierte, es würde im Gegenteil dem schweizerischen Ordre public widersprechen, wenn man von einer Firma verlangen würde, in jedem Fall den Umfang der Handlungsvollmacht einer im Ausland domizilierten Firma zu überprüfen, was insbesondere unter den Kriegsverhältnissen praktisch unmöglich gewesen sei. Das Bundesgericht habe wiederholt festgestellt, dass eine solche Erkundigungspflicht nicht bestehe. Die Beklagte habe sich auf die Vollmacht verlassen müsen, und dabei sei vom guten Glauben auszugehen, zumal es sich bei Coenen um einen langjährigen Angestellten, der bereits früher Anweisungen unterzeichnet habe, gehandelt habe und die Natural AG keine Kenntnis von der kommissarischen Verwaltung gehabt habe und auch nicht hätte haben können. Sie habe überdies nicht gewusst, dass es sich um eine entschädigungslose Expropriation gehandelt habe. Coenen habe nicht als Drittperson, sondern als Organ der Firma gehandelt, und somit sei der Verkaufserlös an die Firma gelangt; ob Kamp das Geld persönlich erhalten habe, sei dabei unerheblich. Sie monierte zudem, dass es eine problematische Vermischung zwischen der Firma als Klägerin und dem als Zeugen auftretenden Kamp gebe, der sich doch hundertprozentig mit der Firma identifiziert habe. Ausserdem bestritt sie, dass Coenen zur fraglichen Zeit kommissarischer Verwalter gewesen sei und erklärte, sie habe von späteren Aufforderungen, die Ware nicht auszuliefern, keine Kenntnis erhalten. "Dränge die Klage durch, so wären die Konsequenzen für alle Schweizer Firmen unabsehbar."

Das Zivilgericht machte es sich insofern einfach, als es die Klage mit der Begründung abwies, dass der Schaden nicht genügend dargetan sei. Deshalb müsse gar nicht überprüft werden, ob die Ernennung Coenens in rechtswidriger Weise erfolgt sei, ob die Beklagte davon Kenntnis gehabt habe oder ob Coenen seine 1933 (nach belgischem oder schweizerischem Privatrecht zu beurteilende?) erteilte Vollmacht überschritten habe. Tatsache sei, dass die Beklagte das Geld überwiesen habe. Die (zudem ungenügend belegte) Behauptung, die Firma sei bei Kriegsende "nach dem Übergang in die Hände der rechtmässigen Eigentümer und Organe" heruntergewirtschaftet gewesen, genüge nicht, um die Natural AG haftbar zu machen. Zwischen dem erlittenen Schaden und den Handlungen der Natural AG (Auslieferung der Ware und Überweisung des Erlöses 1941) bestehe kein Kausalzusammenhang. Die Preisdifferenz zwischen dem Erlös und dem behaupteten Marktpreis von 7% sei zu gering, um einen Schadenersatz zu beanspruchen, zumal über die Lederqualität zu wenig bekannt sei. Das Gericht erörterte schliesslich auch die kommissarische Verwaltung: die Klage beruhe auf der unrichtigen Annahme, die kommissarische Verwaltung sei automatisch einer Enteignung gleichzusetzen und die Handlungen des kommissarischen Verwalters seien folglich als rechtlich nicht geschehen zu betrachten. Die Nichtigkeit sämtlicher Rechtshandlungen der von den Deutschen in Belgien eingesetzten kommissarischen Verwalter für die Dauer von vier Jahren anzunehmen, verbiete sich jedoch "ohne weiteres wegen der daraus sich ergebenden unmöglichen Folgen". Eine kommissarische Verwaltung könne natürlich rechtswidrig sein, wenn sie auf eine Enteignung hinauslaufe; dies würde in der Tat dem von der Klägerin angerufenen Haager Abkommen und dem schweizerischen Ordre public widersprechen. Ein derartiger Sachverhalt werde von der Klägerin jedoch weder behauptet, geschweige denn bewiesen.

Die Klage wurde abgewiesen, und die Klägerin hatte die Prozesskosten sowie eine Parteientschädigung an die Beklagte von insgesamt Fr. 3345.30 zu bezahlen. Die am 19.4.1949 eingereichte Appellation wurde am 8.7.1949 zurückgezogen.
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