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1935-1940
Lonza-Dossier, Mappe 1: Umwandlung der deutschen Lonza-Gesellschaften
Info Commission Indépendante d'Experts Suisse-Seconde Guerre Mondiale (CIE) (UEK)
Info UEK/CIE/ICE ( deutsch français italiano english):
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1. Vorschläge der Direktion für eine Verlegung von Dienstzweigen der Lonza-Werke (3.10.1935)

"Aus bekannten Gründen erscheint es angezeigt: den Franken-Aufwand bei Lonza AG Basel möglichst einzuschränken, die Verkaufstätigkeit und den Verkehr mit deutschen Stellen von deutschem Boden aus zu bewerkstelligen. Infolgedessen kommt die V e r l e g u n g f o l-
g e n d e r D i e n s t z w e i g e der Lonza-Werke-Geschäftsleitung nach Deutschland in Frage: Verkehr mit den Behörden, politischen und wirtschaftlichen Verbänden (also der Sekretariatsangelegenheiten), Verkehr mit deutschen Syndikaten (Carbid, Stickstoff, E.S.G. und Austauschgeschäfte), Verkauf nicht syndizierter Produkte (...), Zentralbuchhaltung und Finanzdienst für Lonza-Werke."
Von der Verlegung sollen ausgeschlossen werden: das technische Büro und das Labor, wobei die deutschen Betriebe eigene Labors aufbauen sollen. Unverändert soll vorerst auch die Organisation des Einkaufs bleiben.
"Es wäre damit den heutigen Notwendigkeiten, nämlich zu ermöglichen, dass die deutschen Behörden und unsere deutsche Kundschaft mit einer deutschen Geschäftsstelle der Lonza-Werke, welcher der ausschliessliche Verkehr überbunden wird, verkehren können, Genüge getan."

2. Niederschrift der Ergebnisse eines Gesprächs von VR-Präsident Maurice Golay mit dem Geschäftsführer der deutschen Lonza-Werke, Assessor Albert Müller (Datum der von Müller verfassten Niederschrift: 6.7.1938)

Müller betont, "dass er zu diesen Ausführungen von keiner dritten Stelle veranlasst worden ist, dass es sich vielmehr um eine ausgesprochen persönliche Initiative handelt, die er in der besten Absicht, den Interessen des Konzerns zu dienen, ergreift."
Müller stellt fest: "Die Entwicklung der Wirtschaft geht in Deutschland, wie auf anderen Gebieten schon viel länger, eindeutig den Weg, den die Staatsführung bestimmt. (:::) An dieser Stelle interessiert die Frage der Organisation des in Deutschland tätigen Unternehmens und zwar in der Richtung, wie eine entsprechend den gegebenen Verhältnissen reibungslose Tätigkeit entwickelt und gesichert werden kann. Es handelt sich hierbei um drei Gesichtspunkte:
1. Arisierung der deutschen Wirtschaft
2. Nationalisierung der Organe [Golay fügte handschriftlich hinzu: "Verdeutschung"]
3. Abwehr (politische, militärische und industrielle)."
Zu Punkt 1.) bemerkt Müller u.a.: "Inwieweit es in unserem Falle gelingt, die vorläufig von Unterfertigtem [i.e. Müller] vertretene These, dass die Lonza-Werke kein eigenes Verwaltungsorgan besitzen, mit Erfolg verteidigt werden kann (sic!), steht dahin. Dass die vertretungsberechtigten Personen, welche den Nürnberger Gesetzen nicht genügen, die Sti-
pulierung der Lonza-Werke als arisches Unternehmen hindern, sei der Vollständigkeit halber erwähnt." Müller spielt dabei wohl auf den Lonza-VR Armand Dreyfus an.

Zu Punkt 2.) bemerkt Müller, dass zwar keinerlei gesetzlichen Bestimmungen oder Verordnungen existieren. "Dies hindert jedoch nicht, dass in praxi das Unternehmen, das nicht oder nicht ausreichend deutsch organisiert ist, in vielen Beziehungen benachteiligt ist bezw. wird."

Zu Punkt 3.) führt er aus: "Aus nicht näher zu erörternden Gründen sind Unternehmen unserer Art in Deutschland durch spezielle Anweisungen verpflichtet, jegliche Art von Meldungen an im Ausland befindlichen Stellen (...) restlos zu unterlassen und für den Fall der Zuwiderhandlung unter die Strafbestimmungen betreffend Landesverrat gestellt."

Als Konsequenzen aus den o.g. Punkten sieht Müller
- für den VR: "Wenn der Verwaltungsrat der Lonza in Ermangelung eines entsprechenden Organs bei den Lonza-Werken als deren oberste Instanz angesehen wird, entspricht er nicht den Voraussetzungen, die nach Gesetz [i.e. die Nürnberger Gesetze] gegeben sein müssen, damit die Lonza-Werke ein arisches Unternehmen sind";
- für die Werksleitungen: "Die Werksleitungen Waldshut und Säckingen sind mit Ausländern besetzt. Im Falle Waldshut liegt im übrigen eine Erschwerung gemäss Ziffer 1) vor." Die Frau des finnischen Werksleiters von Waldshut soll eine Jüdin gewesen sein.

Aus all dem folgert Müller: "Nachdem zu Punkt 1.) gesetzliche Vorschriften vorliegen, zu Punkt 2.) keinerlei gesetzliche oder behördliche Regelung gegeben und damit eine etwaige Anpassung Ermessensfrage ist, bleibt Punkt 3.), bezüglich dessen generelle Vorschriften bestehen, als schwierigstes Problem übrig. Hier ist es sehr schwer an Hand analoger Fälle zu organisieren, da einerseits die Vorschriften je nach Betätigung des Unternehmens verschieden sind, der Verkehr zwischen den Unternehmen und den innerdeutschen Stellen eine wesentliche Rolle spielt und der Grad des Interesses an bestimmten Erzeugnissen einen Massstab für die Beurteilung der Frage abgibt. Schliesslich kommt es auch darauf an, welches Interesse das Unternehmen an möglichst reibungslosen und erfolgreichen Beziehungen zu den deutschen Stellen hat."

3. Schreiben des Lonza-Direktors Ernst Schenker an Golay (22.7.1938)

Schenker erwähnt, dass der Vorschlag, Informationen über die o.g. Punkte einzuholen, "insbesondere Herrn Assessor Müller nicht gefallen" wolle. "Herr Müller fürchtet alle Informationen und schriftlichen Anfragen gegenüber deutschen Behörden in diesen Fragen, besonders, wenn sie durch Ausländer unternommen werden. (...) Herr Müller glaubt, dass jedwelcher Schritt in dieser Beziehung durch Ausländer entweder nichts nützt, oder unglücklich ausgelegt werden dürfte und die Aufmerksamkeit auf Fragen lenkt, die wir keinen Anlass haben, irgendwie in den Vordergrund zu stellen."

4. Notiz zu den Akten des VR (5.10.1938)

"Wir dürfen als bekannt voraussetzen, dass in Deutschland die Staatsführung den Weg bestimmt, den die Wirtschaft zu gehen hat und sich ganz bestimmte Auffassungen herausgebildet haben, deren Beachtung man von der Wirtschaft verlangt. Die Wirtschaftsgebilde mit ausländischer Beteiligung sind in dieser Beziehung besonders exponiert und wir erachten es als einen Akt der Klugheit und in unserem Interesse liegend, diesen Auffassungen von uns aus Rechnung zu tragen, um uns nicht der Gefahr auszusetzen, Auflagen zu erhalten, bezw. Nachteile in Kauf nehmen zu müssen."

Konsequenzen für die Organisationsstruktur der Lonza-Werke GmbH: Erweiterung des Ausschusses als oberstes Verwaltungsorgan um ein "den deutschen Behörden genehmes" Mitglied zu einem "Beirat". "Dieses Organ müsste vom Verwaltungs-Rat der Lonza formal die Kompetenz zu selbständigen Entscheidungen erhalten. Wir stellen uns vor, dass der Verwaltungsrat der Lonza nur dann zu intervenieren hat, wenn die Lonza finanziell in Anspruch genommen wird, anderseits, dass es aber zulässig ist, die Lonza in grossen Zügen unter Wahrung der deutschen Belange zu informieren. Sollte das heutige deutsche Mitglied des Ausschusses deutscherseits nicht genehm sein, so hätte man sich nach einem solchen beispielsweise auch aus Kreisen der Regierungsstellen umzusehen.(...) Die Schweizer Beamten im Büro Waldshut sind allmählich durch deutsche Kräfte zu ersetzen."

Weitere, "besondere Massnahmen":
- Die Verantwortlichkeit, die seitens der deutschen Behörden insbesondere Herrn Assessor Müller hinsichtlich des Verkehrs mit dem Ausland auferlegt wird, erfordert es unbedingt, dass der gesamte schriftliche Verkehr über die deutsch/schweizerische Grenze über die Verwaltung Weil geführt wird und dass die zu diesem Verkehr persönlich zugelassenen Personen bestimmte Verpflichtungen übernehmen."
- "Während bei [der Kraftwerk] Reckingen [AG] und bei Lonzona das Verhältnis der deutschen zu den Schweizer Unterschrifts-Berechtigungen den heutigen Anforderungen entspricht, sind bei den Lonza-Werken Korrekturen notwendig. Wenn wir die Unterschriften derjenigen Herren, die im Rahmen der Neu-Ordnung gegenüber den deutschen Gesellschaften keine regelmässigen geschäftlichen Funktionen mehr auszuüben haben, löschen, werden 6 Schweizer-Unterschriften zurückzuziehen sein. Nachdem die Verwaltung Weil als ein selbständiges und verantwortliches Organ [für die Lonzona, das KW Reckingen und die Lonza-Werke] ausgebaut ist, entfällt wie bei den Schweizerwerken die Notwendigkeit der Unterschrifts-Berechtigung der Werksleitung Waldshut."

5. Rundschreiben Nr. 509 an die VR-Mitglieder (abgefasst von Golay, Datum: 7.10.1938)

"Die Notwendigkeit der immer vermehrteren Beachtung von Grundsätzen, die für die Wirtschaft in Deutschland gelten, sowie nicht zuletzt unser eigenstes Interesse erfordern unverzügliche, unaufschiebbare Massnahmen." Golay bittet daher für die VR-Sitzung vom 14.10.1938 um Zustimmung zu folgenden Anträgen:
- Erweiterung des Ausschusses der Lonza-Werke um einen "uns und den deutschen Behörden genehmen deutschen Vertreter,
- wobei diesem "Beirat" das Recht erteilt werden soll, "die Angelegenheiten der Lonza-Werke zu führen und zu entscheiden und den Verwaltungsrat der Lonza hierüber soweit auf dem Laufenden zu halten, als die deutschen Interessen dies zulassen."
- "Eine interne Neu-Organisation zu billigen, die die Verkaufstätigkeit der Lonza-Werke verselbständigt und verdeutsche und die Unterschriften derjenigen Herren, die gemäss dieser
Organisation bei den Lonza-Werken keine Funktionen mehr haben, zu löschen."

6. Protokoll der Geheimen Sitzung des VR der Lonza AG vom 14.10.1938

Golay erklärt, "es hätte sich nach Mitteilungen der Direktion, vor allem des Herrn Assessor Müller, die Zweckmässigkeit herausgestellt, die Organisation unserer deutschen Gesellschaften in vermehrtem Mass den Ansprüchen und Erwartungen der Behörden in vorsorglicher Weise anzupassen. (...) Die Entwicklung der politischen Lage und insbesondere die uns am 7. Oktober zugekommene Mitteilung, wonach die Herren Dr. Hackelsberger und Dr. Petersen inhaftiert seien, liess uns eine beschleunigte Verwirklichung der Anpassungs-
massnahmen dringend erscheinen. Dies, sowie die Mitteilung des Herrn Assessor Müller, dass er von Herrn Ministerpräsident Köhler auf den 14. Oktober zum Referat über diese Organisationsfragen geladen sei, gab Anlass zu einem ausserordentlichen Schritt, nämlich zum Rundschreiben vom 7. Oktober d.J. Nr. 509 an Verwaltungsrat" [s.o.].
Müller weist seinerseits daraufhin, "dass die Entwicklung der Wirtschaft in Deutschland eindeutig den Weg geht, welchen die Staatsführung bestimmt. (...) Daneben läuft eine in allen Sektoren greifende Überwachung, nicht zuletzt eine solche militärischen Charakters. Dieser Entwicklung, wie auch den bestehenden Tatsachen sollten wir im eigenen Interesse durch entsprechende Organisation der deutschen Gesellschaften im Sinne einer Verselbständigung und Verdeutschung Rechnung tragen."
Der VR folgt den Vorschlägen einstimmig und setzt rückwirkend zum 1.10.1938 den oben erwähnten "Beirat" ein.

7. Notiz zu den Akten des VR (11.1.1940)

"Vorerst ist festzustellen, dass die Betriebe der oben genannten Gesellschaften [Lonza-Werke und Lonzona] infolge ihres derzeitigen Charakters nach Angaben von Assessor Müller (und übereinstimmend mit den Mitteilungen anderer Gesellschaften in der gleichen Lage und in gleicher Kategorie) Schweizern in leitender Stellung nicht mehr zugänglich sind." Auch Direktor Schenker könne "für das Geschehen in den Werken keine Verantwortung mehr übernehmen. Aber auch im Sektor der allgemeinen Geschäftsführung bestehen Hindernisse für seine aktive Mitwirkung. Er kann die Geschehnisse in den deutschen Werken nur noch im Lichte derjenigen Angaben beurteilen, die uns Assessor Müller zukommen lässt, bezw. zukommen lassen kann. Nun ist evident, dass wir danach streben müssen, unsern Einfluss auf die Geschäftsführung wieder im frühern Ausmass zu nehmen, sobald es die Verhältnisse gestatten." Es wird vorgeschlagen, alle restlichen Schweizer Unterschriftsberechtigungen für die Dauer des Krieges zu löschen.
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