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1938-1950
SLB; Geschäftsbericht des Regierungsrates an den Zürcherischen Kantonsrat 1938-1950 (Finanzierung Flüchtlingspolitik)
Information Unabhängige Experkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg (UEK) (UEK)
Info UEK/CIE/ICE ( deutsch français italiano english):
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Geschäftsberichte der Jahre 1938-1950 systematisch ausgewertet, und zwar jeweils die Berichtsteile Polizeidirektion/Fremdenpolizei und Armen- bzw. Fürsorgedirektion/Kantonsfremde. Zudem punktuell die Berichtsteile Finanzdirektion und Volkswirtschaftsdirektion ausgewertet, wo sich aber bezüglich Flüchtlingspolitik (insbesondere finanzielle Beiträge des Kantons und Kautionsleistungen der Flüchtlinge) keine Hinweise fanden.
Zu den Recherchen befindet sich im Anhang ein 12seitiges handschriftliches Manuskript. Hier folgt die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse.

Beiträge an die Auswanderung
Grösster Beitrag an die Finanzierung der Flüchtlingspolitik waren die "kantonalen Beiträge an die Auswanderung ausländischer Emigranten nach Uebersee". Diese Beiträge wurden auf Gesuch der Schweiz. Zentralstelle für Flüchtlingshilfe (SFH) oder der ihr angeschlossenen Hilfswerke gewährt, und zwar in den Jahren 1940-42 und 1946-50. 1943-45 wurden keine Gesuche gestellt. 1940-49 galten folgende Voraussetzungen für die Beitragszahlungen:
1. die Personen mussten im Kanton ZH toleriert sein (nicht unbedingt identisch mit effektiver Erteilung einer Toleranzbewilligung, vgl. unten)
2. die Ausreise musste erfolgt sein
3. der Bund musste an die auf die Schiffskosten beschränkten Ausreisekosten einen mindestens doppelt so hohen Beitrag leisten.
Die Beiträge wurden also nicht den Flüchtlingen gegeben, sondern mit der SFH verrechnet, wo sie in den Jahresrechnungen (so vorhanden) - evtl. auch für andere Kantone - rekonstruierbar sein könnten.
Damit die Emigranten "nicht der allgemeinen Fürsorge anheim fallen und dadurch den Kanton Zürich in ungleich höherem Masse belasten" (1948, S. 216), wurden 1940-49 insgesamt Fr. 116 496.- an Aus- bzw. Weiterwanderer bezahlt (1949, S. 223), davon 89'900.- in den Jahren 1940 und 1941. Die Statistik trennt dabei zwischen Gesuchen und betroffenen Personen; der Beitrag pro Ausreise betrug anfänglich Fr. 200, später Fr. 400-500 pro Fall. Die Zahl der Gesuche lässt sich aufgrund der Angaben in den Geschäftsberichten exakt berechnen. 1950 wurden die Bestimmungen dem neuen ANAG angepasst; die kant. Beiträge betrugen nun 30% der effektiven Reisekosten und konnten neu nicht nur für tolerierte Emigranten, sondern auch für jene Auswanderer entrichtet werden, die eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besessen hatten. 1950 wurden bei 14 Gesuchen (26 Personen) weitere Fr. 6218.- bewilligt; 7 Gesuche wurden 1950 abgelehnt. In den anderen Jahren werden keine Ablehnungen erwähnt.

Dauerasyl
Ob das Dauerasyl zu den Kosten der Flüchtlingspolitik zu rechnen ist, muss diskutiert werden. Der Kanton Zürich hatte ursprünglich keine gesetzliche Grundlage, um solche Beiträge im Anschluss an die BRB vom 7. März und 16. Dezember 1947 betr. Dauerasyl auszurichten. Das entsprechende kant. Gesetz wurde am 19. Dezember 1948 mit 88 145 zu 57 248 Stimmen angenommen. Vom 1. April bis Ende 1949 bezahlte der Kanton 48 613.07 Fr.; im Jahr darauf betrugen die kant. Beiträge an jene 135 Personen, die Dauerasyl erhalten hatten und unterstützungsbedürftig waren, Fr. 99 711.-. (1950, S. 220. Die zusätzlich konsultierte Staatsrechnung 1950, S. 80, spricht von 199 711.- !).
Innerhalb der gesetzlichen Frist wurden 559 Anträge (740 Personen) auf Dauerasyl gestellt. Bis Ende 1950 konnten alle erledigt werden: 272 wurden von Bund und Kanton bewilligt; 190 wurden abgelehnt, 97 wurden aus verschiedenen Gründen hinfällig. (1950, S. 67). 1951 bezahlte der Kanton 208'332.- Franken für das Dauerasyl (Staatsrechnung 1951, S. 80).
Die Regelung des Dauerasyls privilegierte die Flüchtlinge gegenüber allen anderen Ausländern, da sie im Gegensatz zu letzteren wegen Unterstützungsbedürftigkeit nicht ausgewiesen werden durften (1947, S. 62).
Bis zum 31. August 1950 wurden rund 1000 ehem. Emigranten und Flüchtlinge im Kt. Zürich von der Ausreisepflicht (durch Dauerasyl, ordentl. Bewilligungen etc.) befreit. Weitere ca. 1200 Personen unterstanden immer noch der Ausreisepflicht, wovon rund 300 im Laufe des Jahres ausreisten. Auf Empfehlung der Bundesbehörden ermächtigte der Regierungsrat die Polizeidirektion, die restlichen ca. 900 Personen von der Ausreisepflicht zu befreien, sofern sie nicht schlecht beleumundet waren oder in anderen Kantonen registriert waren. (1950, S. 67-68).

Sonstige Hinweise

Die Geschäftsberichte geben Auskunft über die grobe Entwicklung des Flüchtlingsbestandes. Bis Ende 1938 hatten sich rund 4000 jüd. Emigranten gemeldet, von denen bis Jahresende 1800 ausgereist waren. Die anderen 2200 unterstanden der Pflicht zur Weiterreise; ihre Zahl betrug Ende 1939: 1800, 1940: 1400, 1941: 1450 (Erhöhung durch Aberkennung der Ausweispapiere durch ihren Heimatstaat!), 1943: 1681 mit Ausreisepflicht, weitere 285 Toleranzbewilligungen ohne Ausreisepflicht wurden - v. a. an ehem. Schweizerinnen - erteilt. 1946 ist von insgesamt 3469 "Emigranten und privatinternierten Flüchtlingen" die Rede; dazu kommen 534 ordentliche Toleranzbewilligungen sowie 492, ebenfalls tolerierte, Refraktäre.
Anmerkung UEK: Es zeigt sich, dass zwischen "ordentlichen Toleranzbewilligungen" und tolerierten Emigranten unterschieden wird. Was dies exakt heisst, ist z. Z. noch nicht klar. Vermutlich gelten als ordentliche Toleranzfälle jene, die durch den Verlust ihrer gültigen Reisepapiere Schwierigkeiten erhalten, zuvor aber (evtl.) die Niederlassung hatten. Die Unterscheidungskriterien dürften Ausreisepflicht ja/nein und Bezahlung/Nichtbezahlung einer Kaution sein, wobei dieses Prinzip nicht strikt eingehalten zu werden scheint. Vermutung, dass die "tolerierten Emigranten" in der Regel keine Kautionen leisteten.

Die Statistik der Entscheide über Einreise, kurzfristige Aufenthaltsbewilligungen, Aufenthaltsbewilligungen mit Einspracherecht des EJPD und Wegweisungen verzeichnet nur die schriftlichen rekursfähigen Entscheide. "Hinzu kommen die zahlreichen, statistisch nicht erfassten Gesuche, welche im mündlichen Verfahren erledigt und meistens wegen Aussichtslosigkeit zurüchgezogen werden." (1939, S. 52).

1946 wird zugunsten bedürftiger Flüchtlinge zudem eine Naturalaktion durchgeführt, d. h. Brennstoffe und Nahrungsmittel werden verbilligt abgegeben. Stadt und Kanton (Lotteriefonds) bezahlen je Fr. 6412.-. "Eine Zusammenfassung der während der ganzen Aktion den Flüchtlingen und Emigranten zugute gekommenen Verbilligungsaktionen ist nicht möglich, weil die Zahlen teilweise unter den allgemeinen Aktionen enthalten sind." (1946, S. 178).
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