Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 8, doc. 87
volume linkBern 1988
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001B#1000/1503#1360* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(B)1000/1503 49 | |
Dossier title | Kaiser Karl I. und sein Gefolge; Dokumente I, II, III und IV (1918–1922) | |
File reference archive | B.44.142.2 |
dodis.ch/44729 Notice du chef de la Division des Affaires étrangères du Département politique, P. Dinichert1
Wie am Vorabend vereinbart, fand ich mich in Hertenstein am 18. Mai, 3 Uhr nachmittags, ein. Der König empfing mich sofort in einfachster, sehr freundlicher Weise und redete mich in französischer Sprache an. Auf meine Frage, ob er vorziehe sich in französischer oder deutscher Sprache mit mir zu unterhalten, antwortete er, er wolle mir dies ganz überlassen.
In deutscher Sprache eröffnete ich dem König auftragsgemäss, dass der Bundesrat von seiner Absicht, die Schweiz im Laufe des Monats August endgültig zu verlassen, Kenntnis genommen habe und dem vom König ausgesprochenen Wunsche, bis dahin sich weiter in der Schweiz aufhalten zu können, gerne entspreche. Damit glaube der Bundesrat folgende Bedingungen verknüpfen zu sollen:
1. Der König und sämtliche Personen, die bei ihm weilen, werden sich jeder politischen Tätigkeit enthalten.
2. Das Politische Departement soll mindestens 3 Tage vor der beabsichtigten oder einer allfällig früher stattfindenden Abreise davon verständigt worden sein.
3. Die gewöhnliche Residenz des Königs in der Schweiz wird Hertenstein sein. Sollte der König wünschen, sich vorübergehend anderswo aufzuhalten, so wird er sich diesfalls mit dem Politischen Departement ins Benehmen setzen.
Der König wiederholte zu zwei Malen die ihm mitgeteilten Bedingungen und erklärte, diesen ohne weiteres zuzustimmen. Ich bestätigte auf seine Anfrage, dass es sich bei den vorübergehenden Aufenthaltsveränderungen, die eine Verständigung mit dem Politischen Departement voraussetzten, um Aufenthalte vor einer gewissen Dauer und nicht um blosse Ausflüge von 1–2 Tage handle. Dabei kam ich auf Disentis zu sprechen, indem ich sagte, dass wir von seinem Wunsche, sich gegebenenfalls für einige Zeit nach Disentis begeben zu können, gehört hätten. Das Politische Departement hoffe zwar einem solchen Wunsche willfahren zu können, doch habe ich die Pflicht zu bemerken, dass dem Bundesrate ein Aufenthalt von einiger Dauer anderswo als in einem Grenzkanton lieber wäre. Der König entgegnete, das sei ihm begreiflich und er würde sich in Disentis, falls er überhaupt hinginge, nur ganz wenige Tage aufhalten. Hierauf erklärte ich, dem dürften keine Bedenken entgegenstehen.
Ich fuhr fort, indem ich kurz erwähnte, dass, nachdem der König sich entschlossen hätte, die Schweiz in etwa 3 Monaten zu verlassen, der Bundesrat rasch die Entschliessungen treffen konnte, die ich dem König mitzuteilen beauftragt sei, währenddem der Bundesrat, solange es sich um einen unbefristeten Aufenthalt handelte, sich Rechenschaft geben musste, dass gewisse Schwierigkeiten bestünden, die eine Prüfung und Abklärung nach allen Seiten erheischten; deshalb wäre der Bundesrat noch nicht zu einem endgültigen Beschlüsse gelangt, als er von dem kürzlichen Entschlüsse des Königs Kenntnis erhielt. Darauf antwortete der König ziemlich genau Folgendes: «Ich muss doch auch vernehmen, was in der Welt gesagt und geschrieben wird und so erkannte auch ich jene Schwierigkeiten, denen gegenüber der Bundesrat sich befand. Ich hielt es deshalb für meine Pflicht, nicht dazu beizutragen, dem Bundesrat und der Schweiz solche Schwierigkeiten zu bereiten und nahm spontan den Entschluss, die Schweiz im Laufe des Sommers zu verlassen. Ich werde dies im August tun und darf hoffen, bis dahin das Land gefunden zu haben, wohin ich mein Exil verlegen kann.» Der König fügte bei, ohne dass ich irgend eine diesbezügliche Frage gestellt hätte, er wisse dermalen noch durchaus nicht, wohin er sich von der Schweiz begeben werde; Spanien komme kaum in Betracht; er machte beiläufig eine Bemerkung hinsichtlich im Norden gelegener Länder. Der König sagte weiter, er werde uns über das Ergebnis seiner Unterhandlungen wegen seines zukünftigen Aufenthaltsortes auf dem Laufenden halten. Dazu glaubte ich bemerken zu sollen, dass ich keinerlei Auftrag habe und der Bundesrat wohl nicht daran denke, ein solches Begehren zu stellen, dass der Bundesrat aber mit Interesse die in Aussicht gestellten Mitteilungen erhalten und auch mit Genugtuung vernehmen werde, dass der König und die Königliche Familie bald aus dieser Unsicherheit herausgekommen sein würden. Hier sagte der König, er möchte sich Vorbehalten, falls die klimatischen Verhältnisse des betreffenden Landes im Zeitpunkte seiner Abreise aus der Schweiz für seine kleinen Kinder nicht günstig sein sollten, zu bitten, dass die Kinder länger in der Schweiz verweilen dürften. Ich antwortete, dass, da die Frage bisher nicht gestellt worden sei, ich keine bindende Antwort geben könne, dass meine persönliche Auffassung aber sei, dass gegen eine Verlängerung des Aufenthaltes der Kinder in der Schweiz wohl keine Bedenken bestehen dürften. Lachend bemerkte der König: «Meine Kinder werden ja keine Politik treiben.» Von der Königin war während der ganzen Besprechung mit keinem Worte die Rede.
Sodann begann der König von ändern Dingen zu sprechen: von der Krisis in der schweizerischen Fremdenindustrie und der derzeitigen wirtschaftlichen Lage der Schweiz überhaupt, von der Valuta, von Russland und insbesondere von der verzweifelten Lage Österreichs. Dieses brauche bedeutende Kredite zu seiner Wiederaufrichtung, aber auch diese wären unnütz, wenn die Autorität, die jetzt kaum mehr bestehe, nicht wieder hergestellt würde. Die jetzige Regierung treffe wohl Beschlüsse und gebe Weisungen; sie würden aber nirgends befolgt. Der König dachte wohl, dass er diese Autorität wieder herstellen wollte, sagte es aber nicht.
In dieses mehr persönliche Gespräch Hess ich mich gerne ein, um unserer Unterredung den Charakter einer nackten Mitteilung und Entgegennahme von Aufenthaltsbedingungen zu nehmen.
Ich muss noch sagen, dass mir der König einen bessern Eindruck machte, als ich, nach allem was ich bisher gehört, erwartet hatte. Er hat einen hellen, klaren Blick, sieht einem mit einer gewissen Gemütlichkeit direkt ins Auge und gibt den bestimmten Eindruck der Aufrichtigkeit. Seine Bemerkungen sind zutreffend, logisch, obwohl er sich nicht mit besonderer Leichtigkeit ausspricht und zu oft zu dem «ich meine» Zuflucht nimmt. Als ich mich verabschiedete, dankte der König wiederholt für den Besuch und die ihm gemachten Mitteilungen. Die Unterredung hat ungefähr 3/4 Stunden gedauert.
Zur grösseren Sicherheit übergab ich noch bei meinem Verlassen dem Adjutanten des Königs, Kapitän von Schonta, eine schriftliche Aufzeichnung der erwähnten drei dem König mitgeteilten und von ihm angenommenen Bedingungen.2
- 1
- E 2001 (B) 3/49. Cette notice est intitulée: Aufzeichnung über die im Aufträge des Bundesrates mit König Karl von Ungarn in Hertenstein stattgehabte Unterredung. Dans sa séance du 17 mai, le Conseil fédéral s’est prononcé au sujet des conditions du séjour du Roi Charles de Habsbourg. Diese Bedingungen sollen dem König durch den Chef der auswärtigen Abteilung des politischen Departements eröffnet werden, und der König hätte feierlich zu erklären, dass er sie annehme. Hierüber würde vom genannten Beamten ein Protokoll aufgenommen (E 1005 2/2).↩
- 2
- Le 19 mai, le Département politique publiait le communiqué suivant: Le Roi Charles de Hongrie a fait part, le 14 mai, au Conseil fédéral de son intention de quitter définitivement la Suisse dans le courant du mois d’août et a demandé, par conséquent, de pouvoir continuer à résider en Suisse jusqu’à cette époque. Le Conseil fédéral a pris acte de cette communication et a accédé à la demande du Roi après que celui-ci eût donné son adhésion aux conditions mises à son séjour. Le Roi a notamment déclaré d’une manière formelle, pour lui-même et pour les personnes qui séjournent auprès de lui, qu’ils s’abstiendront de toute activité politique pendant leur présence en Suisse (E 2001 (B) 3/49).↩