Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 349
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.36-06#1000/1740#8* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.36-06(-)1000/1740 2 | |
Dossier title | Korrespondens und Uebereinkommen vom 6. Dez. 1917 -Schweiz-War Trade Board (1918–1918) | |
File reference archive | 1 |
dodis.ch/43624
Wir zählen heute den 2. November, die Schweizerische Delegation reist morgen ab2, und noch immer bin ich nicht in der Lage, Ihnen den mit meinem Telegramm Nr. 57 vom 8. Oktober3 in Aussicht gestellten Entwurf über dieses Abkommen zu übermitteln.
Die damaligen Verhandlungen berechtigten zu der Hoffnung, dass die Dinge ohne weiteren Aufschub innert wenigen Tagen in Ordnung kommen würden. Leider hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt, und ich bin seither auf recht harte Geduldsproben gestellt worden. Der Exports Administrative Board (jetzt War Trade Board) hielt es für nötig, den bis dahin mehr in der Form grundsätzlicher Punktationen fixierten Verhandlungen ein etwas ausführlicheres Kleid anzulegen, dessen Ausarbeitung innert weniger Tage hätte erfolgen sollen. Trotz fortwährenden Drängens ist mir aber das Aktenstück erst am 26. Oktober abends zugestellt worden, nachdem es auf dem bekannten speditiven Dienstweg durch eine Anzahl Administrationen hindurchgegangen ist und dort jeweils tagelang liegenblieb.
Aber meine Enttäuschung war nicht gering, als ich beim Studium gewahr wurde, dass, abgesehen von der unverdaulichen englischen Lawyer-Sprache, der Verfasser offenbar nicht die geringste Ahnung von den Verhältnissen und Abmachungen hatte. Alles war tatsächlich auf den Kopf gestellt; die Vorlage war nicht einmal für die Wiederaufnahme der Verhandlungen brauchbar, und es blieb mir nichts anderes übrig, als sie vollständig umzuarbeiten. Dieses Resultat ist die Folge der unsorgfältigen und oberflächlichen Art und Weise, in der die Verhandlungen von Anfang an von der ändern Seite geführt worden sind.
Ich hoffte, sie anfangs dieser Woche aufgrund meines umgearbeiteten Entwurfes sofort wieder aufnehmen zu können, wurde aber daran infolge Abwesenheit des Mitgliedes des War Trade Board, dem die schweizerischen Angelegenheiten übertragen sind (Dr. Taylor), verhindert. Zwar erklärte sich der War Trade Board durch Bezeichnung eines Stellvertreters zur Wiederaufnahme bereit, ich habe sie aber in höflicher Form abgelehnt, da ich angesichts der subjektiven und objektiven Umstände von einer solchen - in Abwesenheit von Dr. Taylor - nur eine Vermehrung der Konfusion voraussah. So gehen kostbare Tage dahin, ohne dass die Dinge irgendwie vorwärts kommen.
Wie Sie meinem Telegramm Nr. 994 entnehmen, ist nun doch wenigstens die provisorische Wiedereröffnung der Exporte unter gewissen Bedingungen zugesagt worden. Aber auch hier will die Sache nicht vorangehen. Es vergeht kein Tag, ohne dass mein neuer kommerzieller Mitarbeiter, Herr Ing. Friedrich Öderlin (über dessen mir seit Jahren bekannte Qualitäten ich mich auch heute nicht lobend genug aussprechen kann), oder ich in dem Bureau des War Trade Board zur Beschleunigung mahnen. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass neben der dortigen allgemeinen Arbeitsüberhäufung und Verwirrung wohlwollende und hemmende Kräfte einander die Waage halten, so dass wir nicht recht über den Nullpunkt hinauskommen. Ich betrachte es als meine Aufgabe, kein Mittel unversucht zu lassen, um ohne Brüskierung zum Ziele zu gelangen; sehe aber schon, dass es ohne kräftige Sprache bei gewissen Leuten nicht abgehen wird.
Wenn ich mich heute dazu entschliesse, Ihnen in der Beilage den Entwurf5 zu übermitteln, den ich in Zusammenfassung der bisherigen schriftlichen und mündlichen Verhandlungen als Basis für die in den nächsten Tagen wieder aufzunehmenden Diskussionen aufgestellt habe, so tue ich es lediglich deshalb, weil ich Eile für geboten halte und Sie so gut wie möglich darüber orientieren möchte, wie ungefähr der Rahmen dieses Abkommens aussehen soll. Diese Übermittlung wird wenigstens den Vorteil haben, dass sie den späteren Kabelverkehr erleichtern kann.
Ich bitte daher alle massgebenden Instanzen dringend, das Dokument mit grosser Vorsicht und absolut vorurteilslos zu gemessen; es ist in vieler Hinsicht nur ein Konzept und enthält noch Schlacken, die ich im Laufe der weiteren Verhandlungen zu beseitigen hoffe. Das Abkommen gliedert sich in einen allgemeinen Teil, in welchem die allgemeinen Bedingungen niedergelegt sind, und einen speziellen Teil, welcher die amerikanischen Kontingente der einzelnen Waren enthält, unter Beifügung der speziellen Bedingungen, denen einzelne Warenkategorien noch besonders unterworfen werden sollen.
[...]6
Sie sehen aus dem Vorstehenden, dass der War Trade Board das gegenwärtige Regime der S.S.S. akzeptieren will, ausgenommen in den folgenden 6 Punkten, in denen weitere Einschränkungen verlangt werden:
1. Ausschluss der Verwendung von Maschinen, Schmiedestücken und Maschinenteilen für die Herstellung von Kriegsmaterial im engern Sinn für die Zentralmächte.
2. Ausschluss der Verwendung der in Schedule C genannten Materialien, insbesondere von Schmieröl für diese Fabrikation.
3. Ausfuhrverbot für Konservenfleisch.
4. Ausfuhrverbot für amerikanische Baumwolle nach den Zentralmächten in irgendeiner Form.
5. Einschränkung der Schuh-Ausfuhr nach den Zentralmächten.
6. Limitierung der Zigarren- und Zigaretten-Ausfuhr nach den Zentralmächten auf 2000 Tonnen jährlich.
Nachdem ich ursprünglich starke Bedenken trug, ob es möglich wäre, diesen Bedingungen entgegenzutreten, habe ich in letzter Zeit wieder mehr Hoffnung. Die Stimmung gegenüber der Schweiz hat in den letzten Monaten infolge der rührigen Tätigkeit der Mission und des wiedergewonnenen Zutrauens zur Schweiz erfreuliche Fortschritte gemacht. Der Präsident und das Staatsdepartement haben übereinstimmend die allgemeine Erklärung abgegeben, dass die hiesige Regierung keineswegs im Sinne habe, der Schweiz gegenüber eine weniger wohlwollende Haltung einzunehmen als die ändern Alliierten, und endlich habe ich auch nach und nach den Eindruck gewonnen, dass unsere wirtschaftliche Macht und Leistungsfähigkeit der Entente durchaus nicht als quantité négligeable erscheint. Insbesondere Frankreich scheint alles Interesse daran zu haben, dass die Schweiz nicht vor den Kopf gestossen wird. Ich halte es deshalb durchaus nicht für ausgeschlossen, dass bei einer zweiten Offensive Amerika beigibt und sich bedingungslos auf den bisherigen S.S.S.-Standpunkt stellt. Taktisch halte ich es für richtig, wenn diese zweite Offensive erst erfolgt, nachdem ich von Ihnen über alle Punkte, die Sie im Abkommen zu ändern oder ihm beizufügen wünschen, orientiert worden bin. Eine zusammenhängende Behandlung aller pendenten Punkte zur gleichen Zeit ist einer zersplitterten Aufnahme von einzelnen Punkten vorzuziehen. Inzwischen dürften dann auch Ihre Vorstellungen bei der französischen und englischen Regierung, um die ich Sie in meinem Kabel Nr. 99 gebeten gäbe, ihre Früchte getragen haben.
Angesichts der immerwährenden Verzögerungen ist Eile geboten. Ich hoffe daher auf Ihre baldigen Instruktionen. Wenn die viel heiklere Schiffsfrage einigermassen befriedigend gelöst werden kann, so darf wohl die Schweiz mit einer gewissen Ruhe der Zukunft ihrer Rohstoffversorgung, soweit sie von Amerika abhängt, entgegensehen.
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Economic and financial negotiations with the Allies (World War I)