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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 22, doc. 45
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2003-03#1976/44#1* | |
Old classification | CH-BAR E 2003-03(-)1976/44 1 | |
Dossier title | Technische Hilfe - Allgemeines und Prinzipielles (1960–1963) | |
File reference archive | t.900 |
dodis.ch/30144
Der Delegierte für Technische Zusammenarbeit, H. Keller, an den Vorsteher des Politischen Departements, F. T. Wahlen1
Notiz an Herrn BundesratWahlen über Richtlinien für unsere technische Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern
Die im Kreise meiner Mitarbeiter abgehaltenen Besprechungen zu diesem Thema sind von Herrn Mentha in beiliegendem Text2 zusammengefasst worden. Einzelne Punkte könnten vielleicht anders formuliert, weggelassen oder noch ergänzt werden; im ganzen lässt das Dokument aber die Linien erkennen, welche sich auch für die Zukunft ergeben haben. Diese Richtlinien, die im wesentlichen schon in der Botschaft des BR vom 5. Mai 19613 angekündigt wurden, lassen sich wie folgt skizzieren:
1. Zweck: Hilfe zur Selbsthilfe
Hauptzweck ist das Anspornen der Selbsthilfe mit dem Ziel der Erhöhung des Lebensstandards. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Ent wicklungsland selbst nicht nur mitwirkt, sondern einen wesentlichen Teil der Last und der Verantwortung trägt (Partnerschaft). Nichts darf ohne Zustimmung und Mitarbeit unseres Partnerlandes unternommen werden. Das gilt auch für unsere privaten Organisationen. Auch politische Erwägungen führen zu diesem Grundsatz («no strings attached»). Hauptsache ist immer die Förderung der vorhandenen wirtschaftlichen Kräfte, vor allem der Lebensmittelproduktion. Aufbau von unten und nicht von oben, Verzicht auf Prestige- und Paradewerke.
2. Methoden: Stipendien, Experten, Material, Projekte, Dokumentation
Vermittlung von «know how», also von beruflichen und andern Kenntnissen an Stipendiaten und Praktikanten. Den Hochschulstudien wurde bisher grosse Bedeutung beigemessen. Viel dringender benötigen die Entwicklungsländer Werkmeister, Vorarbeiter, Beamte und Angestellte für Verwaltung und Volkswirtschaft als «Unteroffiziere». Hier kann unser Land manches bieten, was besonders benötigt wird, wo rasch ein Resultat erreicht wird, wie z. B. im Hotelfach oder in Industrie und Gewerbe. Unsere Tendenz geht immer mehr zur «formation sur place». Verschiedene Projekte zur Ausbildung der Kader im Entwicklungslande selbst sind in Prüfung auch bei privaten Organisationen und Hochschulen. Soweit die Ausbildung in der Schweiz nötig ist, muss die Auswahl nach sehr strengen Kriterien durch schweizerische Vertrauensleute vorgenommen werden. Mit Kollektivkursen wurden gute Erfahrungen gemacht, ebenso mit einzelnen Studienaufenthalten. Gruppenreisen verlangen dagegen kritische Vorprüfung; Vergnügungsreisen sind keine technische Hilfe.
Expertenhilfe ist meistens die beste Formel. Unsere Experten sind sehr gesucht, aber wir können wegen Personalmangel nicht allen Begehren entsprechen. Öffentliche und private Arbeitgeber sollten da und dort noch mehr Entgegenkommen zeigen. Unsere Expertengehälter benötigen eine Anpassung an Ansätze anderer Länder und der UNO. Ferner benötigen wir bessere Vorbildung unserer Experten für spezielle Aufgaben.
Material soll auch in Zukunft in der Regel nur auf Anraten unserer Experten, oder im Zusammenhang mit unseren anderen Aktionen geliefert werden. Bargeld wird bilateral nie gewährt.
Grössere Projekte sind in Prüfung. Die tatkräftige Mitarbeit privater schweizerischer Organisationen und gründliche Vorarbeit berechtigen zur Annahme, dass die Schweiz Projekte, speziell solche agrarischer Natur, mit Aussicht auf gute Resultate übernehmen kann. Das Hauptproblem ist personeller Art: ohne den richtigen Mann am richtigen Platz zu haben, wird aller Aufwand fragwürdig. Enttäuschungen werden [nicht fehlen.
Oft kann Hilfe auch durch Dokumentation geleistet werden: Fachwerke, Lehrbücher, wissenschaftliche und technische Zeitschriften sowie Filme und anderes modernes Anschauungsmaterial.
3. Schweizerische Infrastruktur für technische Hilfe;
Mitarbeit privater Organisationen; Koordinierung
Unsere «Infrastruktur» muss noch verstärkt werden. Zu diesem Zweck sind grössere Beiträge des Bundes an das Tropeninstitut in Basel4, an das Institut des Hautes Etudes internationales in Genf und an andere Stellen5 vorgesehen. Soweit nötig und möglich, dürften namentlich auch jene Organisationen mit Bundesmitteln unterstützt werden, welche für die praktische Tätigkeit mit den Entwicklungsländern besonders geeignet sind. Einige Organisationen, die sich bisher vorwiegend mit charitativer Hilfe befassten, wenden sich nun immer mehr der technischen Hilfe zu. Dadurch entsteht ein Problem der Koordinierung. Doppelspurigkeiten und Zersplitterung unserer beschränkten Kräfte sind zu vermeiden. Aber auch die Entwicklungsländer beharren konsequent auf dem Grundsatz, dass technische Zusammenarbeit eine Angelegenheit von Regierung zu Regierung sei. Die Koordinierung ist in erster Linie Sache des EPD, sowohl nach aussen als nach innen (Kompetenzausscheidung mit dem Eidg. Departement des Innern).
4. Auswahl der Länder
Grundsätzlich keine Diskriminierung irgendeines Entwicklungslandes; praktisch jedoch eine Auswahl nötig. Am besten sind die Aussichten dort, wo schon beträchtliche Beziehungen sowie schweizerische Stützpunkte bestehen: Unternehmungen, Plantagen, Schulen, Missionen, Schweizervereine, angesehene schweizerische Persönlichkeiten usw. Wir beschränken unsere Aktionen aber auf Länder, mit denen diplomatische oder konsularische Beziehungen bestehen, weil wir auf die Mitwirkung unserer offiziellen Vertretungen angewiesen sind. Falls unsere Beziehungen in ein kritisches Stadium treten, wie z. B. gegenwärtig bei Ägypten6, so sind weitere schweizerische Leistungen in Frage gestellt; auch die Gestaltung unserer wirtschaftlichen Beziehungen muss angemessen berücksichtig werden. Im übrigen helfen wir aber auch Ländern, deren politisches Regime für uns nicht annehmbar wäre (Jugoslawien, Polen, Guinea, Irak usw.). Enge Zusammenarbeit mit der Abteilung für Politische Angelegenheiten.
5. Auswahl der Berufssektoren
Land- und Forstwirtschaft, Viehzucht, Fremdenverkehr und Hotellerie, Bank- und Versicherungswesen, Feinmechanik, Landvermessung und Photogrammetrie, Erziehung, öffentliche Verwaltung, PTT Dienste etc.
6. Faktoren, die unsere Arbeit begünstigen
Als neutraler Kleinstaat geniessen wir bei den Entwicklungsländern ein beträchtliches Ansehen. Wir besitzen Erfahrungen im Verkehr mit der ganzen Welt. Wir müssen auch verstehen, warum die Afrikaner und die Asiaten sich gerade jetzt gern an die Schweiz wenden. Wir haben letzten Endes selbst ein Interesse am Ausbau unserer Beziehungen zu den aufstrebenden jungen Völkern, deren politisches Gewicht zunimmt. Unser Parlament hat beträchtliche Mittel genehmigt, sowohl für die bilaterale, als auch die multilaterale Hilfe7; auf beiden Sektoren wird unsere Arbeit geschätzt und sollte deshalb aus gebaut werden, soweit unsere relativ strengen Kriterien es zulassen. Vielleicht sind wir bald einmal mehr, als wir heute ahnen, auf unsere Positionen in den Entwicklungsländern angewiesen.
- 1
- (Kopie): E 2003-03(-)1976/44/1. Paraphe: KH.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Vgl. Nr. 39, Anm. 18, in diesem Band.↩
- 4
- Mit Beschluss vom 10. April 1962 gewährte der Bundesrat dem Schweizerischen Tropen institut für die Jahre 1962, 1963 und 1964 Bundesbeiträge von jährlich maximal 200’000 Franken. Vgl. das BR-Prot. Nr. 672 vom 10. April 1962, E 1004.1(-)-/1/660.1.↩
- 5
- Dem Institut Universitaire des Hautes Etudes internationales wurde ein jährlicher Beitrag von 100’000 Franken zuteil. Vgl. die Zusammenstellung Finanzierung von Aktionen Schweizerischer Organisationen des Delegierten für Technische Zusammenarbeit, E 2003-03(-)1976/44/56.Für Details zu Zahlungen an andere schweizerische Institutionen, die sich 1962 auf insgesamt 1’089’557.30 Franken beliefen, vgl. ibid.↩
- 6
- Vgl. Nr. 40, Anm. 3, in diesem Band.↩
- 7
- Vgl. Nr. 39, Anm. 22, in diesem Band.↩
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