Classement thématique série 1848–1945:
I. LA SUISSE ET LA SOCIÉTÉ DES NATIONS
I.6 OFFICE NANSEN
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 113
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1554#409* | |
Dossier title | Liquidation de l'Office international Nansen (1936–1938) | |
File reference archive | E.75.221 |
dodis.ch/46373
Mit Schreiben vom 1. Juli d. J. B.75.211.MC2 unterbreiteten Sie uns den Bericht3 von Herrn Michael Hansson über die Frage der Aufhebung des «Office Nansen pour les réfugiés» mit der Bitte, Ihnen unsere allfälligen Bemerkungen zu dieser Frage bekanntzugeben. Wir beehren uns, Ihnen folgendes zur Kenntnis zu bringen:
Die Schweiz beherbergt im Verhältnis zur Gesamtzahl der russischen, armenischen und assimilierten Flüchtlinge nur eine relativ kleine Zahl derselben, im ganzen etwa 2500. Abgesehen von einer kleineren Zahl von Flottanten, die in der Schweiz auftauchen oder uns von ändern Ländern zugeschoben werden, sind die meisten dieser Flüchtlinge seit Jahren bei uns ansässig, wo sie hinsichtlich fremdenpolizeilicher Behandlung und Erwerbstätigkeit sehr liberal behandelt werden. Die Schweiz ist allen provisorischen Abmachungen von 1924, 1926 und 1928 über die Identitätsausweise und die Rechtsstellung der Flüchtlinge beigetreten und hat sie strikte gehandhabt. Unsere Beziehungen zum Office Nansen, die sich aus Fragen der Behandlung der Flüchtlinge ergaben, geben uns zu keiner Kritik Anlass. Der Verkehr war stets korrekt und freundschaftlich und die nicht sehr zahlreichen Interventionen des Amtes führten u. W. nie zu grundsätzlichen Schwierigkeiten, zumal das Office Nansen der Lage unseres Landes, welche die Aufnahme neuer Flüchtlinge nicht gestattet, Rechnung trug. Die Schweiz ist an sich, was die vorwürfige Frage des weitern Bestehens oder der Auflösung des Office Nansen anbetrifft, wohl weniger interessiert als viele andere Staaten. Wir könnten für uns allein vielleicht sagen, da wir weder in der Behandlung «unserer» Russen und Armenier noch in der Zulassung neuer Flüchtlinge dieser Kategorie unsere Haltung ändern wollen, dass die Frage für die Schweiz nicht sehr wichtig sei. Anders muss aber wohl die Beantwortung ausfallen, wenn man das Flüchtlingsproblem in seiner Gesamtbedeutung und seinem Gesamtausmass behandeln und würdigen will. Die sehr grosse Zahl der heimatlos gewordenen und schriftenlosen Flüchtlinge, die meist über wenig oder keine Mittel verfügen, ferner die Tatsache, dass die Wirtschaftskrise in den meisten Ländern dazu führt, dass die Flüchtlinge allenthalben nur schwer in den Arbeitsprozess eingeführt werden können und es für die Aufenthaltsländer angesichts der eigenen Schwierigkeiten schwer fällt, sich der Flüchtlinge anzunehmen, beweist, dass die Flüchtlingsfrage vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, ein schwieriges Problem darstellt. Man kann ja nicht behaupten, dass es dem Office Nansen gelungen sei es zu lösen, allein wenn man die entgegenstehenden Schwierigkeiten würdigt, darf dies nicht verwundern. Für die restlose Lösung des Problems wären sehr grosse Geldmittel, Raum und Arbeitsgelegenheit für die Flüchtlinge Voraussetzung. Dass dies alles nicht in ausreichendem Mass vorhanden ist und beschafft werden konnte, darf man kaum dem Nansenamt in die Schuhe schieben. Seine Auflösung wäre gerechtfertigt, wenn nichts getan und nichts erreicht worden wäre. Wie sich aber aus dem Bericht des Herrn Hansson und übrigens auch aus früheren uns bekannten Berichten ergibt, sind immerhin hinsichtlich der Placierung von Flüchtlingen ansehnliche Erfolge zu verzeichnen. Dass noch nicht alles getan wurde und werden konnte ist kein Grund, das Werk im Stiche zu lassen. Vielleicht liegt das Hauptverdienst des Office Nansen mehr noch in seinen Bemühungen, den Flüchtlingen eine Rechtsstellung zu verschaffen (Konvention von 1933) und sodann vor allem in der geleisteten Kleinarbeit, die darin besteht, dass es selbst und seine Kommissäre in den verschiedenen Ländern sich bemüht haben, das Los des einzelnen Flüchtlings im allgemeinen, seine Lebens-, Aufenthalts- und Erwerbsbedingungen zu verbessern und ihnen mit Ratschlägen und Wegleitungen beizustehen. Wir zweifeln daran, dass die Lage der Flüchtlinge heute so sei, dass sie nicht durch die Auflösung des Office Nansen erneut stark erschüttert und verschlechtert würde. Die Konvention von 1933 (die leider durch weitgehende Bestimmungen über die Zulassung der Flüchtlinge zur Erwerbstätigkeit, Armenunterstützung usw. für viele Staaten unannehmbar wurde) könnte keinen vollwertigen Ersatz bringen. Der Wegfall des Office Nansen würde nach unserer Auffassung den Flüchtlingen eine in vielen Fällen wirksame effektive und moralische Stütze rauben und sie noch schutzloser machen als sie es ohnehin sind. Ganz abgesehen davon, dass es kaum unsere Sache sein kann, dem Drängen von Sovietrussland nach Aufhebung des Nansenamtes Unterstützung zu leihen, neigen wir auch aus sachlichen Gründen zur Auffassung, dass die einstweilige Beibehaltung des Nansenamtes erwünscht, ja notwendig sei. Zum mindesten erscheint es uns erforderlich, dass man nicht die Arbeit an sich einfach preisgibt, sondern sie vielleicht einer ändern Stelle des Völkerbundes übertragen würde. Sollte dies aber als nötig anerkannt werden, so wäre nicht einzusehen, weshalb das Amt als solches nicht beibehalten werden sollte, das über die nötigen Einrichtungen und Erfahrungen verfügt und unter vorzüglicher Leitung steht4.
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