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Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus, Bd. 3. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der UNO 1942–2002, vol. 15, doc. 37
volume linkBern 2022
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.36#2000/291#704* | |
Dossier title | Beziehungen der Schweiz zur UNO, Allgemeines (1985–1988) | |
File reference archive | 712.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.60#1995/325#215* | |
Dossier title | Généralités (1981–1987) | |
File reference archive | 712.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2023A#1998/212#2749* | |
Dossier title | Adhésion de la Suisse, Band 2 (1986–1986) | |
File reference archive | o.714.1 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.190#2000/230#138* | |
Dossier title | Beziehungen der Schweiz zur UNO (1985–1988) | |
File reference archive | 712.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.19-03#1996/76#489* | |
Dossier title | Genéralités (1985–1988) | |
File reference archive | 712.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.168#2001/139#132* | |
Dossier title | Allgemeines (1985–1986) | |
File reference archive | 712.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.41#1997/28#1289* | |
Dossier title | Relations de la suisse avec l'ONU - Généralités (1984–1988) | |
File reference archive | 712.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.152#1997/136#104* | |
Dossier title | Relations de la Suisse avec l'ONU (1985–1986) | |
File reference archive | 712.0 |
dodis.ch/62756Die Direktion für internationale Organisationen des EDA an die schweizerischen Auslandsvertretungen1
UNO-Beitritt: Erste Beurteilung des Abstimmungsausganges und zugehörige Sprachregelung
Die ersten Reaktionen in der Öffentlichkeit zeigen, dass der negative Ausgang praktisch überall erwartet wurde. Ebenso einhellig zeigt man sich aber auch von der Deutlichkeit des Verdikts überrascht.2 Bei einigen prominenten Beitrittsgegnern ist sogar ein gewisses Missbehagen über die wuchtige Ablehnung festzustellen. Wo sieht man die Hauptgründe für das massive Nein?
An erster Stelle wird meistens eine Grundauffassung der Schweizer von ihrem Land und seiner Rolle in der Welt für die Ablehnung verantwortlich gemacht. Tatsächlich gab es wenig Debatten und gegnerische Artikel, in denen der «Sonderfall Schweiz» nicht eine zentrale Rolle gespielt hätte: Die Schweiz sei etwas Einzigartiges und diese Einzigartigkeit dürfe durch den Beitritt zur Weltorganisation nicht aufs Spiel gesetzt werden. Die Diskussion drehte sich vor allem um die Neutralität. Allerdings besteht kein Zweifel, dass breite Bevölkerungskreise unter Neutralität weniger ein völkerrechtliches Konzept als eine aussenpolitische Absonderung und eine absolute Unparteilichkeit verstehen. Deshalb werfen jetzt in- und ausländische Kritiker der Schweiz in dieser Hinsicht Berührungsangst und Egoismus vor. Im Unterschied zur angeblich intakten Schweiz wurde die UNO als ein «unerfreulicher Verein» dargestellt. Man rügte an ihr nicht nur ihre «Ineffizienz», die schlechte Verwaltung und die politische Einseitigkeit, sondern sie wurde teilweise sogar mitverantwortlich gemacht für den schlechten Zustand der internationalen Beziehungen und der bedrohlichen Weltlage.
Aus dieser Sicht der Dinge folgerte offensichtlich eine grosse Mehrheit der Bürger, die Schweiz könne ihre Eigenart, ihre Eigenständigkeit und ihre weltweiten Interessen besser ausserhalb als innerhalb der UNO verteidigen und sie könne der Welt als Nichtmitglied einen besseren Dienst erweisen. Kritiker sehen darin den Ausdruck eines gewissen aussenpolitischen Realitätsverlustes, aber auch einer gewissen Xenophobie. Man macht denn auch vielenorts darauf aufmerksam, dass das akute Asylantenproblem wesentlich zum negativen Ausgang beigetragen habe.3
Von verschiedener Seite wird darauf hingewiesen, dass sich führende Beitrittsgegner in ihrer Argumentation nicht zimperlich zeigten und mit den oben geschilderten Grundgefühlen des Volkes virtuos umzugehen wussten. In der Tat hatten gewisse Beitrittsgegner die Angst vor einer ungewissen Zukunft geschürt. Beispielsweise wurde in letzter Minute behauptet, der «billige» UNO-Beitritt (20 Millionen) sei nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem «teuren» Beitritt zu den Bretton Woods Institutionen (mehrere Milliarden), und auf Plakaten wurde suggeriert, junge Schweizer würden auf fremden Schlachtfeldern als Blauhelme verbluten.
Für das Nein werden auch Bundesrat und EDA verantwortlich gemacht, denn sie hätten es bisher nicht verstanden, dem Volk ihre Aussenpolitik verständlich zu machen. Man führe im Departement eine zu elitäre Sprache und man habe während Jahren den Kontakt mit dem Schweizervolk zuwenig gesucht. Einige Politiker fordern deshalb, die schweizerische Aussenpolitik müsse vermehrt zu einem innenpolitischen Thema gemacht werden.4
Viele Kommentatoren sehen im massiven Abstimmungsergebnis nicht nur ein Nein zum UNO-Beitritt, sondern darüber hinaus eine Misstrauenskundgebung gegenüber den Behörden und dem «aussenpolitischen Establishment». Zweifellos haben auch Momente mitgespielt, die mit der UNO-Frage nichts zu tun hatten, wie beispielsweise der vor wenigen Wochen getroffene Beschluss betreffend die Erhöhung des Treibstoffzolles und die Erhebung einer WUST auf dem Zollzuschlag für Heizöl.5 Diese Tatsache erklärt wohl auch teilweise die Diskrepanz zwischen dem Abstimmungsergebnis und den Publikumsumfragen zur UNO-Problematik, die ein besseres Resultat erwarten liessen.6
Es kann schliesslich bestätigt werden, dass während der Kampagne die aussenpolitischen Ziele und die bewährten Handlungsgrundsätze der schweizerischen Aussenpolitik nicht in Frage gestellt wurden. Prominente Beitrittsgegner betonten sogar im Nachhinein, dass sie die bisherige aussenpolitische Praxis durchaus befürworteten und lediglich die Wirksamkeit der UNO als aussenpolitisches Instrument in Frage stellten. Deren Losung lautet deshalb, eine Aussenpolitik wie bisher weiterführen: offen, engagiert und solidarisch mit der Welt. Sie müssen sich allerdings von der anderen Seite vorwerfen lassen, dies seien nur Lippenbekenntnisse und ein Mäntelchen für einen trägen Immobilismus.
Die Euch bereits zugestellte Erklärung des Bundesrates7 wurde allgemein gut aufgenommen. Sie soll deshalb weiterhin als Sprachregelung dienen. Als Erklärung für das Abstimmungsresultat könnt Ihr vor allem hervorheben, dass die meisten Wähler die Besonderheit unseres Landes und seinen spezifischen Beitrag an die Weltgemeinschaft ausserhalb der UNO besser gesichert sehen als innerhalb der UNO.
Diese erste und sehr kurzfristig vorgenommene Lagebeurteilung kann eine spätere sorgfältige Analyse nicht vorwegnehmen. Nebst der Analyse der wichtigsten Abstimmungsmotive8 werden wir auch die Reaktionen des Auslandes und der UNO9 selber eingehend untersuchen.
Der Bundesrat wird Gelegenheit haben, in Beantwortung einer Interpellation, welche die aussenpolitische Kommission des Nationalrates bereits eingereicht hat, seine Gedanken zur Stellung der Schweiz gegenüber der Welt ohne Vollmitgliedschaft in der UNO darzulegen.10
- 1
- CH-BAR#E2023A#1998/212#2749* (o.714.1). Dieses Fernschreiben wurde von der Direktion für internationale Organisationen des EDA verfasst und am 19. März 1986 an die schweizerischen Auslandvertretungen versandt.↩
- 2
- Die Volksabstimmung vom 16. März 1986 über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen wurde mit 75,7% Nein-Stimmen abgelehnt, vgl. BBl, 1986, II, S. 97–98. Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Abstimmung über den UNO-Beitritt (1986), dodis.ch/T1772.↩
- 3
- Zur Asylpolitik in den 1980er-Jahren vgl. die Notiz des EJPD vom 28. April 1983, dodis.ch/52600; das BR-Prot. Nr. 968 vom 3. Juni 1985, dodis.ch/57226 sowie den Bericht der interdepartementalen Strategiegruppe EJPD–EDA–EVD vom Januar 1989, dodis.ch/55673.↩
- 4
- Vgl. dazu die schriftlichen Stellungnahmen des Bundesrats vom 22. September 1986 auf die Motion 86.350 Aussenpolitik. Bessere Information von Nationalrätin Verena Grendelmeier vom 13. März 1986, dodis.ch/56581 sowie auf die Interpellation 86.360 Aussenpolitik und internationale Solidarität von Nationalrat Max Dünki vom 17. März 1986, dodis.ch/56582.↩
- 5
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 334 vom 26. Februar 1986 im Dossier CH-BAR#E1004.1#1000/9#948* (4.10prov.) sowie die Botschaft über die Erhöhung der Heizöl- und Gaszölle vom 26. Februar 1986, BBl, 1986, I, S. 737–747.↩
- 6
- Zu den im Vorfeld der Abstimmung durchgeführten Meinungsumfragen vgl. das Dossier CH-BAR#E2023A#1998/212#2765* (o.714.113). Vgl. dazu auch die Notiz der Direktion für internationale Organisationen vom 23. Dezember 1976, dodis.ch/51529, sowie das BR-Prot. Nr. 2187 vom 16. Dezember 1985, dodis.ch/62772.↩
- 7
- Vgl. die Erklärung des Vorstehers des EDA, Bundesrat Pierre Aubert, vom 16. März 1986, dodis.ch/62754.↩
- 8
- Vgl. die VOX-Analyse vom Juni 1986, dodis.ch/62897.↩
- 9
- Für eine Analyse der Reaktionen ausländischer Regierungen, der internationalen Presse und des UNO-Generalsekretariats vom 9. April 1986 vgl. dodis.ch/62767.↩
- 10
- Vgl. dazu die schriftliche Stellungnahme des Bundesrats vom 22. September 1986 auf die Interpellation 86.374 Stellung der Schweiz in der Welt der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Nationalrats vom 18. März 1986, dodis.ch/56583.↩