Language: ns
1930-1950
Aktennotiz "La Suisse" Assurances
Information Independent Commission of Experts Switzerland-Second World War (ICE) (UEK)
Info UEK/CIE/ICE ( deutsch français italiano english):
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Archivsituation

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Quellen

Aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs oder in Zusammenhang mit ihr sind bei der La Suisse noch folgende Quellen vorhanden:


- Jahresberichte 1930-1950

- Verwaltungsratsprotokolle
Die VR-Protokolle sind kurz gefasst und beinhalten vorwiegend Beschlüsse zu Kapitalanlagen (insb. Hypotheken, Immobilienkäufen/-verkäufen in der Schweiz u. Wertschriftenkäufen/-verkäufen), Gewinnverteilungen, Portefeuilletransaktionen, Statutenrevisionen und Jahresberichten. Der Inhalt von Diskussionen wird, wenn überhaupt, nur summarisch wiedergegeben.

- Protokolle der Direktionssitzungen
Die Direktionssitzungen wurden durchschnittlich drei Mal im Monat abgehalten, aber die Protokolle sind kaum ausführlicher als die des Verwaltungsrates und die behandelten Themen sind Grossteils die selben. Nicht enthalten sind Beilagen und
Ergänzungstexte. Das Vorhandensein der Direktionsprotokolle wurde in der Antwort auf den UEK-Fragebogen nicht erwähnt.

- Abgelaufene, nicht geregelte Leistungen ("Prestations échues non réglées")
Das Dossier enthält Listen mit nicht geregelten Versicherungsfällen (fast alle in der Nachkriegszeit abgeschlossen), die einem Spezialdepot zugewiesen wurden. Meist werden in einem kurzen Kommentar die genaueren Umstände beschrieben (z.B. "Sequestre, incertitude sur les bénéficiaires"). Die entsprechenden Policen sind teilweise noch vorhanden (siehe "affaires spéciales").  

- Einige Policendossiers aus der Zeit vor 1960 ("affaires spéciales")
Es handelt sich um die entsprechenden Policen der im Dossier "Prestations échues non réglés" aufgelisteten Fälle. Allerdings fehlen sechs der ursprünglich 13 Schachteln .

- Ein Ordner nachrichtenlose Policen ("Recherches sur les avoirs en déshérence, 1996")
Neuste, interne Untersuchung zu nachrichtenlosen Policen. Es besteht hauptsächlich aus Kopien der Dossiers "Prestations échues non réglées" und "affaires spéciales". Dazu die Korrespondenz über die Ergebnisse der Recherche.
- Ein Dossier "Gestion vie - Avoirs allemands"
Die Akte ist in drei Dossiers unterteilt:
1: Réglement des paiments entre la Suisse et l'Allemagne, Arrêté fédéral 1945,
   Expulsés. (Gesetze, Zirkulare, Rundschreiben).
2: Assurés domiciliés à l'étranger. (Bundesbeschluss, Korrespondenz mit
   Verrechnungsstelle betr. Einzelpolicen).
3: Déblocage des avoirs allemands en Suisse. (Wegleitung zum deutsch-
   schweizerischen Abkommen, Anträge auf Freigabe dt. Vermögenswerte, Liste der    gemeldeten dt. Vermögenswerte bei der La Suisse).

- Mehrere Korrespondenzordner
Erhalten ist ein Teil der Korrespondenz mit Versicherungsgesellschaften (Norvich Union, Union Londres, Gotha) und mit den Generalagenturen in verschiedenen Kantonen.

- Firmenzeitschrift "Entre nous"
Mitarbeiterbroschüre der La Suisse von 1931-47. Enthält vor allem Ratschläge für Agenten.

- Policenbücher
"Branche combinée 1925-1946 + mixtes à primes annuelles 1925-1946"

- Wertschriftenverzeichnis 1920-1936

- Immobilienkartei

- Buchhaltungs- und Rechnungsbücher

- Sterblichkeits-Statistikbücher

- Jahresberichte des Eidgenössischen Versicherungsamtes




Historische Geschäftsentwicklung

Mit der Gründungsurkunde aus dem Jahr 1858 kann sich die La Suisse als zweitälteste Lebensversicherungs-Gesellschaft der Schweiz bezeichnen. Knapp älter nur die Rentenanstalt (1857/58), deren Tochter sie heute ist. Entstanden in Lausanne, war sie vornehmlich in der Romandie tätig. Das Prämienvolumen und die Geschäftsergebnisse entwickelten sich anfangs günstig. Weniger günstig waren die ersten Auslandserfahrungen in Deutschland und Belgien, wo man ab 1868, wegen der ständig hohen Kosten aber nur bis 1876, tätig war. Etwas erfreulicher waren die Erfahrungen mit den neu eingeführten Kriegsrisiko-, Witwen-, Waisen- und Kollektivversicherungen. Insgesamt konnte aber auch vermehrte Diversifikation nicht verhindern, dass die Prämieneinnahmen ab 1876 stagnierten, was seinen Hauptgrund darin hatte, dass mittlerweile in der Westschweiz Konkurrenz ansässig geworden war.

Unter einem neuem Direktor unternahm die La Suisse gezielte Versuche, das Prämienvolumen wieder zu vergrössern. Einerseits vertrieb sie erneut Policen im Ausland (in Paris und Brüssel) und andererseits konnte sie die im Schweizer Landsturm Dienstleistenden auf das Kriegsrisiko versichern. Weiter wurde das Geschäftsfeld auch mit dem Anbieten von Unfall- und Haftpflichtversicherungen ausgedehnt. Bestärkt durch den Erfolg, wurden im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts Agenturen in Saloniki und Konstantinopel eröffnet. Dauerhaft waren auch diese Niederlassungen nicht; das griechisch-türkische Portefeuille musste genauso wie das belgische während des Ersten Weltkriegs wieder verkauft werden.

In der Schweiz hingegen erlebte die Versicherungsgesellschaft zwischen 1910 und 1930 eine als "brilliant" beschriebene Epoche. Weniger gut erging es der La Suisse in den 30er Jahren und während des Zweiten Weltkriegs, ohne dass jedoch eine existenzgefährdende Krise entstand. Sie registrierte ein stagnierendes Prämienvolumen und leicht sinkende Unternehmensgewinne. Gleichzeitig nahm sie eine interne Umstrukturierung vor; weil man das Unfall/Haftpflichtgeschäft vom Lebensgeschäft sauber trennen wollte, wurde 1940 die La Suisse - Accidents als Tochter der La Suisse - Vie gegründet.


Auslandpräsenz

Die La Suisse war während der nationalsozialistischen Herrschaft weder in Deutschland noch sonstwo im Ausland tätig. Das Portefeuille bestand somit nur aus Schweizer Policen oder, wie in einer internen Broschüre von 1933 zu lesen war, "tous ces contrats ont été conclus en monnaie suisse, la société n'ayant actuellement aucun risque d'assurance à l'étranger".  Gar so selbstverständlich war dies nicht, denn im Gegensatz zu anderen Gesellschaften mit ausschliesslicher Orientierung auf den Schweizer Markt, wie etwa der Patria, hatte die La Suisse weder eine diesbezügliche Tradition noch eine entsprechende Maxime. Erst ein paar Jahre zuvor, hatte sie in Deutschland die Geschäftstätigkeit aufgenommen. Einem gewissen K. Frohlich war der Direktorenposten der Vertretung in Frankfurt übertragen und gleichzeitig Expansionsvorhaben nach Holland und Belgien geprüft worden.  Es ist zu vermuten, dass die Geschäfte im Ausland nicht so liefen wie erhofft, denn nur drei Jahre später wollte man sich des deutschen Portefeuilles bereits wieder entledigen,  was man dann auch tat: "Nous avons estimé préférable, dans la situation actuelle, de renoncer à poursuivre nos opérations en Allemagne et avons cédé le portefeuille d'assurance sur la vie, que nous possédions, ainsi que les valeurs allemandes constituant notre cautionnement, à la Bâloise, Compagnie d'assurances sur la vie, à Bâle."




Beziehungen zu anderen Versicherungsgesellschaften


Die negativen Erfahrungen im Ausland bedeuteten für das Lausanner Unternehemen indessen nicht, auf ewig externem Engagement abzuschwören; 1937 führte man schwierige Übernahmeverhandlungen mit der Union Genève, zu der auch Niederlassungen in Belgien und Frankreich gehörten. Nachdem der Verwaltungsrat zum Vertragsentwurf der Direktion schon grünes Licht gegeben hatte, scheiterten die Gespräche doch noch.  Es ist zu vermuten, dass sich die Union Genève quasi in letzter Minute für ein besseres Übernahmeangebot entschied. Jedenfalls gerieten die Beinahe-Partner in mühseligen Rechtsstreit über die Rückzahlungsbedingungen eines Kredites, den die La Suisse der in Liquiditätsschwierigkeiten geratenen Gesellschaft bereits vorgeschossen hatte. Der Fall endete 1941 in einem Vergleich.  Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass sich die Union Genève mit der Helvetia Unfall in Zürich liierte, von dieser das benötigte Sanierunskapital erhielt und in der Folge unter dem Namen Helvetia-Leben auftrat.

Zu deutschen Versicherungsgesellschaften unterhielt die La Suisse in der untersuchten Zeitperiode keine ausserordentlichen Beziehungen (wie z.B. die National in Basel), wohl aber zu englischen. Anfangs 30er Jahre kaufte sie den Schweizer Bestand der Norwich Union, mit der sie in stetem, freundschaftlichen Kontakt blieb, der auch während der Kriegszeit nicht abbrach.  Seit 1924 bereits verwaltete sie das helvetische Portefeuille der Union Life London (später Commercial Union).  Mit dieser Gesellschaft pflegte die La Suisse ebensolche, über das rein Geschäftliche hinausgehende Beziehungen. Diese zeigten sich beispielsweise daran, dass sie einem in deutsche Gefangenschaft geratenen Angestellten der Commerial Union regelmässig Lebensmittelpakete zukommen liess.


Nachrichtenlose Policen

Anlässlich der Erhebungen der Verrechnungsstelle und später der Meldestelle erwies es sich, dass auch die La Suisse von der Problematik der nachrichtenlosen Policen betroffen war. Ersterer überreichte sie nach dem Krieg eine ca. 50 Namen umfassende Liste der bei ihr versicherten, ausgewiesenen Deutschen.  Der zweiten Stelle meldete sie in den 60er Jahren drei Fälle nachrichtenloser Vermögen, wobei sich einer als Bagatellwert erwies, ein anderer nicht unter den Bundesbeschluss fiel und bei einem dritten der Eigentümer bzw. die Erben nicht mehr ausfindig gemacht werden konnten. Der Bagatellwert (Fr. 520.-) und der Betrag aus dem offengebliebenen Fall (Fr. 2'860.-) wurden der Verrechnungsstelle auf das "Konto erblose Vermögen" überwiesen.  

Ferner gibt es am Hauptsitz der La Suisse Listen mit den nicht geregelten (offengebliebenen) Versicherungsfällen. Diese umfassen die Policennummer, den Nachnamen des Versicherungsnehmers, teilweise einen kurzen Kommentar und den Hinweis auf die Ablageschachtel des Dossiers.  Die ersten sechs Schachteln existieren indessen nicht mehr.  Unten den verbliebenen fallen sieben Policen in die Zeit vor 1946. Eine von ihnen, die sich eigentlich in den vorhandenen Schachteln befinden müsste, ist nicht mehr aufzufinden.  Die Konsultation der sechs andern Policendossiers lässt nicht auf Nachrichtenlosigkeit im Zusammenhang mit nationalsozialistischer Verfolgung schliessen.

Der mit der internen Untersuchung betraute Mitarbeiter fand mittels alter Tariflisten heraus, dass acht Einzelpolicen aus den fehlenden Schachteln zwischen 1919 und 1955 abgeschlossen worden sind. Hierzu notierte er: "La Suisse n'a pas annoncé ces 8 polices selon l'arrêté fédéral de 1963: il est donc vraisemblable que ces 8 polices n'entraient pas dans la catégorie d'avoirs en Suisse d'étrangers ou d'apatrides persécutés pour des raisons raciales, religieuses ou politiques. Cependant nous ne disposons pas de cette preuve."


Reaktionen auf die Bedrohungslage

Abgesehen von den alltäglichen Fragen der Geschäftspolitik stellte sich für die Zeit des Krieges verstärkt das Problem der Sicherheit. So wurde vorsorglich beschlossen, im Konfliktfall den Firmensitz an den Ort des Bundesratssitzes zu verlegen. Im April 1941 widerrief der Verwaltungsrat jedoch diese Disposition wieder, "[...] considérant la situation militaire et politique actuelle [...]" .

Eingehender als über die Lokalität des Firmensitzes diskutierte man über den Ort der Goldreserven. Im September 1938 kaufte man in England Gold im Werte von 1,5 Millionen Franken und gedachte, es in die Schweiz zu bringen. Der drohende Krieg liess es jedoch für ratsam erscheinen, das gelbe Metall vorerst in London zu belassen und in das Depot der Nationalbank zu transferieren. Im Frühjahr 1940 sollte es dann doch repatriiert werden, bevor man im Juni das Gold verkaufte.  Ähnlich lag die Problematik bei den Devisenbeständen; als eine Blockierung der Schweizer Guthaben in den USA nicht mehr auszuschliessen war, reagierte die La Suisse schnell und verkaufte ihre Dollarbestände bei der National City Bank of New York.

In der Frage der Gold- und Devisenlagerung kann man einen Zielkonflikt erkennen, bei dem die La Suisse die Gefahren einer militärischen Bedrohung der Schweiz auf der einen und eine mögliche Vermögenssperre im Ausland auf der anderen Seite gegeneinander abwägen musste. Die bezüglich finanzieller Sicherheit und Firmensitz-Verlegung getroffenen Entscheidungen können im Vergleich mit den Begründungen und dem Zeitpunkt von entsprechenden Entschlüssen bei anderen Firmen einen Beitrag zur Einschätzung der damaligen Bedrohungswahrnehmung liefern.
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