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2000
Elazar Barkan, The Guilt of Nations - Restitution and Negotiation Historical Injustices, New York, 2000 - traduction en allemand: Völker klagen an. Eine neue internationale Moral, Düsseldrorf, 2002.
Bibliographical reference (Bib)
Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.07.2003
Ziemlich interessant findet der Rezensent mit dem Kürzel "tmn." Elazar Narkans Buch über den sich in den letzten Jahren verändernden Umgang mit historischem Unrecht an Völkern oder Volksgruppen. Er ist jedoch deutlich stärker von Narkans "Theorie der Entschädigung" beeindruckt als von den präsentierten Fallstudien. Hier stört ihn etwa, dass die Beschreibung des Schweizer Banken-Falls sich nur auf amerikanische Akten stützt. Eine Stärke des Buches liege darin, dass Narkan "sein Thema eher umkreist", als "eine eindeutige Deutung vorzunehmen" - auch wenn dieses herantastende Verfahren bisweilen zu sich wiederholenden Einsichten komme, meint der Rezensent. Doch der Ansatz entspreche Narkans These, dass Entschädigungen für erlittenes Unrecht nur fallweise ausgehandelt werden kann, dass es dafür keine allgemeingültige Formel gibt. Hier gilt es "pragmatisch" und "nicht normenorientiert" vorzugehen, fasst der Rezensent Narkans Sicht zusammen.



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Süddeutsche Zeitung, 18.11.2002
Entschuldigung
Wiedergutmachung für kollektives Leid
beginnt mit dem Eingeständnis von Schuld
ELAZAR BARKAN: Völker klagen an. Eine neue internationale Moral, Patmos Verlag, Düsseldorf 2002. 396 S., 26 Euro.
Als Joschka Fischer im September 2001 auf dem UN-Gipfel gegen Rassismus in Durban deutsche Schuld an den Verbrechen des Kolonialismus anerkannte, schien er ein neues Kapitel in der deutschen Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte aufzuschlagen. Sowohl Helmut Kohl als auch Roman Herzog hatten sich noch wenige Jahre zuvor geweigert, bei ihren Besuchen in Namibia offiziell eine Entschuldigung zu äußern, da dies in eine Klage auf Entschädigung seitens der Namibier hätte münden können. Kurz nach Fischers Rede geschah genau das: Vertreter der Herero aus Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, klagten vor einem US-Gericht gegen deutsche Unternehmen und die Bundesrepublik auf Zahlung von vier Milliarden Dollar, doch sowohl Wirtschaft wie Bundesregierung lehnten dies ab. Noch ist der Ausgang des Verfahrens offen.
Dieser Prozess ist nur einer in einer ganzen Reihe, der die Entschädigung kollektiver Benachteiligung anstrebt. Meist finden sie nur kurz den Weg in die Schlagzeilen, wenn astronomische Summen gefordert werden. Der amerikanische Historiker Elazar Barkan hat nun diesen Trend untersucht, der in seinen Augen paradigmatisch mit den Wiedergutmachungszahlungen der Bundesrepublik an Israel begann. Diese Entschädigungsversuche seien in zweierlei Hinsicht wegweisend gewesen: zum einen, da Deutschland freiwillig seine Schuld anerkannte und finanziell auszugleichen suchte, und zum anderen, weil es die Opfer als Kollektiv anerkannte. Überlebende Juden wurden pauschal entschädigt und jüdische Organisationen unterstützt, ohne dass das Leid individuell nachgewiesen werden musste.
Das Beispiel machte Schule: Afro-Amerikaner fordern Entschädigung für die Sklaverei, koreanische "Trostfrauen" kämpfen um eine Anerkennung ihrer Leiden. Nicht immer geht es dabei nur um finanzielle Entschädigung. Mindestens ebenso wichtig ist das Eingeständnis des historischen Verbrechens; aber auch die symbolische Wiedergutmachung gehört dazu, wenn etwa US-Museen verpflichtet werden, indianische Skelette, von denen sie bis zu 600000 Stück in ihren Magazinen angesammelt haben, an die Nachfahren zurückzugeben, um ihre angemessene Bestattung zu ermöglichen. Aus solchen Gesten leitet Barkan eine neue Moral der Schuldanerkenntnis ab.
JÜRGENZIMMERER
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