Language: German
2006
Herbert R. Reginbogin: Der Vergleich. Die Politik der Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkriegs im internationalen Umfeld. Herausgegeben vom Arbeitskreis Gelebte Geschichte. Stäfa: Verlag Th. Gut, 2006.
Bibliographical reference (Bib)
Cf. Compte rendu dans la NZZ du 7.2.2007:

Neutrale während des Weltkriegs im Vergleich

Versuch zu einem «besseren» Bild der Schweiz


Die von Jean-François Bergier präsidierte «Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg» veröffentlichte 2002 ihren Schlussbericht «Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg» und etablierte damit in der Öffentlichkeit ein neues Geschichtsbild. Die Schweiz, so der Tenor, sei wirtschafts- und flüchtlingspolitisch mit dem nationalsozialistischen Deutschland verstrickt gewesen. Freilich ist damit nicht das letzte Wort zur damaligen Rolle der Schweiz gesprochen. Namentlich kulturgeschichtliche Untersuchungen sowie internationale Vergleichsstudien sind nach wie vor ein Desiderat.

Widerstandswille

«Der Vergleich» heisst das neue Buch des amerikanischen Historikers Herbert R. Reginbogin, der an der Europäischen Universität Lekfe auf Nordzypern Internationale Beziehungen unterrichtet. Der Autor geht in seiner ambitiösen, vom «Arbeitskreis Gelebte Geschichte» herausgegebenen Gesamtschau der Frage nach, in welchem Masse die «neutralen Länder» Schweiz, Spanien, Portugal, Schweden, Türkei sowie Vichy-Frankreich und die USA während des Zweiten Weltkriegs mit den Nationalsozialisten zusammenarbeiteten. Fazit: Die Schweiz habe den Krieg dank ihrem besonderen Widerstandswillen heil überstanden und dabei die Grundsätze der Neutralität nicht verletzt. Während der Handel, den sie mit den Achsenmächten und den Alliierten trieb, für sie überlebensnotwendig gewesen sei, habe das wirtschaftliche und politische Verhalten der anderen untersuchten Länder den nationalsozialistischen Herrschern viel eher gedient.
So kommt der Autor im Falle der Türkei, Portugals und Spaniens - alle drei Länder wurden repressiv, Letzteres faschistisch regiert - zum Schluss, sie hätten kaum Widerstandswillen gezeigt und ihre Neutralität mehrfach gebrochen. Den USA wirft er vor, sie hätten 1939 die eigene Neutralität verletzt, als sie Grossbritannien unterstützten, und nach Kriegseintritt den Luftraum und damit die Neutralität der Schweiz missachtet. Amerikanische Banken hätten zudem mit Deutschland über die - in Basel ansässige - Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit Deutschland kollaboriert. Bei der Aufnahme der Flüchtlinge hätten sich die USA besonders kleinmütig gezeigt - zu kleinmütig für ein Land, das auf seinen Geldscheinen Gott anrufe.

«Kein Land der Täter»

Die Schweiz hingegen, darauf insistiert Reginbogin wiederholt, war kein «Land der Täter». Wer aber behauptet das? Laut Reginbogin in erster Linie eine Gruppe von «Revisionisten». Revisionisten? Der Begriff bezeichnet im historiographischen Feld gewöhnlich Holocaust-Leugner. Der Revisionismus hingegen, den der Autor polemisch im Visier hat (unter anderem ältere Forschungsliteratur, populärwissenschaftliche Schriften und den Bergier-Bericht), leugnet angeblich die Tatsache, dass die Schweiz im Zweiten Weltkrieg neutral war. Damit setzt der Autor letztlich die Ablehnung seines rundum positiven Bilds der Schweiz im Krieg mit der Leugnung des einzigartigen Verbrechens des Holocaust gleich. Und weder behauptet die heutige Forschung, dass die Schweiz ein «Land der Täter» sei und den «Krieg verlängert» habe, noch bestreitet sie, dass das Land wirtschaftlich mit den umliegenden Ländern verflochten war und als autarkes Gebilde nicht hätte überleben können.
Das Buch weist weitere Vereinfachungen und Verdrehungen auf. Ohne sich gründlich mit dem Bergier-Schlussbericht zu beschäftigen, gibt Reginbogin eine deutlich höhere Zahl aufgenommener Flüchtlinge an. Die Zahl der an der Grenze zurückgewiesenen Juden hingegen erwähnt er ebenso wenig wie den Umstand, dass die Schweiz - neben Schweden - das einzige Land war, das bei seiner Grenzschliessung (1942) ein im Sinne der Nationalsozialisten definiertes rassistisches Selektionskriterium benutzte.
Das eigentliche Manko der Studie ist jedoch die Haltung des Autors: Er nähert sich seinem Hauptgegenstand, der Schweiz, nicht wertfrei. Der «Vergleich» ist von vornherein darauf angelegt, ihr - moralisch überhöhtes - Festhalten an der Neutralität nachzuweisen, ohne dass der Autor seine Massstäbe vor dem Hintergrund des neueren Forschungsstandes reflektieren würde.

Urs Hafner

Herbert R. Reginbogin: Der Vergleich. Die Politik der Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkriegs im internationalen Umfeld. Herausgegeben vom Arbeitskreis Gelebte Geschichte. Verlag Th. Gut, Stäfa 2006.
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