Language: German
2006
Andreas Moser: Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten. Das Schweizer Russland- und Russenbild vor der Oktoberrevolution. Chronos-Verlag, Zürich 2006.
Bibliographical reference (Bib)
cf. article dans la NZZ du 25.10.2006.

Das historische Buch
Zar, Bär und Iwan
Das Schweizer Russlandbild vor der Oktoberrevolution
Rechtzeitig zum Hundert-Jahr-Jubiläum der Schweizer Botschaft in Russland legt Andreas Moser eine Studie zum Schweizer Russlandbild in den Jahren 1899 bis 1917 vor. Anhand einer Analyse der Russland-Berichterstattung in Schweizer Zeitungen und Zeitschriften rekonstruiert Moser die Stereotype des öffentlichen Diskurses in der Schweiz. Es ist wenig erstaunlich, dass die Russen in der Regel als «zügellos», «unzivilisiert» und «asiatisch» bezeichnet wurden. Diese Sicht fand in den Augen vieler Journalisten eine Bestätigung durch eine Reihe von Verbrechen, die zu Beginn des Jahrhunderts grosse Aufmerksamkeit erregten: 1906 erschoss die russische Aristokratin Tatjana Leontjewa in Interlaken einen Mann, den sie aufgrund einer fatalen Verwechslung für den russischen Innenminister hielt. 1907 detonierte vor dem Zürcher Polizeigefängnis eine Bombe, weil ein polnischer Terrorist nach Russland ausgeliefert werden sollte. 1908 wurde in Genf der Student Wassiljew verhaftet, der in Russland den Polizeiminister ermordet hatte.

Diese Ereignisse wurden in der Regel ambivalent interpretiert: Auf der einen Seite begrüsste man den Widerstand gegen den Zaren, lehnte aber den Einsatz von brutaler Gewalt ab. Von diesem Zwiespalt war schliesslich auch die Schweizer Wahrnehmung der beiden russischen Revolutionen des Jahres 1917 geprägt. Die meisten Zeitungen begrüssten die bürgerliche Februarrevolution als zaghaften Anfang einer Demokratisierung. Die anfängliche Hoffnung wich allerdings bald der resignierten Einsicht, dass Russland im Chaos versinke. Die Oktoberrevolution erschien deshalb zunächst als ein Machtkampf unter vielen. Es ist bezeichnend, dass die NZZ erst im Dezember 1917 den Begriff «Revolution» verwendete, vorher war von einem «Aufstand» oder «Staatsstreich» die Rede. Moser zeichnet in seiner sorgfältigen Arbeit die verschiedenen Schweizer Deutungsmuster nach, die Russland oft auf den knutenschwingenden Zaren, den hungrigen Bären und den betrunkenen Iwan reduzieren.

Ulrich M. Schmid

Andreas Moser: Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten. Das Schweizer Russland- und Russenbild vor der Oktoberrevolution. Chronos-Verlag, Zürich 2006. 444 S., Fr. 68.¿.


Neue Zürcher Zeitung, 25.10.2006, Ressort Feuilleton
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