Die Teilnahme schweizerischer Physiker an einer Konferenz in Amsterdam zur Einrichtung einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit in atomaren Fragen, wird gutgeheissen. Die Eidgenossenschaft kann aber aufgrund einer eventuellen Infragestellung der Neutralität keine offizielle Unterstützung leisten.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 34
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1967/113#15790* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1967/113 864 | |
Dossier title | Commission d'études des petits états pour l'énergie atomique (1950–1950) | |
File reference archive | B.64.105 |
dodis.ch/8502 Der Vorsteher des Militärdepartements, K. Kobelt, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre, des Volkswirtschaftsdepartements, R. Rubattel, und des Departements des Innern, Ph. Etter1 STUDIENKOMMISSION FÜR ATOMENERGIE, INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT
Im Oktober 1949 erhielt der Präsident der Schweizerischen Studienkommission für Atomenergie (SKA), Prof. Dr. Scherrer, eine Einladung zur Einweihung des von Philips für die holländische Atomenergiekommission gebauten Cyklotrons in Amsterdam, zusammen mit der Mitteilung, es sei beabsichtigt, anlässlich dieser Einweihung mit Vertretern verschiedener kleinerer Staaten (Holland, Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Schweiz) die Frage einer allfälligen Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Kernphysik zu besprechen2.
Nach Prüfung dieser Fragen teilten wir dem Präsidenten der SKA mit, dass einer Teilnahme schweizerischer Wissenschafter an der beabsichtigten Konferenz nichts im Wege stehe, dass sie jedoch nur in ihrer Eigenschaft als Leiter der ihnen unterstehenden wissenschaftlichen Institute und nicht als Vertreter irgendwelcher schweizerischen Behörden zu betrachten wären3.
Professor Scherrer und Professor Huber, Basel, nahmen hierauf die Einladung an und nahmen an der Konferenz zusammen mit Vertretern der obenerwähnten Staaten, mit Ausnahme von Norwegen, welches sich nicht vertreten liess, teil. An dieser am 11. November 1949 stattgefundenen Konferenz wurde festgestellt, dass die einzelnen kleinen Staaten die Mittel nicht aufbringen können, um die Atomforschung in ähnlicher Weise zu fördern, wie dies durch die Grossstaaten geschieht. Namentlich sind nirgends genügend Mittel vorhanden, um eine sogenannte Pile (Uran-Maschine) zu bauen, oder auch grosse Beschleunigungsmaschinen, wie sie für die Fortführung der Grundlagenforschung notwendig wären. Es wurde über die Frage diskutiert, ob nicht wenigstens ein Austausch von Erfahrungen und Daten zwischen den Kleinstaaten stattfinden sollte, wogegen die Frage, ob mit gemeinsamen Geldmitteln eine Uranmaschine oder ein Accelerator gebaut werden sollte, offen gelassen wurde.
An der Sitzung der Studienkommission für Atomenergie vom 14. 12. 49 berichteten Prof. Scherrer und Prof. Huber über diese Konferenz4. Die Kommission war sich der Schwierigkeit einer solchen Zusammenarbeit, selbst wenn sie sich rein auf den industriellen Sektor beschränken würde, durchaus bewusst und beschloss, die Frage der Industriekommission für Atomenergie unter dem Vorsitz von Direktor Th. Boveri zur Begutachtung vorzulegen. Andererseits hielt man es für richtig, den Kontakt mit der holländischen Atomenergiekommission aufrecht zu erhalten.
Inzwischen traf ein vom 5. 1. 50 datiertes Schreiben des Sekretärs der holländischen Atomenergiekommission, Professor Woltjer5, ein mit dem Ersuchen, die Schweiz möge ihren Entschluss betreffend die Zusammenarbeit in der Frage der Atomphysik bekannt geben und der Einladung, nochmals zwei Delegierte zu einer Konferenz nach Amsterdam zu entsenden, an welcher eine solche Zusammenarbeit beschlossen und in definitive Form gebracht werden soll.
Unsere Auffassung kann wie folgt festgehalten werden:
1. Es ist selbstverständlich, dass eine internationale Zusammenarbeit nur auf rein wissenschaftlicher Grundlage mit dem ausdrücklichen Zweck, die Studien auf dem Gebiet der Kernphysik zum Zweck ihrer Ausnützung für industrielle und volkswirtschaftliche Zwecke zu fördern, zur Diskussion stehen kann.
2. Es ist zweifellos richtig, dass unsere Mittel, wie auch diejenigen der übrigen in Frage kommenden Kleinstaaten unzureichend sind, um mit den Grossstaaten auf diesem wichtigen Gebiet Schritt halten zu können. Namentlich vom Standpunkt unserer Industrie aus ist es notwendig, dass die Schweiz Mittel und Wege findet, damit auf dem Gebiet der Kernphysik, welches vielleicht geeignet ist, in absehbarer Zeit eine ähnliche Stellung einzunehmen wie heute das Gebiet der Elektrotechnik, unsere Forschung nicht zurückbleibt. Dies kann nur in Zusammenarbeit mit andern kleinen Staaten, bei welchen Gewähr für loyale Einstellung vorhanden ist, bis zu einem gewissen Grad erreicht werden.
3. In finanzieller Beziehung scheinen namentlich in Schweden, möglicherweise auch in Holland und Belgien, bedeutend günstigere Verhältnisse vorzuliegen als in der Schweiz. Nach Angabe von Prof. Scherrer verfügen die dortigen Kernphysiker über sechsmal höhere Kredite als in der Schweiz. Andererseits dürfen wir ohne Unbescheidenheit erklären, dass in qualitativer Beziehung die in der Schweiz vorhandenen Kräfte diejenigen der andern in Frage stehenden kleinen Staaten unbedingt überragen, und dass die Schweiz durchaus in der Lage wäre, im Rahmen der beabsichtigten Zusammenarbeit eine führende Rolle zu übernehmen.
4. Nach unserer Ansicht kann auf den Vorschlag, mit gemeinsamen Mitteln eine Uranmaschine oder einen grossen Beschleuniger zu bauen, nicht eingetreten werden. Dagegen könnte eventuell einer Zusammenarbeit in zwei Beziehungen zugestimmt werden, nämlich:
a) Bezüglich des Austausches von experimentellen Erfahrungen und theoretischen Daten und
b) könnte eine Arbeitsteilung in der Weise vorgenommen werden, dass in den einzelnen Ländern bestimmte Probleme besonders intensiv verfolgt und deren Resultate den andern anschliessend bekannt gegeben würden.
Es wäre auch die Frage zu prüfen, ob unsere Delegierten als Vertreter der schweizerischen Behörden, als Vertreter der Schweizerischen Studienkommission für Atomenergie oder als Vertreter der Eidg. Technischen Hochschule zu bezeichnen wären6. Es scheint uns, dass dieser letzteren Lösung der Vorzug zu geben wäre, indem die betreffenden Herren als Wissenschafter, ohne offizielle Mission der Regierung sich beteiligen würden.
Wir möchten aber noch die Auffassung Ihrer Departemente kennen, da uns gerade der aussenpolitische und der volkswirtschaftliche Aspekt der Frage besonders wichtig erscheint7. Wir möchten auf dem politischen Gebiete namentlich auch darauf hinweisen, dass die Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Atomforschung mit Staaten der Westunion doch bis zu einem gewissen Grade von den Oststaaten als eine Zusammenarbeit auf dem Gebiete der militärischen Rüstungen angesehen werden könnte. Die Erklärung, dass es sich für uns um die volkswirtschaftliche Auswertung der Energie handle, wird wohl kaum Glauben finden und als blosse Tarnung angesehen. Vom Standpunkt der Wahrung unserer Neutralität aus scheint uns deshalb eine zu enge Zusammenarbeit nicht sehr angezeigt. Mit einem andern neutralen Staat, wie beispielsweise Schweden, liesse sich allenfalls ein gemeinsames Vorgehen noch eher rechtfertigen.
Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie zu diesen Fragen Stellung nehmen wollten8.
- 1
- Schreiben: E 2001(E)1967/113/864. In einer handschriftlichen Notiz vom 15. Februar schrieb A. Zehnder an Ph. Zutter: Estce que vous vous occupez de cette affaire? Ou voulez-vous que je prépare la réponse. J’ai moins de scrupules que M. Kobelt quant à la collaboration entre petits Etats européens.↩
- 2
- Für eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Gespräche vgl. das Schreiben von P. Scherrer an R. von Wattenwyl vom 14. November 1949, E 9500.77(-)1971/159/2.↩
- 3
- Nicht ermittelt.↩
- 4
- Vgl. E 5155(-)1971/202/65.↩
- 5
- Vgl. E 9500.77(-)1971/159/3.↩
- 6
- Vgl. zu dieser Frage das Schreiben von Ph. Zutter an H. Vallotton vom 3. März 1950. Nicht abgedruckt.↩
- 7
- Vgl. das Schreiben von M. Petitpierre an K. Kobelt vom 3. März 1950 und das Schreiben von R. Rubattel an K. Kobelt vom 8. März 1950. Nicht abgedruckt.↩
- 8
- Vgl. das Schreiben von K. Kobelt an die Kriegstechnische Abteilung vom 20. März 1950, E 27/19038/3 (dodis.ch/8594).↩
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