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Schweizer Aussenpolitik 1967 bis 1969 - der neue Band ist da!

Eigentlich konnte Felix Schnyder mit seiner Arbeit in Washington zufrieden sein. «Das einzige Problem, das im Rahmen der sonst so gedeihlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA hier gelegentlich zu unfreundlichen und kritischen Bemerkungen Anlass gibt», berichtete der Schweizer Botschafter im Dezember 1967 nach Bern, «ist die Tätigkeit der Schweizer Banken im Zeichen unseres Bankgeheimnisses».

Das Bankgeheimnis als Politikum

So hätten ihn in letzter Zeit führende US-Beamte mit der Befürchtung angegangen, «dass kriminelle Kreise in Amerika unter Missbrauch schweizerischer Nummer-Bankkonten die Früchte ihrer verbrecherischen Tätigkeit in Sicherheit bringen» würden. «Es ist daher nicht ausgeschlossen», prophezeite der Spitzendiplomat vor 45 Jahren, «dass die Frage des Bankgeheimnisses mit der Zeit zu einem ernstlichen Politikum in den schweizerisch-amerikanischen Beziehungen werden könnte.» (Dok. 58, dodis.ch/33138) Nicht nur in Bezug auf die USA nimmt die Tätigkeit des Finanzplatzes in der Aussenpolitik der Schweiz eine dominante Stellung ein. So konnte der Kurzwellendienst zur internationalen Kritik am Bankwesen eine ganze Sendereihe mit dem Titel «Pleins feux sur les banques suisses» produzieren (Dok. 23, dodis.ch/33015).

Bewegtes Epochenjahr 1968

Der neueste Band der Aktenedition Diplomatische Dokumente der Schweiz (DDS) zeigt, dass viele Probleme und Herausforderungen der schweizerischen Aussenpolitik zwischen 1967 und 1969 bis in die Gegenwart hineinwirken. Die Forschungsergebnisse ermöglichen erhellende Einblicke und Erkenntnisse zu den Aussenbeziehungen der Schweiz in diesem bewegten Zeitraum um das Epochenjahr 1968.

Beschleunigter Publikationsrhytmus

Die Zusammenstellung enthält Telegramme, Zirkulare, Briefe und andere Korrespondenzen zwischen den diplomatischen Vertretungen der Schweiz und der Zentrale in Bern, Protokolle der Sitzungen des Bundesrates, Aktennotizen und Arbeitspapiere von Spitzenbeamten des Eidgenössischen Politischen Departements, des heutigen EDA, und anderer Departemente, Aufzeichnungen strategischer Sitzungen und Besprechungen sowie weiteres Dokumentationsmaterial.Die fast 200 abgedruckten und mit einem wissenschaftlichen Apparat versehenen Aktenstücke aus dem Schweizerischen Bundesarchiv werden durch rund 1‘500 zusätzliche Dokumente ergänzt, die auf der Online-Datenbank Dodis frei zur Verfügung stehen. Mit Hilfe eines beschleunigten Publikationsrhythmus planen die DDS die Serie mit Dokumenten zu den Jahren 1945 bis 1989 (Bände 16 bis 31) bis im Jahr 2020 abzuschliessen.

Déjà-vu bei Migrationspolitik und Steuerfragen

Band 24 der Diplomatischen Dokumente der Schweiz entfaltet eine breite Palette an Themen schweizerischer und internationaler Politik. Für ein Déjà-vu sorgen nicht nur die Auseinandersetzungen über Steuerflucht und Bankgeheimnis, sondern auch die Migrationspolitik, so etwa in der Frage der Integration der – vorwiegend aus Italien stammenden – «Gastarbeiter» und ihrer Familien in Sozialversicherungen (Dok. 157, dodis.ch/32303), und Bildungswesen (Dok. 166, dodis.ch/32356) sowie das Thema der Fremdenfeindlichkeit (Dok. 120, dodis.ch/32837).

Beziehungen zu Europa und der UNO

Rege diskutiert wurde Ende der sechziger Jahre ebenfalls schon die Europapolitik, und die Frage der Integration der Schweiz in die Strukturen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG nahm einen dominanten Platz in der aussenpolitischen Agenda ein. Besonders mit dem EWG-Beitrittsgesuch der Partnerstaaten aus der Freihandelsassoziation EFTA – Dänemark, Norwegen und vor allem Grossbritannien – stellte sich das Problem, wie ein künftiger gemeinsamer Markt in Europa aussehen und in welcher «für sie annehmbaren Form» sich die Schweiz an «einer gesamteuropäischen Regelung» beteiligen könnte (Dok. 165, dodis.ch/33034). Zwischen 1967 und 1969 wurde die Schweiz zunehmend in internationale Strukturen eingebunden, eine Tendenz, die sich etwa in der Frage eines Beitritts zur UNO (Dok. 4, dodis.ch/33242), zu Weltbank und Währungsfonds (Dok. 72, dodis.ch/32796), im Verhandlungsabschluss der Kennedy-Runde des Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) in Genf (Dok. 24, dodis.ch/33255) oder in der Diskussion um die Teilnahme an einer Europäischen Sicherheitskonferenz (Dok. 188, dodis.ch/32405) manifestierte.

Annäherungen an die kommunistische Welt

Im Zuge der Entspannung zwischen West und Ost vollzog auch die Schweiz eine gewisse Öffnung gegenüber der kommunistischen Welt, wie die Bemühungen um die Ausweitung des Osthandels (Dok. 135, dodis.ch/33630) oder auch die vorsichtige Annäherung Berns an die nicht anerkannten Teilstaaten DDR (Dok. 149, dodis.ch/32468), Nordkorea (Dok. 169, dodis.ch/33133) oder Nordvietnam (Dok. 127, dodis.ch/32173) zeigen.

Vermittlerrolle in internationalen Konflikten

In den grossen Konflikten der Epoche wie dem Vietnamkrieg (Dok. 83, dodis.ch/32172), dem Sechstagekrieg (Dok. 28, dodis.ch/33280) oder dem Konflikt um Biafra (Dok. 136, dodis.ch/33251) versuchte sich die Schweiz in ihrer traditionellen Rolle als Vermittlerin – nicht immer mit Erfolg. Mit dem Attentat von Kloten wurde das Land gar selbst zum Schauplatz des Konflikts im Nahen Osten (Dok. 130, dodis.ch/33710). Den tausenden Menschen, die nach der Niederschlagung des «Prager Frühlings» durch die Armeen des Warschauer Paktes aus der Tschechoslowakei flohen, bot die Schweiz eine grosszügige Aufnahme (Dok. 108, dodis.ch/33048).

Rege Reisediplomatie

Während in den Jahren zuvor die Landesregierung sich bezüglich Staatsvisiten eine strenge Zurückhaltung auferlegt hatte, fanden zwischen 1967 und 1969 zahlreiche Besuchsreisen von Bundesräten ins Ausland statt. Aussenminister Willy Spühler bereiste nicht nur die neutralen Partner Schweden und Österreich (Dok. 21, dodis.ch/33202), Frankreich (Dok. 186, dodis.ch/33247), Kanada (Dok. 38, dodis.ch/32700) und die USA (Dok. 41, dodis.ch/33135), sondern auch kommunistische Staaten wie Rumänien (Dok. 140, dodis.ch/32536) und Jugoslawien (Dok. 170, dodis.ch/32381) sowie Ostafrika (Dok. 161, dodis.ch/33643). Der Vorsteher der Volkswirtschaftsdepartements, Hans Schaffner, war derweil in Japan und Hongkong (Dok. 25, dodis.ch/32485) sowie in Argentinien (Dok. 160, dodis.ch/33267) unterwegs.

Ein Schweizer Bundesrat im Kreml

Als erster Bundesrat überhaupt besuchte Verkehrsminister Rudolf Gnägi anlässlich der Einweihung einer direkten Flugverbindung zwischen Zürich und Moskau 1967 die Sowjetunion. Mit dabei beim Staatsbesuch war Pierre Micheli, der Generalsekretär des Politischen Departements: «Beim Betreten des Kremls überkommt einen ein ähnliches Gefühl, wie man es in Washington empfindet: dass man sich inmitten einer gigantischen Polit- und Verwaltungsmaschinerie befindet, die alle gewohnten Normen sprengt», zeigte sich Micheli in seinem Bericht beeindruckt. «Man verspürt das Pulsieren der Lebensorgane riesiger Imperien, neben welchen die Schweiz recht klein erscheint. Dennoch», betonte der oberste Diplomat der Eidgenossenschaft, «hatte ich weder im Kreml noch im Aussenministerium jemals das Gefühl, dass unser Land als vernachlässigbarer Faktor betrachtet worden wäre» (Dok. 44, dodis.ch/32783, Original französisch). Das Schweizer Bankgeheimnis war in Moskau zumindest kein Thema.

10. 08. 2012