Die Vorschläge der amerikanischen Zollkommission betreffend die Erhöhung der Uhrenzölle wurden abgelehnt. Die Schweizer Gesandtschaft hatte bei den amerikanischen Behörden alles unternommen, um diese Ablehnung zu erwirken.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 18
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1969/121#7770* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1969/121 346 | |
Dossier title | Wirtschaftsverhandlungen und Abkommen mit der Schweiz (1952–1954) | |
File reference archive | C.41.111.0 • Additional component: Vereinigte Staaten von Amerika |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Old classification | CH-BAR E 7004(-)1971/39 13 |
dodis.ch/9206 Der schweizerische Gesandte in Washington, K. Bruggmann, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1
Die erfreuliche Ablehnung der Vorschläge der Tarifkommission betreffend Erhöhung der Uhrenzölle habe ich Ihnen gestern gemeldet2.
Ich beehre mich, über die vorgängigen Demarchen dieser Gesandtschaft in Ergänzung meiner telegraphischen Meldungen noch folgendes auszuführen:
Wie Sie wissen, konnte auf die Tarifkommission vor der Unterbreitung ihrer Vorschläge an den Präsidenten kein Einfluss genommen werden. Eine Diskussion mit andern Behörden war, solange der Bericht nicht vorlag, unnütz. Die Bahn der Diskussionen und Interventionen wurde dann, als der Bericht erstattet war, frei. Die Stellungnahme der Tarifkommission überraschte nicht nur die Assemblers, die geglaubt hatten, die Hearings seien völlig zu ihren Gunsten ausgefallen, sondern auch amerikanische Regierungsstellen, z. B. das State Department.
Der Bericht der Tarifkommission ging an die einzelnen Departemente sowie an die Mutual Security Agency, mit der Einladung, sich dazu zu äussern; mit der Sammlung und Verarbeitung der Antworten zu einem Resumé und Antrag an den Präsidenten war der Direktor des Budget des Executive Office of the President betraut. Es galt nun vor allem, sich mit den Departementen und dem Executive Office in enger Fühlung zu halten, um zu erfahren, welche Schritte unsererseits nützlich wären. Dies gelang so ziemlich vollkommen.
Die erste Antwort erfolgte von der Mutual Security Agency, deren derzeitigen Chef (in Abwesenheit Harrimans, der wegen seiner Präsidentschaftskandidatur aussetzte), Mr. Kenny, [den ich zufällig an einem Weekend auf dem Lande bei Bekannten traf. Er versprach, unseren Fall zu prüfen und las mir nach einigen Tagen dann Passagen seines Berichtes vor. Das «Budget» meldete mir, dieser sehr günstige Bericht sei eingegangen und regte an, ein wachsames Auge auf das Treasury und das Handelsdepartement zu haben, weil deren Vernehmlassungen viel Gewicht hätten. Die ersten Sondierungen im Treasury Department waren eher beunruhigend. Als ich dann, gefasst auf eine harte Auseinandersetzung, in Begleitung von Herrn Real den zuständigen Assistant Secretary aufsuchte und ihm unseren Fall zu schildern begann, meinte er, wir hielten sein Departement für schlimmer als es sei, und er las mir dessen überaus günstigen Bericht an den Präsidenten vor.
Im Handelsdepartement waren zunächst die Meinungen geteilt. Während die Handelspolitiker sich sehr deutlich gegen die Vorschläge der Tarifkommission aussprachen, befürwortete die National Production Administration eine Zollerhöhung, weil die einheimische Uhrenindustrie aus Gründen der Landesverteidigung möglichst stark sein sollte. In einer langen Konferenz mit dem amtenden Chef des Departements – der Sekretär selber war damals, wie die meisten Regierungsmitglieder, an der Parteikonvention in Chicago – konnte erreicht werden, dass das Departement schliesslich eindeutig zu unseren Gunsten Stellung nahm.
Vom State Department hörte ich, dass die Haltung des Verteidigungsdepartements nicht befriedigend sei. Mein Besuch bei dessen stellvertretendem Chef, Mr. Foster – Mr. Lovett selber war krank – ergab, dass das Munitionsbureau eigenmächtig für das Department an den Präsidenten geschrieben hatte und wie die National Production Administration aus militärischen Gründen die Zollerhöhung wünsche3. Er habe aber, so erklärte Mr. Foster, diese Eingabe zurückgezogen und durch eine andere ersetzt, um kundzutun, dass sein Departement an einer Zollerhöhung nicht interessiert wäre. Er wäre bereit, so sagte Mr. Foster, sich noch deutlicher gegen eine solche auszudrücken, wenn uns dies nützlich wäre. Ohne Verzug meldete ich dies dem State Department, das, wie schon aus den obigen Ausführungen hervorgeht, mit aller Entschiedenheit für uns Partei ergriffen hatte. Mr. Thorp hat mir wiederholt gesagt, er werde seine Auffassung im Brief an den Präsidenten sehr nachdrücklich dartun. Später erfuhr ich, dass auch Mr. Acheson dies mündlich in fester Weise getan hat (er, der vor einigen Jahren nicht nur die Annahme der Escape Clause4, sondern auch die Beschränkung der Einfuhr auf 3 Millionen Uhren im Jahr stürmisch von uns gefordert hatte).
Nach der Ausschaltung der militärischen Gründe für eine Zollerhöhung atmete ich erleichtert auf, einmal, weil solche in der öffentlichen Diskussion vielleicht das stärkste Gewicht hätten, und weil jedenfalls ein Fremder dieselben in einer Aussprache unmöglich widerlegen könnte.
Unheil drohte nun nur noch von seiten eines einzigen Departementes: Labor. Der Budgetdirektor hielt Diskussionen mit dem Labor Department von vorneherein für aussichtslos, während das State Department eine solche für nützlich ansah. In einer Besprechung, die mehr als zwei Stunden dauerte, versuchte ich Sekretär Tobin, der offenbar den Uhrenarbeitern oder den Industriellen oder beiden Versprechungen gemacht hatte, zu einer Meinungsänderung zu bringen. Ich glaube, es fehlte nicht viel dazu; jedenfalls musste sich Herr Tobin zu der absurden Behauptung versteigen, wenn nicht «etwas» geschehe, so müssten in einigen Gegenden die amerikanischen Uhrenarbeiter verhungern, wovor die vorgeschlagene Erhöhung sie vielleicht bewahren könnte. Da er gleichzeitig behauptete, diese Erhöhung würde dem schweizerischen Export in keiner Weise schaden, hielt ich es für angebracht, mich zurückzuziehen. Ein solcher Politicus will nicht bekehrt werden.
Im Gesamtbilde wurde der Widerstand des Labor Department dann aber neutralisiert durch die Haltung der grossen Arbeiterverbände, CIO (Congress of Industrial Organisations) und AFL (AmericanFederation of Labor), die Stellung zu unseren Gunsten bezogen, die erstere in einem veröffentlichten Telegramm an den Präsidenten, die zweite in einer Demarche bei Mr. Steelman, Assistant to the President. Wahrscheinlich ist die Haltung der AFL der Aktivität von Nationalrat Grädel zuzuschreiben, der somit in dieser Hinsicht nützlich gewirkt hätte. Nicht richtig hingegen ist, dass, wie schweizerische Zeitungen melden, er mit Mr. Steelman gesprochen hätte. Letzterer hat mir versichert, dass er Mr. Grädel nicht kenne. Möglich ist darnach immerhin, dass Herr Grädel ihn sah, vielleicht im Gespräch mit Dritten, haben sich doch in letzter Zeit sehr viele Leute um Herrn Steelman gedrängt. (Davon später5.)
Als sicher zu unseren Gunsten konnte von vorneherein mit dem Landwirtschaftsdepartement gerechnet werden, da nicht einzusehen war, warum es eine Verteuerung der Uhren wünschen sollte. Es konnte aber zu einer ausgesprochen günstigen Stellungnahme veranlasst werden durch Hinweis auf die grossen landwirtschaftlichen Exporte nach der Schweiz. Herr Real unternahm mit Geschick und Erfolg diese Beeinflussung.
Zwecks Orientierung suchte ich sodann auch noch den Präsidenten der Tarifkommission, Mr. Ryder, sowie deren Vizepräsidenten Edminster auf.
Mr. Ryder hatte, wie Sie wissen, im Bericht die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen6 zur Anwendung der Escape Clause nicht gegeben seien. Er betonte mir gegenüber mit Nachdruck, dass er eine andere Auffassung als völlig haltlos verwerfe, behauptete aber hartnäckig, dass er keine Möglichkeit habe, diese Meinung ausser Betrieb zur Geltung zu bringen (was aber, wie unten ausgeführt wird, nicht ganz stimmte).
Mr. Edminster war eher in Verlegenheit, seine Auffassung, die gegenwärtige Uhreneinfuhr bedeute einen «threat of serious injury», zu rechtfertigen. Er meinte schliesslich, es wäre auch ihm recht, wenn die Zölle nicht erhöht würden. Ob er sodann diese Meinung auch anderswo vorbrachte, weiss ich noch nicht.
Als schliesslich alle Antworten der befragten Stellen beim Budget eingegangen waren, wurde das Executive Office des Präsidenten der Tatort für meine weitere Aktivität. Den Vorsitzenden des Council of Economic Advisers, Leon Keyserling, hatte ich schon früher ins Bild gesetzt. Er versprach volle Unterstützung nicht nur bei den Bearbeitern der Angelegenheit, sondern beim Präsidenten selber. Dieser, so meinte er, wird nach seinen vielen Bekenntnissen zu internationaler Zusammenarbeit den Vorschlägen der Tarifkommission nicht zustimmen können – mit diesen Worten zeigte mir Mr. Keyserling einen Druckbogen des Rechenschaftsberichts über das erste Halbjahr 1952, den der Präsident unterschrieben habe und der diese Bekenntnisse besonders scharf zusammenfasst.
Zu Mr. Steelman, Assistant to the President, ging ich gemäss Vereinbarung erst, als dieser sich auf Grund der erwähnten Antworten eine Meinung gebildet haben konnte. Er zeigte sich vortrefflich orientiert und so günstig eingestellt, ganz im Sinne unserer Auffassungen, dass ich fast an seiner Aufrichtigkeit zweifelte. Er erzählte dann aber, Mr. Ryder sei bei ihm gewesen und habe ihn von der Richtigkeit unserer Auffassung überzeugt. Er erzählte auch, dass er von Leuten, die an der Zollerhöhung interessiert wären, überlaufen sei. Es befänden sich darunter frühere Kabinettsmitglieder, die für eine solche Demarche bei ihm ein Honorar von $10’000.– bekämen. – Er erklärte mir auch, dass, wenn Mr. Acheson, so fest wie er es getan habe, für eine Sache einstehe, und wenn auch er, Steelman, und Mr. Ryder damit einverstanden seien, es sonderbar zugehen würde, wenn der Präsident nicht entsprechend handeln würde: Don’t worry.
Es wurde dann noch vereinbart, dass, wenn alle Stricke reissen sollten, ich selber mit dem Präsidenten reden könnte, und dass Mr. Steelman mich rechtzeitig verständigen würde. (Das State Department seinerseits zeigte sich mit dieser Abrede einverstanden.)
Glücklicherweise kam es aber nicht so weit. Sicher fühlte ich mich allerdings erst in den allerletzten Tagen auf Grund einer vertraulichen Mitteilung, die ich für mich selber zu behalten hatte.
Die Versuchung, auf Grund der durch die Tarifkommission geschaffenen Rechtsgrundlage einen politisch nützlichen Entscheid zu treffen, muss für den Präsidenten gross gewesen sein. Durch seine Entscheidung hat er natürlich die Interessenten, aber auch viele Nationalisten vor den Kopf gestossen. Generazzo z. B. wirft ihm öffentlich vor, die amerikanische Industrie verraten zu haben.
Ich habe diese Angelegenheit, deren Verlauf ich nur in groben Zügen schildern konnte, wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung und der Auswirkung auf die Gesamtbeziehungen unseres Landes zu den Vereinigten Staaten als überaus wichtig angesehen und nichts unterlassen, was m. E. förderlich sein könnte. Das Ziel wäre aber nicht erreicht worden ohne die weitgehende Hilfe amerikanischer Behörden, namentlich des State Department. Dessen Vertreter verfolgten den Verlauf wie eine eigene Angelegenheit und zeigten sich über das Resultat, wie mir scheint, ehrlich erfreut. Ich habe mich heute im State Department bedankt. Doch wird es richtig sein, über dessen Hilfe nichts an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, damit der Zorn der Enttäuschten sich nicht etwa gegen das Department wendet.
Meine Mitarbeiter haben zum Erfolg redlich mitgeholfen. Namentlich Herr Real hat zahlreiche Sondierungen unternommen, Besprechungen geführt oder vorbereitet, wobei seine vielen Beziehungen zu Beamten zustatten kamen.
P. S. Soeben hatte ich ein Telephongespräch mit Herrn Steelman, der sich hoch erfreut zeigte über die Reaktion in unserem Lande auf den Entscheid des Präsidenten. Er habe noch festgestellt, dass Herr Nationalrat Grädel nie bei ihm vorsprach und dass ich der einzige Schweizer sei, der mit ihm über die Uhrenfrage redete.
Ich bat Mr. Steelman, welcher dem Präsidenten meinen ev. Besuch angemeldet hatte, letzterem noch meinen persönlichen Dank für sein Wohlwollen auszudrücken.
- 1
- Schreiben: E 2001(E)1969/121/346.↩
- 2
- Vgl. das Telegramm von K. Bruggmann an M. Petitpierre vom 15. August 1952, E 2200.36 (-)1967/16/2.↩
- 3
- Zum militärischen Argument vgl. den vertraulichen Bericht Die Frage der Gefährdung der Wehrbereitschaft der USA durch die Uhrenimporte, E 5001(F)-/13/10 (dodis.ch/9212).↩
- 4
- Zur Ausweichklausel vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 10, dodis.ch/9205, Anm. 2. Vgl. ebenfalls DDS, Bd. 18, Dok. 63, dodis.ch/7803(dodis.ch/7803).↩
- 5
- Über die Aktivitäten von Nationalrat A. Grädel als Zentralsekretär des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiter-Verbands vgl. das Schreiben von A. Zehnder an die schweizerische Gesandtschaft in Washington vom 30. September 1952, E 2200.36(-)1967/16/2 (dodis.ch/9207). Vgl. auch E 2001(E)1969/121/346.↩
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