Die Hilfe an wirtschaftlich rückständige Länder wird unter politischen und wirtschaftlichen Aspekten immer wichtiger. Die Schweiz kann sich nur an der wirtschaftlichen Hilfe beteiligen, dies vorzugsweise auf bilateraler Ebene; auch auf mulitlateraler Ebene wird sie allerdings um eine Beteiligung in geeigneter Form nicht herumkommen. Es ist insbesondere wichtig, durch frühe technische Unterstützung mit Experten für den allgemeinen wirtschaftlichen Aufbau den späteren Markteintritt zu erleichtern. Die schweizerischen Experten könnten aus den Mitteln für die Arbeitsbeschaffung finanziert werden. Die Koordination und die Aufsicht liefen über die ETHZ.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 40
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#14512* | |
Old classification | CH-BAR E 1004.1(-)1000/9 515 | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 28.03.-31.03.1950 (1950–1950) |
dodis.ch/8055
BUNDESRAT
Beschlussprotokoll der Sitzung vom 31. März 19501
632. AUSRICHTUNG VON VORSCHÜSSEN UND BEITRÄGEN AN SCHWEIZERISCHE FACHLEUTE ZUR AUFNAHME VON UNTERHANDLUNGEN UND UNTERSUCHUNGEN IN WIRTSCHAFTLICH ZURÜCKGEBLIEBENEN LÄNDERN
Beschlussprotokoll der Sitzung vom 31. März 19501
Finanz- und Zolldepartement. Mitbericht vom 30. März 1950.
Das Volkswirtschaftsdepartement unterbreitet folgenden Bericht und Antrag:
«I. Das Problem der technischen Unterstützung wirtschaftlich zurückgebliebener Länder ist in letzter Zeit stark in den Vordergrund getreten. Für die Koordination der verschiedenen internationalen Bestrebungen auf diesem Gebiete soll durch die Vereinigten Nationen ein sogenanntes ‹Technical Assistance Board› (TAB) geschaffen werden2. Die Bedeutung, die dieser durch die Vereinigten Nationen zu erfüllenden Aufgabe beigemessen wird, ergibt sich schon daraus, dass Präsident Truman in seiner Inauguraladresse vom Januar 1949 die Entwicklung rückständiger Länder als das wichtigste Ziel seiner Präsidialperiode bezeichnet und ein hierauf bezügliches Hilfsprogramm ausgearbeitet hat, das nun Gegenstand eines Gesetzentwurfes vom 18. Januar 1950 bildet3. Darin wird nebst einer allfälligen Mitwirkung der Vereinigten Nationen und anderer internationaler sowie privater Organisationen zur Verwirklichung des Programms auch auf die Möglichkeit direkter bilateraler Zusammenarbeit zwischen einem Kulturstaat und einem wirtschaftlich rückständigen Land hingewiesen. Im Mai dieses Jahres wird in Amerika eine internationale Konferenz zur Behandlung der Frage der technischen Unterstützung an wirtschaftlich zurückgebliebene Länder stattfinden, zu der auch Nichtmitgliedstaaten der Vereinigten Nationen eingeladen werden sollen4.
Wenn die Frage der Unterstützung zurückgebliebener Länder für die Vereinigten Staaten unter politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten von ausserordentlicher Bedeutung und Tragweite ist, so tritt für uns der politische Aspekt selbstverständlich in den Hintergrund. Um so stärker sind, abgesehen von Überlegungen humanitärer Art, die wirtschaftlichen Motive, die uns veranlassen müssen, nicht beiseite zu stehen, sondern uns in bestmöglicher Weise in diese grosse internationale Aufgabe einzuschalten. Es ist anzunehmen, dass von den Vereinigten Nationen und den andern massgebenden internationalen Instanzen ein Projekt wird ausgearbeitet werden, dem die Schweiz schon aus Gründen der internationalen Solidarität ihre Mitwirkung nicht wird versagen können5. Anderseits dürfen wir uns von einer solchen Kollektivaktion für unser Land nicht zuviel versprechen. Hier werden die Grossstaaten und vor allem Amerika das Wasser auf ihre Mühlen zu leiten verstehen. Wir werden deshalb alle Anstrengungen machen müssen, um uns auf dem für uns viel günstigeren Wege bilateraler Verhandlungen mit einzelnen Ländern unsern Anteil an den zu vergebenden Aufträgen zu sichern. In welcher Weise hier am zweckmässigsten vorzugehen ist und mit welchen organisatorischen Mitteln das Ziel am besten erreicht wird, ist gegenwärtig Sache der Prüfung zwischen den an der Frage interessierten Stellen6.
II. Abgesehen von der Frage der technischen Unterstützung im Rahmen der Vereinigten Nationen sowie der in Prüfung befindlichen grundsätzlichen Frage bilateraler Verhandlungen der Schweiz mit einzelnen Ländern, stehen wir aber jetzt schon angesichts einer Reihe konkreter Anfragen vor der Notwendigkeit, bestimmte Auftragsmöglichkeiten abklären zu lassen. Derartige dringliche Anfragen liegen zur Zeit aus einer grösseren Anzahl von Ländern vor, wovon namentlich aus Persien, Nepal, Angola und Libanon bezüglich der Durchführung kartographischer Aufnahmen7. Professoren der Eidgenössischen Technischen Hochschule und andere zur grundsätzlichen Stellungnahme ersuchte Gruppen privater Sachverständiger verfügen nicht über die erforderlichen Mittel, um in diese Länder zu reisen und die nötigen Verhandlungen mit den Regierungen zu führen. Einer solchen vorgängigen Kontaktnahme ist jedoch eine massgebende Bedeutung zuzumessen, weil sie dazu benützt werden soll, die betreffenden Regierungen von der Überlegenheit der schweizerischen Verfahren für die Ausführung der vorgesehenen Arbeiten zu überzeugen und sie zu veranlassen, bei den aufzustellenden Pflichtenheften zum mindesten auch die schweizerischen Methoden zu berücksichtigen.
Der ganzen Angelegenheit ist deshalb besondere Aufmerksamkeit zu schenken, weil erfahrungsgemäss nach den kartographischen Aufnahmen Untersuchungen über die Ausnützung des Landes nach verschiedenen Richtungen (Wasserkräfte, Wälder, Bodenschätze, Erschliessung des landwirtschaftlichen Bodens, usw.) notwendig werden und es, wenn die Aufgaben schweizerischen Wissenschaftern übertragen werden, leichter ist, weitere Studienaufträge für unsere Spezialisten zu erhalten. Diese wiederum können, wenn es zur Auswertung der gewonnenen Erkenntnisse kommt, ihren Einfluss dahin geltend machen, dass schweizerische Industrien bei der Lieferung der technischen Ausrüstungen berücksichtigt werden.
Was die Bedeutung dieser allfälligen wirtschaftlichen Auswirkungen auf lange Sicht anbelangt, vertritt das Präsidium des Schweizerischen Schulrates der Eidgenössischen Technischen Hochschule in einem Exposé vom 14. 2. 1950 an das Eidgenössische Politische Departement folgende Auffassung, der wir uns durchaus anschliessen können:8
‹Wenn in einem der technischen Hilfe teilhaftig werdenden zurückgebliebenen Gebiet die Exportwirtschaft eines bestimmten Staates Fuss fassen könnte, beispielsweise durch die Erstellung von Verkehrsanlagen, Bewässerungsanlagen, Wasserkraftwerken, thermischen Kraftwerken oder durch die Zurverfügungstellung von wissenschaftlichen Equipen für photogrammetrische Landesaufnahmen, geologische Untersuchungen usw., so wird ein späteres Eindringen in solche bestehende oder potentielle Märkte für andere Länder mit grössten Schwierigkeiten verbunden sein … Aus früheren Kolonien werden souveräne Staaten, die in der ersten Phase ihrer Unabhängigkeit meist einem extremen Nationalismus huldigen, die aber gerade in dieser Phase ihrer staatlichen Entwicklung zu einem gewissen Teil auf die wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Beratung durch prominente Ausländer angewiesen sind.
Diese Lage der Dinge führt zu folgenden Erscheinungen:
An Stelle fehlender oder in ungenügendem Ausmass vorhandener einheimischer wissenschaftlicher Institute werden wissenschaftliche und technische Arbeitsgruppen aus dem Ausland treten, welche die Voraussetzungen für eine technische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes schaffen sollen, beispielsweise durch photogeologische Prospektionen, geologische Untersuchungen, kartographische Zusammenstellung der Befunde, usw. Statt dass durch eine noch ungenügend entwickelte einheimische Industrie einzelne Maschinen, Geräte, Produkte eingekauft werden, bestellen der nun neu entstandene Staat oder Gruppen von Industriellen im Ausland vielfach ganze Industrieanlagen, vielleicht unter Einschluss der Verpflichtung zur Schulung der erforderlichen Arbeiterschaft und des benötigten Kaders. Die besondere Gefahr besteht dabei darin, dass die schweizerische Exportwirtschaft, wenn sie nicht frühzeitig genug – unter Umständen bereits durch die Stellung der wissenschaftlichen und technischen Equipen für die Landesvermessung z. B. – in der Wirtschaft des betreffenden Landes Fuss fassen kann, später nur noch unter grössten Schwierigkeiten in den neuen Markt einzudringen vermag, um sich einen nennenswerten Anteil an den Importbedürfnissen zu sichern.
Die vorstehend skizzierte Veränderung der staatlichen Stellung früherer Kolonien innerhalb der Völkergemeinschaft und die sie begleitenden Erscheinungen eines ausgeprägten Nationalismus und einer, wenigstens vorübergehenden gefühlsbetonten Ablehnung der einstigen Kolonialmächte, schaffen in der heutigen Entwicklungsperiode günstige Voraussetzungen für die Schweiz. Die Tatsache, dass wir als neutraler Kleinstaat keine machtpolitische Bedrohung darstellen, dass wir aber anderseits in wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Beziehung auf einer hohen Stufe der Entwicklung stehen, lässt den Beizug schweizerischer Staatsangehöriger als Experten und Berater und die Anschaffung von schweizerischen Industrieprodukten als besonders wünschenswert erscheinen.›
Um die bestmögliche Zusammenarbeit der hauptsächlichen Stellen zu gewährleisten, die sich mit den Problemen der Unterstützung wirtschaftlich zurückgebliebener Länder zu befassen haben, wurde am 8. März 1950 eine neungliedrige, unter dem Vorsitz des Präsidenten des Schweizerischen Schulrates stehende Koordinationskommission geschaffen, die vor allem die geeigneten Fachleute ausfindig zu machen und diese auf die Durchführung der ihnen anvertrauten Aufgaben vorzubereiten hat.
Aus den dargelegten Gründen und in Anbetracht der grossen sowohl durch die USA als auch durch andere Grossmächte unternommenen Anstrengungen zur Mitwirkung an der wirtschaftlichen Erschliessung rückständiger Gebiete und angesichts des natürlichen Vorsprungs, den diese Grossstaaten und insbesondere Amerika besitzen, scheint es uns ein dringliches Gebot zu sein, dass der Bund schweizerischen Fachleuten die Einleitung der unumgänglichen Unterhandlungen mit gesuchstellenden Ländern finanziell erleichtert. Da das angestrebte Ziel mit den Belangen der Arbeitsbeschaffung in unmittelbarem Zusammenhang steht, dürfte die Ausrichtung der zu diesem Zweck erforderlichen Vorschüsse am besten aus Arbeitsbeschaffungsmitteln erfolgen. Dazu könnten die noch vorhandenen, wegen der durch den Bundesratsbeschluss vom 27. 12. 1946 angeordneten Sistierung von Arbeitsbeschaffungsmassnahmen nicht in Anspruch genommenen Mittel verwendet werden, wobei uns ein Höchstbetrag von Fr. 200’000.– unter den gegenwärtigen Umständen für das hier vorgesehene Sofortprogramm als angemessen erscheint9. Es wird ein entsprechender Nachtragskredit beantragt und an den Bundesrat gleichzeitig das Begehren gestellt werden, er möchte schon vor der Kreditbewilligung die Hälfte des genannten Betrages als dringlichen Vorschuss bewilligen. Die rechtliche Grundlage für dieses Vorgehen ist durch die Bestimmung unter Ziffer 5 des soeben erwähnten Bundesratsbeschlusses vom 27. 12. 1946 gegeben, die folgendermassen lautet:
‹Die Durchführung weiterer Arbeitsbeschaffungsmassnahmen bleibt der Bewilligung durch den Bundesrat vorbehalten.›
Die vorgesehene Finanzierung hätte sich hauptsächlich in Form einer Ausfallgarantie abzuwickeln, in dem Sinne, dass die zur Verfügung gestellten Mittel in den nach Durchführung der Auslandreise allenfalls auszuarbeitenden Angeboten oder Kostenvoranschlägen einzurechnen und nach der endgültigen Auftragserteilung dem Bund möglichst rasch zurückzuerstatten wären. Durch die Ausrichtung zusätzlicher Bundesbeiträge oder den eventuellen Verzicht auf die volle Rückerstattung der zugesprochenen Mittel soll schweizerischen Fachleuten ausnahmsweise die Möglichkeit gegeben werden, ihren Aufenthalt im Ausland für event. vorzunehmende Vorstudien, Untersuchungen, Besichtigungen und dergleichen kurzfristig zu verlängern, insofern die damit verbundenen Spesen nicht anders gedeckt werden können. Das Präsidium des Schweizerischen Schulrates der Eidgenössischen Technischen Hochschule wäre beauftragt, die Aufsicht über die zweckentsprechende Verwendung der Bundesmittel gemäss einer zwischen ihm und dem Delegierten für Arbeitsbeschaffung abzuschliessenden Vereinbarung auszuüben. Alle Gesuche um finanzielle Unterstützung, also auch diejenigen privater Gruppen von Sachverständigen, müssten dem Präsidium des Schweizerischen Schulrates der Eidgenössischen Technischen Hochschule eingereicht oder dorthin weitergeleitet werden und mit dessen Vorentscheid den zuständigen Bundesstellen zur Prüfung unterbreitet werden. Der endgültige Entscheid über die Gewährung einer finanziellen Unterstützung würde durch den Delegierten für Arbeitsbeschaffung im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, der eidg. Finanzverwaltung und der Abteilung Internationale Organisationen des eidg. Politischen Departementes getroffen.»
Gestützt auf diese Erwägungen und in der Erkenntnis, dass eine auf eigener Initiative beruhende Mitwirkung der Schweiz am wirtschaftlichen Aufbau zurückgebliebener Länder in unmittelbarem Interesse unseres Landes liegt, wird antragsgemäss und im Einverständnis mit dem Finanz- und Zolldepartement beschlossen:
1. Vom vorliegenden Bericht wird in zustimmendem Sinne Kenntnis genommen.
2. Aus den noch verfügbaren, für Arbeitsbeschaffungszwecke reservierten Mitteln, wird ein Betrag von höchstens Fr. 200’000.– abgezweigt, der zur Ausrichtung von Vorschüssen, Ausfallgarantien und Beiträgen an schweizerische Fachleute für die Aufnahme von Verhandlungen und Untersuchungen in wirtschaftlich zurückgebliebenen Ländern dienen soll10.
3. Die zur Verfügung gestellten Mittel sind durch die Bezüger dem Bunde innert möglichst kurzer Frist zurückzuerstatten, falls ihnen von den interessierten Regierungen Aufträge erteilt werden; in besonderen Fällen kann ausnahmsweise eine zusätzliche finanzielle Unterstützung gewährt oder auf die volle Rückerstattung verzichtet werden.
4. Alle Gesuche im Sinne von Ziffer 2 sind dem Präsidium des Schweizerischen Schulrates der Eidgenössischen Technischen Hochschule einzureichen oder dorthin weiterzuleiten. Es versieht die Gesuche mit einem Vorentscheid und sendet die Unterlagen in je einem Exemplar an den Delegierten für Arbeitsbeschaffung, das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, die eidg. Finanzverwaltung und die Abteilung Internationale Organisationen des eidg. Politischen Departementes.
5. Der Entscheid über die Gewährung einer finanziellen Unterstützung wird durch den Delegierten für Arbeitsbeschaffung im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, der eidg. Finanzverwaltung und der Abteilung Internationale Organisationen des eidg. Politischen Departementes ohne Rekursmöglichkeit getroffen.
6. Die Aufsicht über die ordnungsgemässe Verwendung der Bundesmittel wird durch das Präsidium des Schweizerischen Schulrates der Eidgenössischen Technischen Hochschule gemäss den Bestimmungen einer zwischen ihm und dem Delegierten für Arbeitsbeschaffung abzuschliessenden Vereinbarung ausgeübt.
- 1
- E 1004.1(-)-/1/515.↩
- 2
- Vgl. E 2001-04(E)-/6/11.↩
- 3
- Zu Trumans «Point Four»-Programm vgl. das Schreiben von K. Bruggmann an A. Zehnder vom 24. Februar 1950, ebd.↩
- 4
- Die Konferenz fand vom 12.–14. Juni 1950 in Lake Success statt.↩
- 5
- Vgl. BR-Prot. Nr. 697 vom 14. April 1950, E 1004.1(-)-/1/516 (dodis.ch/7662).↩
- 6
- Vgl. E 7170(B)1968/167/1.↩
- 7
- Vgl. E 2001-04(E)-/6/10.↩
- 8
- Vgl. E 2001-04(E)-/6/11.↩
- 9
- Vgl. BR-Prot. Nr. 3274 vom 27. Dezember 1946, E 1004.1(-)-/1/476 (dodis.ch/8112).↩
- 10
- Vgl. BR-Prot. Nr. 697 vom 14. April 1950, E 1004.1(-)-/1/516 (dodis.ch/7662).↩
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