Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1991, doc. 26
volume linkBern 2022
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2024B#2002/7#600* | |
Dossier title | Allgemeines (1991–1993) | |
File reference archive | a.221.90 |
dodis.ch/59621
Die Direktion für Verwaltungsangelegenheiten und Aussendienst des EDA an alle Mitarbeiterinnen an der Zentrale1
14. Juni 1991: Zehn Jahre Gleichstellung von Mann und Frau in der Bundesverfassung
Sehr geehrte Damen
Bekanntlich hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund für den 14. Juni 1991 zu einem Frauenstreik aufgerufen, mit dem einerseits auf die noch immer nicht vollumfänglich realisierte Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern, andererseits aber auch auf das Ausmass der Arbeitsleistungen der Frauen in der Familie und in der Arbeitswelt aufmerksam gemacht werden soll.2
Da dieser Aufruf gewissermassen mit dem Streikverbot gemäss Artikel 23 Beamtengesetz3 kollidiert, das auch für alle Bundesangestellten nach ausdrücklicher Vorschrift in Artikel 25 Angestelltenordnung4 gilt, ist es angezeigt, Sie und Ihre Vorgesetzten, die Kopie dieses Schreibens erhalten, darüber zu informieren, wie allfällige Absenzen von der Arbeit im Zusammenhang mit diesem Aufruf geregelt sind.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Vorgesetzten selbstverständlich auch am diesjährigen 14. Juni für eine ordnungsgemässe Weiterführung des Verwaltungsbetriebes verantwortlich sind. Trotzdem darf von den Führungskräften im Einzelfall einer um bezahlten oder unbezahlten Urlaub nachsuchenden, also allenfalls streikenden, Frau durchaus selbstkritisch überlegt werden, ob die Funktion dieser Mitarbeiterin so eminent wichtig ist, dass ein eintägiger Ausfall nicht zu verantworten ist. Zumindest die Personalstatistik weist trotz gewisser Fortschritte bei der Vertretung der Frauen auch in höheren Rängen der Verwaltung eher wenige unersetzliche Mitarbeiterinnen aus.5
Für die Beurlaubungen am 14. Juni sind im einzelnen folgende Regeln zu beachten, die bewusst flexibel gefasst sind, um auch den Führungsverantwortlichen genügend Spielraum für ihre Entscheide zu lassen:
– Wer am 14. Juni 1991 an Bildungsveranstaltungen mit einem klaren Programm teilnimmt, soll, wo immer möglich, bezahlt beurlaubt werden. Entsprechende Gesuche sind an die vorgesetzte Stelle zu richten. Einige Veranstaltungen der Gewerkschaften und Frauenorganisationen können dabei als Bildungsveranstaltungen im weitesten Sinne sowie als Motivationsinstrumente betrachtet werden.
– Wer am 14. Juni 1991 gegen den Willen des Vorgesetzten der Arbeit fernbleibt, also echt streikt, riskiert eine Disziplinierung gemäss Artikel 30, Absatz 1, Beamtengesetz,6 wonach gegen den Beamten, der seine Dienstpflicht absichtlich oder fahrlässig verletzt, Disziplinarmassnahmen ergriffen werden können.
Sollte es im Zusammenhang mit dem 14. Juni 1991 zu Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung kommen, werden diese alle vom Eidgenössischen Personalamt behandelt. Dies beschloss der Bundesrat, um das Risiko unterschiedlicher Behandlung durch verschiedene Disziplinarzuständige zu vermeiden.7
Trotz des späten Zeitpunktes dieser Orientierung hoffen wir, dass sie Ihnen hilft, den kommenden Freitag in Kenntnis der geltenden Bestimmungen so zu gestalten, wie es Ihrer persönlichen Überzeugung zu dieser Frage am besten entspricht.
- 1
- CH-BAR#E2024B#2002/7#600* (a.221.90). Dieses Rundschreibenan an alle Mitarbeiterinnen des EDA in Bern wurde vom stv. Chef der Personalsektion der Direktion für Verwaltungsangelegenheiten und Aussendienst (DVA) des EDA, Markus Peter, verfasst und von der stv. Direktorin der DVA, Catherine Krieg, unterzeichnet. Auf dem vorliegenden edierten Exemplar der Personalsektion ist vermerkt, dass das Schreiben ebenfalls an den Generalsekretär, Rudolf Schaller, sowie an alle Direktoren, Abteilungs-, Dienst- und Sektionschefs des EDA ging, vgl. das Faksimile dodis.ch/59621.↩
- 2
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Frauenstreik vom 14. Juni 1991, dodis.ch/T1965. Am gleichen Tag fand im Bundeshaus in Bern der Tag der internationalen Beziehungen im Rahmen der 700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft statt, vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C1922. Die zu diesem Anlass geladenen ausländischen Gäste wurden bei ihrer Ankunft auf dem Bundesplatz von einem Teil der streikenden Frauen mit Sprechchören und Pfeiffkonzerten empfangen. Der Bundesrat hat die Ereignisse in seiner Antwort auf die Einfache Anfrage 91.1054 Demonstrationen auf dem Bundesplatz von Nationalrat François Jeanneret vom 17. Juni 1991 verurteilt, vgl. Amtl. Bull. NR, 1991, IV, S. 2043.↩
- 3
- Art. 23 Abs. 1: «Der Beamte darf weder selbst in Streik treten noch andere Beamte dazu veranlassen.» Bundesgesetz über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten vom 30. Juni 1927, AS, 1927, S. 439–470, hier S. 445; BS, 1947, S. 489–518, hier S. 495.↩
- 4
- Art. 25 Abs. 1: «Der Angestellte darf weder selbst in Streik treten noch andere Bedienstete dazu veranlassen.» Verordnung über das Dienstverhältnis der Angestellten der allgemeinen Bundesverwaltung (Angestelltenordnung) vom 10. November 1959, AS, 1959, S. 1181–1224, hier S. 1191.↩
- 5
- Zur nummerischen Vertretung der Frauen im EDA vgl. die Notiz der DVA vom 29. Mai 1991, dodis.ch/59622.↩
- 6
- Art. 30 Abs. 1: «Der Beamte, der absichtlich oder fahrlässig seine Dienstpflichten verletzt, ist disziplinarisch strafbar.» Bundesgesetz über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten vom 30. Juni 1927, AS, 1927, S. 439–470, hier S. 447; BS, 1947, S. 489–518, hier S. 497.↩
- 7
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 1161 vom 10. Juni 1991, dodis.ch/57432.↩
Tags
Women's Strike of the 14.6.1991
Questions regarding appointing in the FPD/FDFA Gender issues