Wir beehren uns, den Empfang Ihres Schreibens vom 28. Juni anzuzeigen, mit dem Sie uns einen Bericht des Judenrates vonBudapest über die Behandlung der ungarischen Juden in Ungarn (in zwei Exemplaren), sowie einen angeblich auf Aussagen zweier slowakischer Juden zurückgehenden Bericht über die Vernichtungslager in Auschwitz und Birkenau (Oberschlesien) zugestellt haben2.
Diese beiden Berichte sind offenbar schon einige Tage zuvor auf einem ändern Wege in die Schweiz gelangt, von gewissen philosemitischen Hilfsorganisationen vervielfältigt und sodann von ihnen unter die verschiedensten Stellen und Organisationen verteilt worden. Bereits mit einer Eingabe an den Bundesrat vom 26. Juni hatte sie uns der Schweizerische evangelische Kirchenbund zukommen lassen. Wir haben Grund zu der Annahme, dass sie auch den Gesandtschaften der wichtigsten alliierten Mächte in Bern, ja sogar der Ungarischen Gesandtschaft in die Hände gespielt worden sind. Ferner weisen Telegramme aus Schweden und der Türkei, die in unserer Presse erschienen, darauf hin, dass die nämlichen Dokumente Pressekorrespondenten in Stockholm und Ankara zugänglich waren.
Wir dürfen Ihnen nicht verschweigen, dass diese Nachrichten in der schweizerischen öffentlichen Meinung beträchtliches Aufsehen erregt haben und alle verantwortungsbewussten Kreise unseres Volkes mit Entsetzen und Abscheu erfüllen. Dass ein Volk, das sich seiner tausendjährigen christlichen Bildung mit Recht zu rühmen und sich mit Stolz als den östlichen Eckpfeiler der abendländischen Kultur zu bezeichnen pflegt, seine besten Traditionen von einem Tag auf den ändern vergessen soll, kann hierzulande einfach nicht verstanden werden. Wir sind nicht in der Lage zu verhindern, dass die schweizerische Presse sich in steigendem Masse mit diesen erschütternden Vorgängen befasst, und mit ernster Sorge müssen wir uns vergegenwärtigen, welche Belastung dieses Problem nicht bloss heute, sondern auch in den kommenden Zeiten für die schweizerisch-ungarischen Beziehungen zu bilden droht.
Wir haben nicht unterlassen, die ernstliche Aufmerksamkeit des deutschen Gesandten auf diesen Aspekt der Angelegenheit mündlich hinzulenken. Auch hat einer unserer Mitarbeiter die Gelegenheit wahrgenommen, vor einer Woche dem ungarischen Geschäftsträger, der von sich aus das Problem angeschnitten hatte, in aller Öffentlichkeit darzulegen, zu welchen Besorgnissen uns die ungarischen antisemitischen Massnahmen Anlass geben und welche Rückwirkungen sich daraus für die schweizerisch-ungarischen Beziehungen einzustellen drohen. Herr vonTahy hat diese Eröffnungen mit Verständnis aufgenommen, indessen einige Zweifel geäussert, ob sein Gewicht in Budapest gross genug sei, um seine Regierung zur Selbstbesinnung und Einkehr bewegen zu können.
Unter diesen Umständen wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie auch Ihrerseits bei Gelegenheit einer Vorsprache auf dem Ministerium des Auswärtigen sich zum Dolmetsch unserer ernsten Besorgnis machen wollten. Auch würde es uns zweckmässig scheinen, wenn Sie in Gesprächen mit weitern ungarischen Kreisen kein Hehl daraus machen würden, welche Reaktionen die antisemitischen Massnahmen der ungarischen Regierung bei Ihrer Regierung und im Schweizervolk ausgelöst haben3.
Mittlerweile suchen wir mit dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement4 nach Mitteln und Wegen, um womöglich einigen ungarischen Juden Schutz und Hilfe zukommen zu lassen, und wir dürfen uns Vorbehalten, Ihnen in Bälde deswegen weitere Weisungen zu erteilen.