Classement thématique série 1848–1945:
2. RELATIONS BILATÈRALES
2.20. SOLVAQUIE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 14, doc. 225
volume linkBern 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#836* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 370 | |
Dossier title | Prag, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 5 (1940–1943) |
dodis.ch/47411
Le Consul général de Suisse à Bratislava, M. Grässli au Chef du Département politique, M. Pilet-Golaz1
Auf Grund meiner bisherigen Beobachtungen beehre ich mich, das politische Profil der Slowakei wie folgt kurz zu skizzieren:1. Gebiet und Bevölkerung.
Der heutige Flächenraum der slowakischen Republik umfasst rund 37 400 km2. Nach einer Volkszählung vom 31. Dezember 1938 beträgt die Einwohnerzahl 2690000 Seelen. Davon sind in runden Zahlen 2295 000 Slowaken, 128 300 Deutsche, 77 500 Tschechen, 69000 Russinen, 58000 Ungarn, der Rest Polen, Juden, Zigeuner und andere Nationalitäten. 1990000 bekennen sich zum römisch-katholischen, 184000 zum griechisch-katholischen Glauben und 388 000 zum evangelischen Bekenntnis Augsburger Richtung. Die Juden werden nach slowakischen Angaben mit rund 29000 angegeben, während sich 85 000 zum israelitischen Glauben bekennen.2. Innerpolitischer Aspekt.
Die gemässigte Richtung wird durch den Staatspräsidenten, Dr. Tiso, vertreten, welcher versucht, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten die Unabhängigkeit allseitig zu wahren. Tiso ist ein Staatsmann von Format.
Die radikale Richtung wird von Ministerpräsidenten und Aussenminister Dr. Tuka, sowie insbesondere vom stellvertretenden Ministerpräsidenten und Innenminister Mach angeführt. Es ist diejenige Richtung, die sich auf Gedeih und Verderb an Deutschland kettet. Sie macht sich in letzter Zeit vornehmlich durch die Art und Weise bemerkbar, wie sie die Judenfrage zu lösen sucht3
. Die rund 90000 Juden werden, euphemistisch gesprochen, ausgesiedelt. Diese schon längere Zeit in die Wege geleitete Aktion wurde nachträglich auch gesetzlich verankert. Gerade in der Behandlung der Judenfrage zeigt es sich, dass die radikale Richtung in der letzten Zeit Oberwasser gewinnt, welcher Tatsache selbst der Staatspräsident Dr. Tiso Rechnung tragen muss. Er als Geistlicher sah sich am Samstag den 15. August anlässlich einer kirchlich-nationalen Feierlichkeit genötigt in einer Rede zu behaupten «es hätte noch schlechter ausgesehen, wenn wir nicht rechtzeitig die Juden entfernt hätten. Wir handelten dabei nach Gottes Gebot: Slowake, entledige dich deines Feindes!».3. Lebensfähigkeit.
Wirtschaftlich ist die slowakische Republik in jeder Beziehung lebensfähig. Sie hat nicht nur eine recht interessante Industrie, die sich teilweise auf heimischer Rohstoffbasis aufbaut, sondern auch eine weitgehende, beinahe autarke Versorgung. Der Boden sowie die Viehzucht liefern alles zum Leben Notwendige. Der einzige Engpass ist das Fett. An vielen landwirtschaftlichen Erzeugnissen ist die Slowakei sogar exportfähig.
Zur straffen Lenkung aller lebenswichtigen Wirtschaftsbelange wurde durch Gesetz vom 5. Juni das Oberste Versorgungsamt geschaffen, welches die Versorgung der Bevölkerung und der Produktionsunternehmen, sowie die Regelung der Preise, Löhne und Gehälter in einer Hand vereinigt. Obschon die Leitung dieses Amtes einem der fähigsten Köpfe, Herrn Nationalbank-Gouverneur Dr. Karvas, anvertraut worden ist, müssen einige Bedenken in die getroffenen Massnahmen ausgesprochen werden, da die Errichtung dieses Versorgungsamtes reichlich spät kommt.
Politisch sieht es mit der Lebensfähigkeit der Slowakei allerdings etwas anders aus. Da sie keine eigene Geschichte und damit auch keine Tradition hat, kann von einem Nationalitätsbewusstsein der Bevölkerung im allgemeinen - abgesehen von einer dünnen slowakischen Oberschicht - nicht gesprochen werden. Die grosse Masse der Bevölkerung hat noch keine innere Einstellung zu dem neuen Staat. Man kann eher, je nach Herkunft, ein Auseinanderstreben der Geister feststellen.
Paradoxerweise darf gesagt werden, es bestehe kein Minderheiten - sondern eher ein Mehrheitenproblem. Dies äussert sich in eklatanter Weise in der Stellung der sogenannten Volksdeutschen. Sie betrachten sich als Freunde des slowakischen Staates und fühlen sich berufen, Ratschläge für den Aufbau der Slowakei im Geiste der Neuordnung zu erteilen. Sie dürfen offen aussprechen, dass «für uns Deutsche (d.h. für die Slowaken deutscher Abstammung) so manche Schwierigkeit dahin fallen würde, wenn der Führer ihrem Herzenswunsch nach Rückkehr ins Reich stattgegeben hätte». Die bevorzugte Stellung der Volksdeutschen zeigt sich auch darin, dass sie den deutschen Gruss anwenden und das deutsche Hoheitszeichen führen dürfen. Sie sind mit einem Wort ein Staat im Staate.
Auch die ungarische Minderheit fühlt in keiner Weise slowakisch, sondern bekennt sich offen zu Ungarn; sie ist allerdings nicht so privilegiert wie die deutsche.
Dadurch, dass der Volksdeutsche sich als Deutscher und der Ungar als Ungar «allerdings mit slowakischem Pass» bekennen darf, schreibt sich der neue slowakische Staat nach schweizerischem Begriffe täglich sein eigenes Todesurteil.
Das Auseinanderstreben der innern Einstellung der Bevölkerung hat auch noch andere Ursachen. Sie liegen hauptsächlich in der Frage, die sich jeder vorlegt, was dann geschehen würde, wenn die deutschen Waffen nicht siegreich sein sollten. Die Ungarn, die die Mehrheit der Grossgrundbesitzer stellen, streben nach einer Vereinigung mit ihrem angestammten Heimatland und zwar schon aus dem Grunde, weil das heutige Ungarn noch keine Bodenreform durchgeführt hat, während sie hier gezwungen wurden, Ländereien an den slowakischen Staat abzutreten, die teils Staatsdomäne geworden, teils unter die Landbevölkerung aufgeteilt worden sind.
Unter der kleinen slowakischen Bevölkerung (Land- und Fabrikarbeiter, Kleinbauern usw.) machen die Ideen des Panslavismus - getarnte Sowietrussische Propaganda - beachtlichen Fortschritt.
Die Kreise von Handel und Industrie tragen sich eher mit dem Gedanken einer Wiederauferstehung der Tschechoslowakei, mit der Hoffnung, die Tschechen hätten inzwischen etwas gelernt.
Das sind im Grossen und Ganzen die Überlegungen, die für den Fall eines für Deutschland nicht siegreich ausgehenden Krieges gemacht werden.4. Aussenpolitischer Aspekt.
Die aussenpolitische Lage der slowakischen Republik ist im wesentlichen durch ihr Verhältnis zu ihren Nachbarn bestimmt. Grundlage zum Verhältnis zu Deutschland bildet der Schutzvertrag vom 23. März 1939. Sowohl der politische, als auch der wirtschaftliche deutsche Einfluss ist übermächtig, was sich schon durch die Institution von «Beratern» aller Art zeigt. Die Slowakei trat auch sofort an der Seite Deutschlands in den Krieg mit Sowietrussland ein.
Ich kann davon Umgang nehmen, die Stellung Deutschlands im allgemeinen und diejenige seines Gesandten, des S.A. Obergruppenführers, Herrn Hanns Ludin - eines klugen und aufgeschlossenen Kopfes, der viel Sympathie für die Schweiz hat - im besondern des nähern zu beleuchten. Ich darf das Studium einer Rede des hiesigen deutschen Gesandten empfehlen, deren Inhalt in beiliegendem Ausschnitt des «Grenzboten» vom 31. März d. J.4 wiedergegeben ist. Diese Rede wirft ein Schlaglicht sowohl auf die slowakische Schein-Souveränität, als auch auf die Stellung der Volksdeutschen im jungen Staate.
Das Verhältnis zu Ungarn ist schon gespannt durch die Tatsache, dass nach dem Wiener-Schiedsspruch vom 2. November 1938 und nach dem bewaffneten Grenzkonflikt nach der Selbständigkeitserklärung am 14. März 1939 fruchtbarstes und wertvolles slowakisches Gebiet im Umfang von etwas über 10000 km2 mit einer Bevölkerungszahl von rund 600000 Seelen abgetreten werden musste. Die Slowakei erhebt Anspruch auf die Rückgliederung dieser Gebiete, während Ungarn danach strebt, die ganze Slowakei wieder einzuverleiben und die Grenzen in der Zeit vor 1918 wieder herzustellen.
Die gemeinsamen Ansprüche gegenüber Ungarn haben im Südostraum zu der Bildung einer Art «Kleinen Entente en miniature» zwischen der Slowakei, Rumänien und Kroatien geführt.5. Einstellung zur Schweiz.
Die Einstellung zur Schweiz ist nicht nur durchaus freundlich; vielmehr wird unser Land als ein selbst für lange Zeit unerreichbares Ideal betrachtet und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil die Schweiz trotz ihrer Zusammensetzung kein Minderheitenproblem kennt. Es ist selbst für die hiesige dünne Oberschicht schwer zu verstehen, warum dem so ist.6. Schlussfolgerungen.
Die junge Slowakei ist begreiflicherweise sehr prestigeempfindlich, was sich u. a. auch in der Frage der gegenseitigen Vertretung äussert. Sie hat sich bekanntlich nur schwer damit abgefunden, dass sich die Schweiz lediglich zur Errichtung eines Generalkonsulats entschlossen hat, während die Slowakei seit bald 2 Jahren in der Schweiz eine Gesandtschaft unterhält5. Ich glaube jedoch, dass die oben geschilderten Verhältnisse politischer Natur es angezeigt erscheinen lassen an dem heutigen Modus vorderhand festzuhalten, es sei denn, dass zwingende wirtschaftliche Gründe die Veranlassung dazu geben, dem slowakischen Drängen auf Entsendung einer Gesandtschaft nachzugeben. Man darf m. E. den wirtschaftlichen Aspekt der Frage nicht vernachlässigen, zumal die Slowakei in wirtschaftlicher Bedeutung für die Schweiz eine ganze Reihe von Staaten, insbesondere auch des Südostraumes, wo wir diplomatische Vertretungen unterhalten, bei weitem übertrifft6.
- 1
- E 2300 Prag/5.↩
- 2
- L ’auteur de ce rapport, Grässli, était Secrétaire de l re classe à la Légation de Suisse à Berlin, Chargé des Affaires commerciales avant d ’être nommé à Bratislava en février 1942↩
- 3
- Cf. No 202.↩
- 4
- Non reproduit.↩
- 6
- Pour une vue d’ensemble des difficultés résultant de l’extension du conflit en Europe du Sud-Est dès 1941 pour les relations économiques entre la Suisse et les pays balkaniques, voir le rapport établi par le Comité pour les Etats du Sud-Est de l’Europe de l’Association Suisse des Banquiers,Bâle, 19 avril 1941, E 2001 (E) 2/562; sur les mesures proposées par la Division du Commerce du Département fédéral de l’Economie publique, cf. E 7800/1/26.↩
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