Classement thématique série 1848–1945:
VII. AFFAIRES SOCIALES ET HUMANITAIRES
2. Réfugiés, émigrés
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 13, doc. 72
volume linkBern 1991
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1553#5750* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1553 266 | |
Dossier title | Politische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich - Allgemeines (1938–1945) | |
File reference archive | B.41.21.1 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/46829 Le Chef de la Division de Police du Département de Justice et Police, H. Rothmund, au Chef de la Division des Affaires étrangères du Département politique, P. Bonna1
Ich habe heute den Versuch gemacht, eine Antwort aufzusetzen an Kullmann, in London, auf dessen Brief vom 16. Februar2. Ich bitte Sie den beiliegenden Entwurf3 durchsehen zu wollen. Wie Sie bemerken werden, habe ich den Spiess umgedreht und versucht, auf diesem Wege zum Ziel zu gelangen. Ich muss Ihnen aber sagen, dass ich Bedenken habe, bei dieser negativen Einstellung zu bleiben. Schon der Umstand, dass Herr Taylor den Eingang meines Briefes vom 28. Juli 19384 nicht bestätigt und das Sekretariat mir nach der Konferenz vom 3. August 1938 das gewünschte Material nicht geschickt hat, zeigt, dass man in London verschnupft ist. Deshalb wird Kullmann auch geschrieben haben. Ich habe die Antwort auch aus dem Grunde hinausgezogen, weil ich hoffte, wir könnten vielleicht doch noch positiver Stellung nehmen zu dem Londoner Komitee. Mag es nun langsam gehen und mögen die meisten Sitzungen des Komitees für uns direkt kein Interesse bieten, so frage ich mich doch ernstlich, ob es zweckmässig sei, durch Wegbleiben die Leute zu verärgern. Das Komitee ist eben doch das Sinnbild der humanitären Einstellung zu dem Problem der Flüchtlinge. Ein konsequentes Fernbleiben, dessen Gründe ja der Öffentlichkeit nicht auseinandergesetzt werden können, müsste nicht nur bei uns in der Schweiz, sondern auch bei der öffentlichen Meinung der für uns wichtigen Länder, die mit uns das barbarische Vorgehen gegen die Juden in Deutschland aus tiefster Menschlichkeit ablehnen, auf absolutes Unverständnis stossen und würde sicherlich ganz falsch aufgefasst. Die bisherigen Konferenzen haben übrigens bewiesen, dass das Problem als solches angepackt wird und dass man sich ausserordentlich bemüht, es nicht politisch auszuschlachten. Diese Einstellung ist ja allerdings die einzig mögliche, da sonst eine Lösung überhaupt nicht möglich wäre, weil Deutschland jede politische Aktion des Komitees mit neuen Massnahmen gegen die Juden beantworten würde. Die deutsche Regierung kann es uns doch gar nicht übelnehmen, wenn wir in London mitmachen, denn sie kennt ja die Lage, in die wir durch den Zustrom der Emigranten gekommen sind und weiss, dass deutsche Organe nicht unerheblich daran mitschuld sind. Sie weiss, dass wir alles tun wollen und tun müssen, um die Emigranten weiterzubringen und hat alles Interesse daran, dass eine geregelte Auswanderung zustande kommt, weil sie die Juden sonst überhaupt nicht losbringt. Dies zur politischen Seite, die Sie natürlich besser beurteilen können als ich.
Nun aber zu meinem Problem. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gross meine Sorgen um die Weiterbringung der Emigranten sind. Ich habe mir wohl eine Zeitlang gesagt, wir müssten eben den Versuch machen, durch offizielle direkte Fühlungnahme mit gewissen Einwanderungsländern zum Ziele zu gelangen. Wir haben es in einem Fall, für eine kleine Gruppe von 2-300 Leuten, durch Ihre Vermittlung auch versucht. Wir erhalten aber von Bolivien keine Antwort, obgleich eine solche schon lange in Aussicht gestellt ist. Auch können wir kaum jemand in alle diese Länder schicken. Nachdem dieses Londoner Komitee durch die Initiative Roosevelts zustande gekommen ist und die Amerikaner offenbar alles tun, damit es einen Erfolg bringt - wohl schon aus Prestigegründen - und zwar nicht nur einen Erfolg in Deutschland, sondern auch einen solchen für die Schaffung von Einwanderungsmöglichkeiten in Übersee, so ist zu erwarten, und zu befürchten, dass letzten Endes wirkliche Einwanderungsmöglichkeiten ausschliesslich oder doch zum grössten Teil nur durch dieses Komitee zu finden sein werden. Kommt die Abmachung mit Deutschland zustande, so braucht man die Schweiz auch nicht mehr als Durchgangsland und weiss übrigens ganz genau, dass sie sich dafür zur Verfügung hält, auch wenn man ihr in London Schwierigkeiten macht. Selbst wenn meine Befürchtungen praktischer Art nicht zutreffen sollten, so laufen wir Gefahr, bedeutend länger Zeit zu brauchen, bis wir die Leute weiterbringen können. Zudem ist unsere Judenschaft auf die finanzielle und moralische Mitwirkung der internationalen jüdischen Auswanderungsorganisationen angewiesen. Wenn sich diese von der Schweiz abkehren, was jedenfalls zu befürchten ist, wenn wir weiterhin London fernbleiben, kann sich das katastrophal auswirken. Wir müssen aber unbeding bald für die Weit er Wanderung sorgen können, schon weil unsere heutige Zureisepraxis derart scharf und rücksichtslos ist, dass wir früher oder später mit einem Krach rechnen müssen. Dazu kommt noch, dass wahrscheinlich mehrere Tausend der sich in der Schweiz aufhaltenden Emigranten nicht auswanderungsfähige Berufe haben. Diese müssen vor der definitiven Auswanderung umgeschult werden. Wir haben aber in der Schweiz keine Umschulungsmöglichkeiten, die den Arbeitsmarkt nicht direkt oder indirekt berühren. Kleine Versuche in Flüchtlingslagern sind zahlenmässig unbedeutend. Wir müssen deshalb den Versuch machen, zahlreiche unserer Emigranten zur Umschulung in andere Durchgangsländer zu bringen, selbst wenn die Kosten dafür von der Schweiz aus bezahlt werden müssen. Wir denken dabei hauptsächlich an Frankreich und England. Wenn wir bei dem Londoner Komitee nicht mitmachen, werden wir bestimmt in England nicht ankommen.
Ich bitte Sie dringend, sich die Frage noch einmal zu überlegen. Ich kann mir gar nicht denken, dass uns die Mitwirkung beim Londoner Komitee politisch schaden könnte. Wäre es nicht möglich, die deutsche Regierung über die Gründe dieser Mitwirkung zu verständigen?
Verzeihen Sie bitte, dass ich so heftig insistiere. Sie wissen ja, dass ich in Evian5 in der anderen Richtung vorgearbeitet habe. Aber ich sehe heute wirklich keinen anderen Weg mehr, um in absehbarer Zeit unsere Emigranten weiterzubringen, als im Kontakt mit London. Die Gründe, weshalb es vorwärts gehen muss mit der Weiterwanderung, brauche ich Ihnen ja nicht auseinanderzusetzen. Haben Sie ein Einsehen und helfen Sie mir.
- 1
- Lettre: E 2001 (D) 3/266. Annotation de Bonna en haut du document: Cette lettre a servi de trame à une conversation entre M. Rothmund et moi. Il a été constaté qu’un certain rapprochement entre la Suisse et le Comité de Londres était désirable; qu’aussi bien le Cfonseil] ffédéral] n’avait jamais eu l’intention de ne pas collaborer avec le Comité, mais seulement de ne pas participer à toutes les séances et qu’il convenait de dissiper le malentendu à ce sujet. Ad acta. 28.4.↩
- 2
- Cf. No 30.↩
- 3
- Non reproduit. Cf. No 81.↩
- 4
- E 2001 (D)3/267.↩
- 5
- Cf. No 30.↩
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