Language: German
30.12.1938 (Friday)
CONSEIL FÉDÉRAL Procès-verbal de la séance du 30.12.1938
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Exposé des résultats de l’enquête contre le BTE, le Volksbund (NSSAP) et l'ESAP. Décision de procéder à une instruction préliminaire contre le BTE et le Volksbund (NSSAP) soupçonnés d’atteintes à l’indépendance de la Confédération et d’espionnage. Raisons insuffisantes pour introduire une telle procédure contre l'ESAP.
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Printed in

Oscar Gauye (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 495

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Bern 1994

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dodis.ch/46755
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 30 décembre 19381

2372. Politische Vergehen. Strafverfahren gegen Zander und Mitbeteiligte und Leonhardt und Mitbeteiligte

In der randvermerkten Angelegenheit berichtet das Justiz- und Polizeidepartement was folgt:

«Gemäss Art. 105 des Bundesstrafrechtspflegegesetzes2, wonach der Bundesrat über die gerichtliche Verfolgung politischer Vergehen entscheidet, unterbreiten wir Ihnen folgende Angelegenheiten. Wir schicken allgemein voraus, dass am 10. November 1938 gegen die nationalsozialistischen «Erneuerungsbewegungen», nämlich I. Bund treuer Eidgenossen, II. Volksbund, später Nationalsozialistische Schweizerische Arbeiterpartei, III. Eidg. soziale Arbeiterpartei, wegen Verdachtes der Widerhandlung gegen das Unabhängigkeitsgesetz vom 8. Oktober 19363 und das sog. Spitzelgesetz vom 21. Juni 19354 gerichtspolizeiliche Ermittlungen zu rund 100 Hausdurchsuchungen und zu 22 Verhaftungen geführt haben, von denen zurzeit noch 8 aufrechterhalten sind5.

I. Bund treuer Eidgenossen.

1. Die Ermittlungen des Polizeidienstes der Bundesanwaltschaft zeitigen die Forderung nach umfassender Abklärung der Tätigkeit des «Bundes treuer Eidgenossen» (hiernach BTE). Diese Forderung ist verfahrensrechtlich gegeben; es besteht Grund zur Einleitung der Voruntersuchung sowohl was das Unabhängigkeits- wie das Spitzelgesetz anbetrifft. Die Forderung ist staatspolitisch gegeben; denn die Tätigkeit des BTE, soweit sie bis jetzt aufgehellt ist, verlangt notwendigerweise, aus Gründen der Wahrung der innern und äussern Sicherheit, ein Durchgreifen der Landesregierung.

2. Der BTE, unter seinem Obmann Zander, Alfred, steht «Ideell auf dem festen Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung». Seine politische Leitung und sein Schutz-Korps (mit Scharführern und Truppführern usw.) haben den Sieg der nationalsozialistischen Idee zum Ziel. «Wer Nationalsozialist wird, tritt nicht irgendeiner Partei bei, sondern er wird damit Soldat einer Freiheitsbewegung.» Die politische Organisation gliedert sich von unten nach oben in folgende Einheiten: Block, Zelle oder Stützpunkt, Ortsgruppe, Kreis, Gau.

3. Die Anwendbarkeit des Spitzelgesetzes trifft nach den Ermittlungen ohne Weiteres zu. Besonders der sog. «Aussendienst» des BTE betreibt einen geheimen Nachrichten- und Kurierdienst, der eine Voruntersuchung, gestützt auf Art. 1 bis 3 des Spitzelgesetzes, notwendig macht.

4. Über den Bereich des Spitzelgesetzes hinaus sind folgende Tatsachen von Belang:

a. die ganze politische Organisation des BTE in seinem Führerprinzip und Treuegelöbnis, mit Einschluss besonders des «Schutzkorps» und seiner Mittel, und ebenso des «Aussendienstes» mit seinen Nachrichten- und Kurierdienst sowie dem geplanten Schwarzsender.

b. Die enge Verbindung, besonders des «Aussendienstes», mit deutschen Amts- und Parteistellen.

c. Die Zielrichtung der Machtübernahme durch den BTE.

5. Diese Verhältnisse, die Zusammenhänge mit dem Ausland sind freilich undurchsichtig. Die Art der Bespitzelung erfolgt aber mindestens auch zuhanden deutscher Stellen gegen die Schweiz; die Geldquellen des «Aussendienstes» verlangen insoweit Abklärung. Der «Aussendienst» hat seinen Sitz bezeichnenderweise nach Deutschland verlegt. Es besteht der Verdacht von Anschlussabsichten, und was im heutigen Zeitpunkt zu betonen ist, der Materialbeschaffung für eine Einmischung des Auslandes in unsere innern Angelegenheiten. Der Nachrichten- u. Kurierdienst richtet sich, bereits so wie er als Ermittlungsergebnis bekannt ist, gegen unsere Polizeihoheit. Die klar angestrebte «Machtübernahme» durch den BTE ist zu würdigen im Zusammenhang zur Verbindung mit deutschen Amtsstellen: Wenn ausländische Amtsstellen diese Tätigkeit des BTE fördern, so ist dies Einmischung in unsere politischen Verhältnisse. Der Verdacht vorbereitender Handlungen, die unsere Unabhängigkeit gefährden, ist deshalb gegeben und die Ausdehnung des Verfahrens auf Vergehen gegen das Unabhängigkeitsgesetz ist am Platze, ganz unbekümmert um die spätere Entscheidung nach durchgeführter Voruntersuchung.

6. Die Voruntersuchung ist eidgenössisch zu führen mit Rücksicht auf die grosse politische Bedeutung des Falles und da sich die den Beschuldigten zur Last gelegten Handlungen über mehrere Kantone erstrecken.

II. Volksbund.

1. Die Ermittlungen des Polizeidienstes der Bundesanwaltschaft begründen auch dem «Volksbund» gegenüber die Forderung nach umfassender Abklärung der Tätigkeit. Wir wiederholen das unter I, 1 Geschriebene.

2. Der «Volksbund», später umgetauft in «nationalsozialistische Schweizerische Arbeiterpartei» (hiernach NSSAP) weist in seiner Zeitung und in Schriftstücken das Hackenkreuz auf. Der Eintretende wird auf folgende Formel vereidigt: «Ich, eidgenössischer Nationalsozialist, Mitglied des «Volksbund», bekenne mich zu unsern Kampfzielen; ich schwöre Treue bis in den Tod: der Fahne, dem «Volksbund» und Vaterland. Ich gelobe Treue und Disziplin meinem Führer - so wahr mir Gott helfe.» Der Landesführer Leonhardt gründete eine Schutzstaffel (SS).

3. Die Anwendbarkeit des Spitzelgesetzes trifft nach den polizeilichen Ermittlungen ohne Weiteres zu, was die Denunziation des früheren Volksbündlers Würgler bei der deutschen Gestapo Berlin anbetrifft. Lediglich beispielsweise führen wir weiter an: Leonhardt hat in der Schweiz über Personen Informationen eingezogen, die näher abgeklärt werden müssen; Bodmer, Leiter der Geschäftsstelle Zürich, hat der deutschen Gestapo politische Nachrichten geliefert. Auch wirtschaftlicher Nachrichtendienst ist erwiesen.

4. Die Tätigkeit des «Volksbund» weist Merkmale auf, die Ausdehnung der Voruntersuchung auf Widerhandlung gegen das Unabhängigkeitsgesetz rechtfertigen:

a. Die Ermittlungen begründen den Verdacht, dass die NSSAP-Leute den Anschluss der «deutschvölkischen» Schweiz an Deutschland vorbereiten (Bodmer an den deutschen Amtsleiter der NSDAP, Ortsgruppe Lottstetten, Baden: «Nicht wahr, wenn Ihr Deutschen dann in Zürich einmarschiert, so denken Sie an mich.»

b. Die Verbindung mit deutschen Amts- und Parteistellen, mit Gestapobeamten, die Teilnahme an Parteitagen, an Schulungskursen «für unsere Bewegung», die Betrachtung des «Volksbund» als auslandsdeutsche Gruppe, ergeben die Übereinstimmung mit dem deutschen Vorbild: Hitler gilt als höchster Führer. - Bodmer stand z.B. in Verbindung mit: Gestapo, Propagandaministerium, Ausländsabteilung, Grossdeutschem Pressedienst, Institut zum Studium der Judenfrage, Reichsstelle für Aussenhandel, Verlag des Fichtebundes, Verlag des «Stürmer».

c. Es besteht Verdacht, dass Leonhardt für seine politische Tätigkeit von Deutschland bezahlt worden ist.

d. Es werden für Sendungen von Deutschland her Deckadressen verwendet.

5. Die Erwägungen unter I, 5 treffen, mutatis mutandis, auf den «Volksbund» ebenfalls zu.

6. Die Voruntersuchung ist gleicherweise eidgenössisch zu führen.

III. Eidgenössische Soziale Arbeiterpartei.

Die Ermittlungen gegen die Eidgenössische Soziale Arbeiterpartei (ESAP), an ihrer Spitze Hofmann und Wechlin, ergeben keinen genügenden Grund, um wegen Verdachts der Widerhandlung gegen das Unabhängigkeits- oder Spitzelgesetz die Voruntersuchung anzubegehren. Der Bundesanwalt wird deshalb die Ermittlungen einstellen. - Über die Frage, ob und welche administrativen Massnahmen gegen die genannten drei Vereinigungen zu treffen sind, wird das Justiz- und Polizeidepartement einen besonderen Antrag unterbreiten.»

Antragsgemäss wird beschlossen:

I. Gestützt auf Art. 105 des Bundesstrafrechtspflegegesetzes wird der Bundesanwalt ermächtigt, bei dem eidg. Untersuchungsrichter die Voruntersuchung wegen Verdachtes der Widerhandlung gegen das Unabhängigkeitsgesetz vom 8. Oktober 1936 und das sog. Spitzelgesetz vom 21. Juni 1935 zu beantragen:

1. gegen die Leitung und die vom Bundesanwalt näher zu bezeichnenden Angehörigen des «Bund treuer Eidgenossen» sowie allfällig weitere Mitbeteiligte;

2. gegen die Leitung und die vom Bundesanwalt näher zu bezeichnenden Angehörigen des «Volksbund», Nationalsozialistische Schweizerische Arbeiterpartei sowie allfällig weitere Mitbeteiligte.

II. Der Bundesrat nimmt Kenntnis davon, dass der Bundesanwalt die gerichtspolizeilichen Ermittlungen gegen die Eidgen. Soziale Arbeiterpartei (Hofmann, Wechlin und Mitbeteiligte) einstellt.

1
E 1004.1 1/380.
2
Cf. RO, 1934, vol. 50, p. 731.
3
Cf. RO, 1937, vol. 53, p. 37.
4
Cf. RO, 1935, vol. 51, p. 495.
5
A ce sujet, cf. aussi No 475.