Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 491
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1554#571* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1554 52 | |
Dossier title | Mandchoukuo (1938–1938) | |
File reference archive | E.22 |
dodis.ch/46751
Als ich vor zwei Jahren die Mandschurei bereiste, drängte sich mir immer wieder der Vergleich dieses Landes mit Kanada vor etwa 30 Jahren auf. Ein grosses Gebiet, das aber vorläufig im modernen Sinne nur in den leichter zugänglichen Gegenden unter dem Einfluss Japans und dessen Kapital, ähnlich wie damals Kanada unter englischer Hilfe sich entwickelte. Die Rolle der Vereinigten Staaten im Süden Kanadas übernimmt in der Mandschurei das grosse, zukunftsreiche China, das auch in einem Japan günstigen Kriegsausgang kaum dauernd unter dessen Kontrolle bleiben wird. Dairen mit seinen russischen Erinnerungen kommt dem französisch beeinflussten Québec, Mukden im Zentrum der Sojakulturen dem im Weizenzentrum liegenden Winnipeg gleich. Die mandschurische Eisenbahn spielt verkehrstechnisch und wirtschaftlich die gleiche Rolle wie früher die «Canadian Pacific».
Was Manchoukuo fehlt, ist ein mächtiges, schiffbares Flussnetz im Sinne des St-Lawrence in Kanada. Der Amur könnte diese Rolle übernehmen, verläuft aber nicht in Manchoukuo selbst, sondern nur an dessen nördlicher Grenze gegen Russland. Dies ist vielleicht einer der Hauptgründe, weshalb sich am Amur bis anhin keine Städte von der Bedeutung Montreals oder Torontos entwickelt haben und weshalb Russland seiner Zeit mit lüsternen Augen nach Manchoukuo und heute Japan und Manchoukuo nach den nördlichen Gebieten dieses wichtigen Stromes blicken.
Wie auch immer die zukünftigen politischen Schicksale der Mandschurei sein mögen, so wird die vor sechs Jahren eingeleitete Entwicklung zu einem modernen Wirtschaftsgebiete, wenn vielleicht auch mit vorübergehenden Unterbrechungen, fortschreiten. Es entspricht dies nicht nur einem Bedürfnis dieses Landes selbst, sondern auch der umgebenden und sogar ferner gelegenen Staaten. An der Entwicklung des neueröffneten Agrarlandes teilzunehmen, wird ein natürliches Bestreben der Schweiz als Industriestaat sein. Dass man dabei mit der nötigen Vor- und Weitsicht zu Werke gehen muss, lehren uns die Erfahrungen in anderen Weltteilen. Wenn Japan sich auch zweifellos den Löwenanteil sichern wird, bleibt doch für Drittstaaten und somit auch für uns ein interessantes Wirkungsfeld übrig.
Aus diesen allgemeinen Erwägungen heraus habe ich anlässlich meines letzten Besuches in Bern mit Ihnen die Frage der Anerkennung Manchoukuos besprochen. Wir waren uns einig, dass diese angesichts der damals begonnenen japanisch-chinesischen Wirren und unseren Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft zum Völkerbund nicht in Betracht komme. Dagegen ermächtigten Sie mich auf mein Ersuchen hin, die japanische Regierung, falls ich dies wünschenswert erachte, vertraulich wissen zu lassen, dass wir eine Anerkennung vornehmen werden, sobald mehrere Mitgliedstaaten des Völkerbundes dies getan.
Nach meiner Rückkehr nach Japan veränderten sich die politischen Verhältnisse stark. Der mir befreundete Aussenminister Hirota, in dessen Diskretion ich volles Vertrauen setzen konnte, wurde durch den mir unbekannten früheren japanischen Botschafter in China ersetzt; dann schloss sich Italien dem Antikominternvertrag zwischen Japan und Deutschland an; die kriegerischen Ereignisse in China nahmen an Ausdehnung und Stärke zu. Gleichzeitig waren bei uns erfolgreiche Bestrebungen auf Anerkennung der völligen Neutralität der Schweiz im Völkerbund im Gang. Die Einstellung der drei Antikominternstaaten gegen den Völkerbund, die ihn alle verlassen hatten, verschärfte sich.
In dieser politischen Atmosphäre erachte ich es für klüger, von der Ermächtigung zur vertraulichen Erklärung betreffend die Mandschurei keinen Gebrauch zu machen. Ich fürchtete, dass durch Indiskretionen die Erklärung in Genf und China bekannt würde und ungünstig wirke, und dass sie als ein Schritt in der Richtung der Antikominterngruppe gedeutet werde. Diese letzte Gefahr bestand umsomehr, als wir eines der wenigen Länder sind, das Russland nicht anerkannt hat.
Statt der vorerwähnten Erklärung wählte ich daher andere Wege um darzutun, dass wir Manchoukuo an sich nicht ablehnend gegenüber stehen. Ich zeigte mich dem Botschafter und den Mitgliedern seines Stabes bei Diners und Empfängen entgegenkommend. Ich interessierte mich in Gesprächen für ihr Land. Ich nahm ihre Veröffentlichungen entgegen, instruierte meinen japanischen Übersetzer, der ihm gut bekannte Japaner als Botschaftssekretäre der mandschurischen Vertretung hat, mit diesen privat gute Fühlung zu behalten. Ich zögerte nicht, dem Interpreten gegenüber mein lebhaftes Interesse für die Entwicklung des jungen Staates zu zeigen, was zweifellos der Botschaft nicht unbekannt blieb. Am meisten Eindruck machte der Umstand, dass ich die Pässe der mandschurischen Wirtschaftskommission, die sich dieses Jahr nach Italien, Deutschland und Polen begab, und die vom Botschaftssekretär überbracht wurden, absichtlich sofort und ohne vorherige Rückfrage in Bern, entgegen dem Vorgehen verschiedener anderer Staaten, gebührenlos visierte.
Meine vorgeschilderte Haltung hat sich bewährt. Die mandschurischen Behörden zeigen sich der Schweiz entgegenkommend. Mit einer einzigen Ausnahme, habe ich bis anhin keine Beschwerden von Landsleuten, seien es Residenten, Touristen oder Handelsreisende, seien es schweizerische Firmen, erhalten. Der Delegierte der schweizerischen Zentrale für Handelsförderung, Herr Brack, fand anlässlich seiner Reise vor drei Monaten bereitwillige Aufnahme. Bermerkenswert ist, dass sich auch der Handelsverkehr um mehrere Millionen gehoben hat. Aus diesem letzten Grund trage ich mich auch mit dem Gedanken, Ihnen demnächst, sobald ich einen geeigneten Kandidaten gefunden habe, die Gründung einer Konsularagentur in Dairen, dem Hauptzufahrtshafen Manchoukuos, vorzuschlagen.
Die Staaten, die Manchoukuo offiziell anerkannt haben, sind folgende: Deutschland, Italien, die Burgos-Regierung, San-Salvador und der Vatikan. Also bis anhin kein einziger Völkerbundsstaat. Polen ist allerdings auf diesem Wege schon ziemlich weit gegangen, indem es ein Konsularabkommen mit Manchoukuo Unterzeichnete. Man hört auch, dass Ungarn wahrscheinlich sich demnächst zur Anerkennung entschliesse. Alle andere Staaten, und es sind gerade diejenigen, die das demokratische Prinzip hochhalten, haben sich bis anhin nicht zu einer Anerkennung entschliessen können.
Was uns anbetrifft, liegt zur Zeit kein Grund zu übermässiger Eile vor. Es will mir scheinen, dass wir als privilegierter Mitgliedstaat des Völkerbundes in dieser Frage nicht wohl mit dem grossen Stiefel vorangehen sollten. Im Frieden mit China wird die Frage der Anerkennung Manchoukuos ohnehin eine Regelung erfahren, die auch für uns den Boden für eine Entscheidung ebnen dürfte. Sollte der Krieg aber noch länger andauern, wird die Entwicklung zeigen, ob und wann wir den Schritt tun sollen.
Eines möchte ich aber in diesem Zusammenhang ausdrücklich betonen. Die Fatsache, dass wir bis anhin Russland nicht anerkannt haben, wird der Schweiz in Japan und in Manchoukuo hoch angerechnet. Es wäre politisch, was Japan und Manchoukuo anbelangt, ein grosser Fehler, je Russland anzuerkennen, ohne nicht gleichzeitig zur Paralisierung eines solchen Schrittes auch Manchoukuo das gleiche Recht einzuräumen. Auch dürfte dannzumal, falls die Anerkennung Russlands sich für uns als notwendig erweisen sollte, die durch die Anerkennung Manchoukuos verursachte Verstimmung in China, soweit es von Japan unabhängig bleibt, durch die Anerkennung Russlands, auf das dieses China zur Zeit zusehends mehr und mehr angewiesen ist, wett gemacht werden.