Language: German
23.3.1938 (Wednesday)
Le Ministre de Suisse à Berlin, P. Dinichert, au Chef du Département politique, G. Motta
Letter (L) • confidential
Visite à Berlin de Jean Hoop, Chef du Gouvernement du Liechtenstein. Ses impressions. Son évaluation du danger national-socialiste pour son pays. Mesures envisagées pour renforcer le position du Liechtenstein. L’abdication du Prince Franz, dont l’épouse est juive, facilitera les relations avec l’Allemagne.

Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.16. LIECHTENSTEIN

Également: Conférence entre représentants suisses et du Liechtenstein sur le problème de la protection de la frontière avec l’ancienne Autriche. Questions abordées: renforcement du cordon douanier, droit d’occupation par les troupes suisses, neutralité du L., police des étrangers, travailleurs liechtensteinois, station radio. Annexe de 16.3.1938
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Printed in

Oscar Gauye (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 241

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Bern 1994

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Repository

dodis.ch/46501
Le Ministre de Suisse à Berlin, P. Dinichert, au Chef du Département politique, G. Mot ta1

Vertraulich

Das Schreiben der Abteilung für Auswärtiges vom 19. dieses Monats2, das mir den bevorstehenden Besuch des Regierungschefs des Fürstentums Liechtenstein anzeigt, ging erst heute morgen ein. Eine Stunde später stellte sich Dr. Josef Hoop bei mir ein. Bereits vorgestern abend hatte ich zufälligerweise durch Staatsminister Meissner, dem Chef der Präsidialkanzlei, erfahren, dass ihn Dr. Hoop, mit dem er gelegentlich im Fürstentum zusammengekommen war, aufgesucht habe, und ich war etwas überrascht, von der Gegenwart des liechtensteinischen Regierungschefs in Berlin nichts zu wissen.

Dieser berichtete mir nun, er habe abgesehen von der Briefmarkenausstellung, die den unmittelbaren Anlass zu seiner Berlin er Reise bildete, nur zwei Persönlichkeiten gesprochen: den bereits erwähnten, ihm persönlich bekannten Staatsminister Meissner und Reichsinnenminister Frick, zu dem ihn ein ihm ebenfalls von früher bekannter Beamter des Innenministeriums gebracht habe.

Der Besuch bei Dr. Meissner war ohne wesentliches Interesse. Dieser habe lediglich in persönlichem Namen gesprochen, wenn er ihn der freundlichen Gesinnung Deutschlands für Liechtenstein glaubte versichern zu können.

Die Aussprache mit dem Reichsminister des Innern war schon inhaltsvoller, aber gleichzeitig nicht ganz harmlos. Dr. Frick entwickelte dem Besucher seine mir wohl bekannten Gedanken über das Deutschtum und dessen unausbleibliche Anziehungskraft auf durch Sprache und Rasse verwandte Völkerschaften. Der nunmehrige grosse deutsche Nachbar werde also zwangsläufig seine Strahlen über die Grenze ins kleine Ländchen hinübersenden. Weiter sollen die Fäden nicht gesponnen worden sein. Aber das grundlegende nationalsozialistische Programm wurde gebührend in Erinnerung gebracht, und es wäre töricht, nicht einzusehen, dass die Zukunft unter gewissen Umständen für Liechtenstein bisher nicht bestandene Gefahren bringen kann.

Übereinstimmend ging unsere Auffassung dahin, dass die naheliegendste Gefahr im Erwachen einer nationalsozialistischen Bewegung im Fürstentum bestände. Folglich war für mich das Interessanteste, was Dr. Hoop mir in dieser Hinsicht anvertraute und sich in Folgendem zusammenfassen lässt.

Von einer nationalsozialistischen Partei oder auch nur Gruppe in Liechtenstein konnte bisher jedenfalls nicht gesprochen werden. Mit derartigen Anschauungen oder besser äusserlichen Erscheinungen sympathisierten nur eine Anzahl junger Burschen, die von den österreichischen Nationalsozialisten in Feldkirch und anderen benachbarten Orten angesteckt seien. Sodann mag der eine oder andere etwas rührige Gastwirt die Annäherung an Deutschland aus Geschäftsrücksichten begrüssen.

Dagegen würde der Grossteil der liechtensteinischen Bevölkerung den Arbeitsdienst, den zweijährigen Dienst in der Wehrmacht, die erdrückende Besteuerung, die Devisenbewirtschaftung u.s.w. fürchten. Gleichzeitig fielen die Einkünfte der in Vaduz niedergelassenen Holdinggesellschaften weg. Man denkt also dort vorab praktisch.

Anderseits seien bereits zweierlei vorbeugende politische Massnahmen in Aussicht genommen, die durch die gründlich veränderte Sachlage eingegeben sind.

Vorerst stehe eine Verständigung zwischen den beiden bestehenden, fast gleich starken Parteien bevor: der jetzigen Regierungspartei und der Vaterländischen Union, wonach die erste den Regierungschef und einen der beiden Regierungsräte, die zweite den Stellvertreter des Regierungschefs und den ändern Regierungsrat stellen soll. Bekanntlich unterscheiden sich die beiden Parteien mehr durch Personenfragen denn durch sachliche Einstellungen.

Die zweite Massnahme sei noch als durchaus vertraulich zu behandeln. Sie bestünde in der Erwirkung der Abdankung des derzeitigen regierenden Fürsten, des 85-jährigen Fürsten Franz, dessen Gattin eine Jüdin, geborene Gutmann, eine Dame von 63 Jahren ist. Die Nachfolge würde der Prinz Franz-Josef, ein Grossneffe, Enkel der Schwester des regierenden Fürsten, die ebenfalls mit einem Prinzen Liechtenstein vermählt war, übernehmen. Durch die Ausschiffung des alten Herrn und seiner jüdischen Frau soll eine Entlastung im Verhältnisse zu Deutschland erzielt werden.

Mit der Reichsregierung werden in Bälde verschiedene Angelegenheiten zu regeln sein, so insbesondere die Eisenbahnfrage, die Verbauung des Rheins und verschiedener Bergbäche und anderes mehr. Es dürfte auch die Gesandtschaft in Vertretung liechtensteinischer Interessen damit befasst werden.

Seine Beziehungen zur Schweiz wünscht das Fürstentum mehr denn je zu erhalten und weiter zu pflegen. In dem Masse, wo wir ihm das erleichtern können, werden wir wohl auch zur Erhaltung seiner Unabhängigkeit vom Deutschen Reiche beitragen3.

Dr. Hoop soll Berlin noch heute verlassen.

1
Lettre: E 2001 (E) 1969/262/54.
2
Cette lettre confidentielle de Bonna disait: Wir beehren uns Ihnen mitzuteilen, dass der liechtensteinische Regierungschef, Herr Dr. Hoop, sich in privater Eigenschaft nächsten Montag, den 21. d. M., nach Berlin begibt, und zwar aus Anlass einer Briefmarkenausstellung, an der auch Liechtenstein beteiligt ist. Er gedenkt die Gelegenheit zu benützen, um mit einigen deutschen Persönlichkeiten in vorsichtiger Form Fühlung zu nehmen und sich über die Haltung Deutschlands gegenüber Liechtenstein unterrichten zu lassen. Zu Ihrer Orientierung fügen wir bei, dass nach den bisherigen Feststellungen kein Anlass dafür vorhanden ist anzunehmen, dass von deutscher Seite die Unabhängigkeit und Selbständigkeit Liechtensteins nicht respektiert werde. Das liechtensteinische Volk ist nach den uns zugegangenen Erklärungen fest entschlossen, das Vertragsverhältnis mit der Schweiz aufrechtzuerhalten und zeigt keine Neigung, nationalsozialistischen Einflüssen, die sich übrigens bis anhin kaum gezeigt haben, Raum zu gewähren. Herr Dr. Hoop gedenkt auch bei Ihnen vorzusprechen und wird vielleicht in der Lage sein, Ihnen über seine Wahrnehmungen mündlich zu berichten.
3
Le procès-verbal de la conférence du 16 mars 1938 entre représentants suisses et du Liechstenstein, reproduit en annexe, permet de préciser les relations entre les deux Etats immédiatement après l’Anschluss.