dodis.ch/46341 La Division des Affaires étrangères du Département politique aux Légations de Berlin, Londres, Paris, Rome et Vienne1
Streng vertraulich Bern, 25. Mai 1937
Im Anschluss an unser Schreiben vom 19. d.M.2 betreffend die Besprechung Mussolini-Schuschnigg in Venedig beehren wir uns, Ihnen folgendes mitzuteilen:
Seit einigen Monaten, hatte die Österreichische Regierung dem Wunsche Ausdruck gegeben, dass Staatssekretär Guido Schmidt einen Höflichkeitsbesuch in Bern gelegentlich einer Reise durch die Schweiz abstatten könne. Dieser Besuch erfolgte nun anlässlich der Rückkehr des Staatssekretärs von den Krönungsfeierlichkeiten in London.
Dr. Guido Schmidt hatte bei diesem Anlass eine längere vertrauliche Aussprache mit dem Herrn Bundespräsidenten.
Aus den Äusserungen des Staatssekretärs ergibt sich, dass Österreich nach wie vor den römischen Protokollen treu bleibt. Zwar müsse sich jetzt die österreichische Politik der Achse Rom-Berlin anpassen. In Venedig habe aber Mussolini die bestimmte Erklärung abgegeben, dass er sich auch in Zukunft für die Unabhängigkeit Österreichs gegenüber Deutschland einsetzen werde. Diese Zusicherung sei nicht in Zweifel zu ziehen, aber man dürfe leider nicht übersehen, dass in gewissen fascistischen Kreisen eine andere Auffassung Boden gewonnen habe, und man befürchte in Wien, dass diese Auffassung nicht ganz ohne Einfluss auf den italienischen Aussenminister geblieben sei. Vorderhand bestehe jedoch keine Gefahr. In Paris und in London habe der Staatssekretär die Zusicherung erhalten, dass die Weststaaten sich auch weiterhin für Österreich und die Donauländer interessieren werden. Der österreichische Staatssekretär sei aber dafür eingetreten, dass jede Erklärung in Bezug auf Österreich unterbleibe. Österreich werde sich an der morgen beginnenden Völkerbundsversammlung durch seinen ständigen Delegierten Pflügl vertreten lassen. Die Anwesenheit des Staatssekretärs selbst in Genf sei nicht erforderlich, nachdem er Gelegenheit gehabt habe, sich in London und Paris mit den dortigen Regierungskreisen direkt auszusprechen. Ein Austritt aus dem Völkerbund, zu dem der deutsche Reichskanzler den Staatssekretär anlässlich seines Besuches in Berlin aufgemuntert habe, komme für Österreich jedenfalls zur Zeit nicht in Frage. Österreich habe sich mit Ungarn dahin verständigt, dass beide Länder, falls überhaupt, nur gemeinsam Genf den Rücken kehren werden.
Den Aufschlüssen Schmidts kann entnommen werden, dass seine politischen Besprechungen in London und Paris nicht eine Neuorientierung der österreichischen Aussenpolitik bedeuten. Vielmehr wollte man wohl durch diese Besprechungen zum Ausdruck bringen, dass sich Österreich trotz der bestehenden Bindungen als selbständiger Staat fühlt und dass es gewillt sei, die Beziehungen mit den Weststaaten, die für die Sicherheit Österreichs ebenfalls von Bedeutung sind, aufrechtzuerhalten. Da nicht anzunehmen ist, dass diese Besprechungen ohne Kenntnis und gegen den Willen Italiens erfolgten, darf geschlossen werden, dass Rom in der Frage Österreich wenigstens den indirekten Kontakt mit Paris und London nicht aus den Augen verloren hat.
An Wien:
P.S. Es gereicht uns zum Vergnügen, Ihnen mitteilen zu können, dass Herr Schmidt besonders die guten Beziehungen hervorgehoben hat, die er mit Ihnen unterhält.