Classement thématique série 1848–1945:
I. SOCIÉTÉ DES NATIONS
4. Conflit italo-éthiopien, sanctions; venue du Négus en Suisse; manifestation de journalistes italiens à la SdN; reconnaissance de l’Ethiopie italienne
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 11, doc. 337
volume linkBern 1989
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#362* |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates November - Dezember 1936 (1936–1936) |
dodis.ch/46258 CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 23 décembre 19361 2096. Anerkennung der italienischen Souveränität in Äthiopien
Procès-verbal de la séance du 23 décembre 19361
I. Die militärischen Ereignisse in Äthiopien, die im Oktober 1935 begannen, hatten im Mai zur Einnahme von Addis Abeba geführt. Bei Eintritt der sommerlichen Regenzeit trat dann ein Unterbruch in den militärischen Operationen ein, die vor zwei Monaten wieder aufgenommen wurden und die demnächst zur vollständigen militärischen Besetzung des Landes führen werden. In der Zwischenzeit hatte die italienische Regierung nach der Flucht des Negus die Einverleibung Äthiopiens als Kaiserreich in Personalunion mit dem Königreich Italien erklärt2
. Es ist somit festzustellen, dass Italien nunmehr der alleinige und tatsächlich unbestrittene Souverän in Äthiopien ist, ein Ergebnis, dass durch die Sanktionspolitik des Völkerbundes nicht verhindert werden konnte.
Der Völkerbund hat dieser Situation insofern Rechnung getragen, als die Versammlung vom Juni das Koordinationskomitee einlud, den beteiligten Regierungen Vorschläge zur Aufhebung der Massnahmen, die auf Grund von Art. 16 des Paktes ergangen waren, zu unterbreiten3. Immerhin hielt der Völkerbund dadurch, dass er das Auftreten des Negus und einer abessinischen Delegation während der Völkerbundstagung gestattete, an der bisherigen grundsätzlichen Auffassung in bezug auf die Souveränitätsrechte in Äthiopien fest. Die Völkerbundsversammlung gab auch anlässlich der erwähnten Session in einer Resolution4 betreffend die Reform des Völkerbundspaktes der Auffassung Ausdruck, dass sie die Grundsätze des Paktes, die eine Regelung territorialer Fragen durch Gewalt ausschliessen, aufrecht erhalte.
Was nun die Frage der Anerkennung der italienischen Souveränität in Äthiopien durch die einzelnen Staaten anbetrifft, so haben folgende Staaten bereits die Anerkennung ausgesprochen: Deutschland (24. Oktober 1936), Österreich (11. November 1936), Ungarn (11. November 1936), Japan (28. November 1936), denen sich in letzter Zeit auch noch Griechenland und Bulgarien angeschlossen haben. Gestern haben nun auch Grossbritannien und Frankreich, sowie die Vereinigten Staaten von Nordamerika beschlossen, ihre Gesandtschaften in Addis Abeba in konsularische Vertretungen umzuwandeln. Die letztgenannten Mächte haben zwar betont, dass diese Massnahme keine Anerkennung de jure darstelle, woraus man schliessen darf, dass es sich zum mindesten um eine Anerkennung de facto handelt.
Es fragt sich nun, ob nicht die Schweiz denjenigen Staaten folgen soll, die die Anerkennung der italienischen Souveränität in Äthiopien ausgesprochen haben. Es würde dies übrigens auch dem bisherigen Grundsatz entsprechen, demzufolge unser Land der Frage der Anerkennung von Staaten, neuen Regierungen und Gebietserwerbungen erst dann näher getreten ist, wenn die wichtigsten Mächte Stellung genommen haben5.
II. Dass die Wahrung der schweizerischen Interessen in Äthiopien eine möglichst baldige Anerkennung der italienischen Souveränität wünschbar scheinen lässt, dürfte nicht zweifelhaft sein. Was zunächst den persönlichen Schutz der in Äthiopien ansässigen Schweizer sowie ihrer materiellen Interessen anbetrifft, so wird dieser vom Deutschen Generalkonsulat und von der Französischen Gesandtschaft, die nunmehr ebenfalls in ein Generalkonsulat umgewandelt wurde, ausgeübt. Wenn auch bis dahin die italienischen Behörden dieser Interessenvertretung keine Schwierigkeiten in den Weg legten, so wird man sich noch nicht verhehlen dürfen, dass es sich dabei nur um ein Provisorium handeln kann. Verzögert sich die schweizerische Anerkennung, so muss befürchtet werden, dass diese Schutztätigkeit je länger je mehr bloss formeller Art wird und vielleicht überhaupt keine Beachtung mehr findet. Es ist daher verständlich, wenn die Schweizer in Addis Abeba in einer Eingabe an die Bundesbehörden ihrer Beunruhigung über diesen Zustand Ausdruck gegeben und den Wunsch ausgesprochen haben, dass durch die Anerkennung seitens der Schweiz eine sichere Grundlage für ihre Existenz im Aufenthaltsstaate geschaffen werde.
Die italienische Regierung in Äthiopien macht die Einreise von Ausländern von einer vorgängigen Bewilligung abhängig. Es ist zu erwarten, dass nur die Angehörigen derjenigen Staaten, die die Anerkennung ausgesprochen haben, die Einreiseerlaubnis nach Äthiopien erhalten werden.
Von Wichtigkeit ist auch die Frage der Anerkennung der Konzessionen, die seinerzeit von der Regierung des Negus Schweizerbürgern und schweizerischen Unternehmungen eingeräumt worden waren. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Strassenbaukonzession des «Schweizerischen Studiensyndikats für Strassen-Bau und -Betrieb in Äthiopien» («Seret»)6 zu erwähnen. Die offiziösen Bemühungen der Schweizerischen Gesandtschaft in Rom, die Anerkennung dieser Konzession durch die italienische Kolonialverwaltung zu erreichen, haben gezeigt, dass ein Erfolg nur dann im Bereich der Möglichkeit ist, wenn vorgängig die Anerkennung der italienischen Souveränität ausgesprochen wird.
Schliesslich muss auch das volkswirtschaftliche Interesse an der Förderung der gegenseitigen Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Äthiopien in Betracht gezogen werden. Einer von der Schweizerischen Zentrale für Handelsförderung in Lausanne gemeinsam mit der Schweizerischen Handelskammer in Mailand durchgeführten Enquête ist zu entnehmen, dass eine gewisse Anzahl schweizerischer Firmen den Wunsch hat, den Markt in Äthiopien wiederum dem schweizerischen Export zu erschliessen. Jede Einfuhr nach Äthiopien untersteht nun dem gleichen Spezialregime, dass auch für die Einfuhr nach Eritrea und Somaliland vorgesehen ist, d. h. jede Einfuhr wird von einer besonderen Erlaubnis der Kolonialbehörden abhängig gemacht. Es ist offensichtlich, dass der schweizerische Exporteur erst dann auf ein Entgegenkommen der italienischen Kolonialbehörden rechnen kann, wenn die Schweiz die Anerkennungsfrage geregelt hat. Ferner aber wird diese Anerkennung zur Voraussetzung für eine Entwicklung des Handelsverkehrs, weil ohne Einbeziehung dieses Wirtschaftsgebiets in das italienisch-schweizerische Clearing7 jeder Export an der Unmöglichkeit der Bezahlung scheitern muss. Selbstverständlich wird man sich bezüglich der Entwicklung der schweizerisch-äthiopischen Handelsbeziehungen auch nach erfolgter Anerkennung keinen zu grossen Illusionen hingeben dürfen. Es wäre aber doch unrichtig, bei den heutigen Zeiten ein auch weniger wichtiges Absatzgebiet zu vernachlässigen, namentlich dann, wenn es sich um einen Wirtschaftsraum handelt, der vielleicht in späterer Zeit für unser Land von grösserer Bedeutung werden kann.
III. Steht somit fest, dass die Interessen der Schweizer in Äthiopien und wirtschaftliche Überlegungen eine sofortige Anerkennung wünschbar erscheinen lassen, so dürften die entscheidenden Erwägungen auf aussenpolitischem Gebiete zu finden sein.
Bei der heutigen gespannten Lage in Europa darf sich unsere Neutralitätspolitik nicht darauf beschränken, nur korrekte Beziehungen mit den grossen Nachbarstaaten aufrecht zu erhalten; vielmehr muss das Bestreben dahin gehen, freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehungen mit diesen Staaten zu pflegen. Dies gilt insbesondere auch gegenüber unserm südlichen Nachbar. Die italienische Regierung hat nun wiederholt offiziös in Rom und Bern zum Ausdruck gebracht, dass sie besonderes Gewicht auf die Stellungnahme der Schweiz in dieser Frage lege. Ein weiteres Zuwarten wäre um so weniger angezeigt, als der italienische Regierungschef in seiner bedeutsamen Rede vom 2. Dezember in Mailand8 in ausserordentlich freundschaftlicher Weise über die italienisch-schweizerischen Beziehungen gesprochen hat. Die Anerkennung des Impero im gegenwärtigen Zeitpunkt entspricht somit nicht nur einem Wunsch der italienischen Regierung, sondern wäre auch die richtige Antwort auf die erwähnten Erklärungen.
Was nun die Bedenken gegen eine sofortige Anerkennung betrifft, so könnten sie in der bereits erwähnten Resolution9 gefunden werden, die in der Völkerbundsversammlung vom letzten Juni gefasst worden war. Diese Resolution, die in Form eines Wunsches mit Stimmenmehrheit angenommen wurde, betrifft zwar die Frage der Paktreform, bringt aber im Ingress zum Ausdruck, dass die Völkerbundsversammlung den Grundsätzen des Völkerbundspaktes, die eine Regelung territorialer Fragen durch Gewalt ausschliessen, treu bleibe. Es ist demnach festzustellen, dass es sich lediglich um einen Wunsch und nicht um einen verbindlichen Beschluss der Völkerbundsversammlung handelt, dass ferner die Frage der Gebietserwerbungen durch Gewalt nicht in dem Wunsch selbst, sondern in den Motiven desselben zum Ausdruck kommt, und schliesslich, und dies dürfte entscheidend sein, nicht zu der Frage der Anerkennung Stellung genommen, sondern lediglich festgestellt wird, dass die Versammlung die Grundsätze des Paktes, die solche Erwerbungen nicht zulassen, aufrecht erhalte. Es ist also unrichtig, dass die Völkerbundsversammlung die Frage der Anerkennung irgendwie präjudiziert hat. Dass die Schweiz, auch wenn sie die Anerkennung ausspricht, an den erwähnten Grundsätzen des Paktes festhält, ist selbstverständlich. Die Anerkennung der Gebietsveränderung ist nicht auch ohne weiteres eine Anerkennung der Art des Gebietserwerbes. Dagegen könnte die Aufschiebung der Anerkennung nicht ohne Grund als eine Sanktionsmassnahme auf gefasst werden, zu der sich die Schweiz in keiner Weise verpflichtet hat.
Im fernem ist nun aber zu prüfen, ob die Anerkennung nicht im Widerspruch sei mit den Grundsätzen einer vorsichtigen Neutralitätspolitik, nachdem Frankreich, England und die Vereinigten Staaten bei Umwandlung ihrer Gesandtschaften in Äthiopien in eine konsularische Vertretung erklärt haben, dass mit dieser Massnahme keine Anerkennung de j ure verbunden sei. Diese B edenken sind aber deshalb schon gegenstandslos, weil es für die Schweiz nicht nötig ist zu präzisieren, ob es sich um eine Anerkennung de jure oder de facto handelt. Man wird sich auch fragen können, ob die Erklärung der erwähnten Mächte nicht eine contradictio in adjecto bedeute, da eine bloss faktische Anerkennung einer Regierung, deren Herrschaft von keiner Gegenregierung bestritten ist, kaum möglich erscheint. Wenn die Schweiz aber einen Schritt weiter geht als die erwähnten Mächte und die Anerkennung ausdrücklich ausspricht, so wird man darin kein Abweichen von der bisherigen neutralen Linie, die der Bundesrat im italienischabessinischen Konflikt verfolgt hat, finden können.
In dem Dilemma zwischen Neutralität und Völkerbundsverpflichtungen hat der Bundesrat in extensiver Interpretation des Neutralitätsvorbehalts, der in der Londoner Deklaration10 enthalten ist, eine Lösung gefunden, die es vermied, dass sich unser Land an den Sanktionsmassnahmen beteiligte, soweit diese eigentlichen Pressionscharakter hatten. Die Schweiz hat damit eine mittlere Linie eingehalten zwischen denjenigen Staaten, die sich überhaupt nicht an den Sanktionen beteiligten, und jenen, die die vom Koordinationskomitee beschlossenen Massnahmen in vollem Umfange zur Anwendung brachten. Wenn unser Land in der Frage des Zeitpunktes der Anerkennung und bezüglich deren Form eine analoge Linie verfolgt, so entspricht dies folgerichtig der Haltung, die der Bundesrat im italienisch-abessinischen Konflikte eingenommen hatte. Um so mehr wird man diese Haltung einnehmen müssen, als die Schweiz, wie bereits erwähnt, keine Verpflichtungen bezüglich der Anerkennung gegenüber dem Völkerbund übernommen hat und somit auch in dieser Frage kein Konflikt zwischen Neutralitätspolitik und Völkerbunds Verpflichtungen besteht. Wenn schon die schweizerischen Interessen unter den heutigen Verhältnissen in Europa eine Betonung der Neutralitätspolitik nahelegen, so wird man übrigens auch kaum fehl gehen in der Annahme, dass diese Haltung selbst im Interesse einer richtig verstandenen Völkerbundspolitik liegt, da ohne die Mitarbeit Italiens im Völkerbund diese Institution ihre Mission nicht wird erfüllen können.
IV. Ist somit die Frage der Anerkennung in positivem Sinne zu beantworten, so bleibt noch zu prüfen, in welcher Form dieselbe erfolgen soll.
Bisher war es nicht üblich, eine solche Anerkennung ausdrücklich auszusprechen. Regelmässig erfolgte sie vielmehr durch konkludente Handlung, wie dies nunmehr auch Frankreich, England und die Vereinigten Staaten durch Umwandlung ihrer Vertretungen getan haben. Als ähnliche Massnahme kann seitens der Schweiz, die keine Vertretung in Äthiopien selbst hatte, in Vorschlag gebracht werden, dass seitens der italienischen Regierung anerkannt werde, dass der Zuständigkeitsbereich der Gesandtschaft in Rom sich auch auf die äthiopischen Gebiete beziehe. Diese Massnahme wird zweckmässigerweise auch dadurch ergänzt, dass der Bundesrat die Aufhebung des bisherigen äthiopischen Generalkonsulats11 in Zürich veranlasst. Nun hat aber die italienische Regierung wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie besondern Wert darauf legen würde, dass die Anerkennung der Schweiz expressis verbis erfolge. Diesem Wunsche kann ohne Aufgeben der bisherigen Praxis dadurch entsprochen werden, dass die Anerkennung der italienischen Souveränität als Begründung für das Petitium in Bezug auf die Ausdehnung des Kompetenzbereiches ausdrücklich erwähnt wird.
Das Politische Departement beantragt daher und der Bundesrat1) Die Schweizerische Gesandtschaft in Rom wird beauftragt, der Italienischen Regierung zur Kenntnis zu bringen, dass der Bundesrat beschlossen habe, unter Anerkennung der italienischen Souveränitätsrechte in Äthiopien den Zuständigkeitsbereich der Schweizerischen Gesandtschaft in Rom auf das Äthiopische Kaiserreich auszudehnen.
2) Das Exequatur des Postenchefs des Äthiopischen Generalkonsulats in Zürich wird als erloschen erklärt, womit jede weitere Tätigkeit dieses Generalkonsulats dahinfällt.
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Italy (General) Questions concerning the Recognition of States League of Nations