Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
8. Espagne
8.3. Questions politiques générales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 11, doc. 44
volume linkBern 1989
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#523* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 259 | |
Dossier title | Madrid, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 7 (1932–1934) |
dodis.ch/45965
Die ganze Aufmerksamkeit des politischen Lebens richtet sich zur Zeit auf die Kontroverse zwischen der Regierung und der Generalität von Katalonien, die den Wahrspruch des Obersten Garantie-Gerichtes in der Frage des Gesetzes über die Landwirtschafts-Kontrakte nicht anerkennen will.
Diesem Streitfall, der normalerweise vor dem juristischen Forum ausgetragen werden sollte, ist von katalonischer Seite aus eine politische Bedeutung gegeben worden, welche die verhängnisvollsten Folgen haben könnte. Er ist die erste greifbare Auswirkung der separatistischen Stimmung, deren Verschärfung Gegenstand meines Berichtes vom 5.ds. war.2 Das ganze katalonische Problem ist offen aufgerollt. Die Generalität in Barcelona hat eine an und für sich belanglose Sache aufgegriffen, um im Tone unzweideutiger Provokation zu erklären, dass zwischen der Nation und der Region keine Abhängigkeit bestehe, und dass die freundschaftlichen Beziehungen nur weiterbestehen können, wenn sich Madrid jeder Einmischung in die katalonischen Verhältnisse enthalte. Hie Verfassung, hie Statut! Companys3 hat erklärt: «Katalonien wird nicht einen Millimeter zurückgehen»! Die Schärfe und Rücksichtslosigkeit des Führers der Esquerra4 hat in den hiesigen politischen und parlamentarischen Kreisen grösstes Aufsehen, Bestürzung und Entrüstung hervorgerufen.
In der Nähe besehen, stellt sich dieser Konflikt folgendermassen dar: Sein Ursprung liegt im Kampf der Esquerra und der Lliga5 um die politische Vorherrschaft in Katalonien.
Von zuständiger Seite liess ich mir erklären, dass es der Generalität in erster Linie darum zu tun sei, die öffentliche Meinung in patriotische Erregung zu bringen und sie glauben zu machen, die errungenen politischen Freiheiten seien in Gefahr. Die Stunde nahe, wo die Generalität der Region erklären müsse, dass die Autonomie, vom ökonomischen Standpunkt aus, zu einer untragbaren Last werde, und dass man vor dem Konkurs stehe. Dieses Geständnis würde im Augenblick eines bevorstehenden Wahlkampfes gegen die Lliga der Esquerra jede Popularität rauben. Companys aber scheint gewillt zu sein, den starken Mann zu spielen und er erklärt: «Die Spanier waren bisher nicht gewöhnt, dass das nationalistische Gefühl und die Freiheiten Kataloniens sich auf männliche Art verteidigen lassen, aber sie werden sich schon daran gewöhnen!» Heute juble ihm das Volk noch zu, morgen werde es erkennen, dass es nur das Opfer eines Wahlmanövers gegen die Lliga auf Kosten des Staates gewesen sei.
Die Regierung und die Cortes6 behandeln diese Rebellion des katalonischen Parlamentes mit nüchterner Ruhe, wenn auch hinter den Kulissen von Sozialisten und Linksrepublikanern geschürt und gehetzt wird. Samper7 hat sich, recht geschickt, nicht aus dem Busch klopfen lassen. Die Minorität der Renovaciön Espanola8 kommt ihm zu Hilfe und wird diesen politischen Konflikt die nächste Woche vor die Cortes bringen, wo zweifellos eine starke Majorität das starrköpfige Vorgehen des Führers der Esquerra desavouieren wird. Die Cortes werden Companys nicht auf das schlüpferige Gebiet katalonischer Parteipolitik folgen und ihm unmissverständlich zu verstehen geben, dass der Entscheid des Garantie-Gerichtes zu Recht bestehe.
Die Cortes-Abgeordneten der Esquerra, gefolgt von den baskischen Kollegen, haben das Parlament ostentativ verlassen und sind in ihre Heimat zurückgereist.
Die innern Verhältnisse Spaniens sind beunruhigend, obschon die Regierung erklärt: «Ruhe in ganz Spanien». Auf Grund des Ausnahmezustandes9 wird die Presse-Zensur mit einer Schärfe ohnegleichen durchgeführt. Verstösse werden mit Beschlagnahme und Bussen von zehntausend Pesetas geahndet. Der Streik der Landarbeiter, obwohl in seiner Gesamtheit gebrochen, richtete unermesslichen Schaden an. Heute noch brennen in Andalusien, wie ich mich an Hand von Photographien, deren Veröffentlichung die Zensur verbietet, überzeugen konnte, Getreidefelder auf unabsehbaren Strecken. Generalstreik mit blutigen Ausschreitungen in Malaga, Sevilla, Toledo, Cadiz und vielen ändern Orten. In allen Provinzen terroristische Attentate, Überfälle, Morde und Schiessereien auf offener Strasse. In Madrid seit mehr als drei Monaten Streik der gesamten Metallurgie-Industrie, Tausende von Erwerbslosen bettelnd auf der Strasse, Lahmlegung von Handel und Industrie, Hunger und Elend überall, und die kommunistisch-bolschewistischen Elemente, die jüngst ein deutsches Sportfest überfielen, scheinen die ohnmächtige Regierung derart einzuschüchtern, dass sie sich bloss darauf beschränkt, sämtliche Anlässe zu verbieten. In allen Strassen patrouillieren die Polizeitruppen mit Gewehr: «Tranquilidad en toda Espana»10.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Madrid, Archiv-Nr. 7.↩
- 2
- Non reproduit.↩
- 4
- Principal parti autonomiste catalan de gauche.↩
- 5
- Principale formation autonomiste de droite.↩
- 6
- Parlement espagnol.↩
- 7
- Premier ministre.↩
- 8
- Une des formations monarchistes espagnoles.↩
- 9
- Proclamé en raison des troubles sociaux et politiques du printemps.↩
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