Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
22. Russland
22.1. Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 285
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1542#6* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(C)1000/1542 1 | |
Dossier title | Berliner Abkommen 1927 (1927–1927) | |
File reference archive | B.15.0 • Additional component: Russland |
dodis.ch/45302
Der schweizerische Gesandte in Berlin, H.Rüfenacht, an den Vorsteher des Politischen Departementes, G. Motta1
In der gestrigen Fortsetzung der Unterhandlungen eröfTnete der Russische Botschafter das Gespräch mit der Mitteilung, dass zu seinem persönlichen Bedauern die Lage sich bis zur Gefahr des Scheiterns einer Lösung versteift habe, wenn die Schweiz auf ihrem Standpunkt beharre. Er habe nämlich die bestimmte Instruktion bekommen, am Grundsätze der materiellen Beihilfe für die Tochter Worowskis festzuhalten, und zwar handle es sich dabei nicht nur um eine Weisung der Kommissare für auswärtige Angelegenheiten, sondern um einen am letzten Donnerstag gefassten Beschluss der Gesamtregierung. Er müsse also an der von ihm vorgeschlagenen Formel festhalten, und er fragte mich nach meinen neuen Instruktionen. Ich erklärte ihm, dass ich ermächtigt sei, die Wiederholung des Protestes fallen zu lassen, wenn von russischer Seite auf die Erwähnung einer Beihilfe verzichtet werde. Der Botschafter erklärte sich hierzu ausserstande. Er rekapitulierte den ganzen Gang der früheren Verhandlungen und bezeichnete ein Abgehen von dem Begehren angesichts der öffentlichen Meinung in Russland und des Prestiges der Regierung als unmöglich. Auch meinen Vorschlag, zu erklären, dass das russische Begehren - sei es infolge eines sicher leicht zu erwirkenden Verzichts der Tochter Worowskis, sei es unter Berufung auf deren Verheiratung - gegenstandslos geworden sei, womit doch der russische Standpunkt grundsätzlich gewahrt bliebe, bezeichnete der Botschafter nach den ihm zugekommenen Weisungen als unannehmbar. Nach langem Hin und Her, wobei ich auch auf unsere öffentliche Meinung und das Prestige unserer Regierung, sowie überdies auf das Überflüssige hinwies, eine Frage festlegen zu wollen, deren materielle Bedeutungslosigkeit doch ausser Zweifel stehe, gab schliesslich der Botschafter folgende Erklärung ab:
Im Januar 1926 seien zwei Punkte streitig gewesen: Der Ausdruck «aufrichtig» und die Frage, ob die Schweizerische Regierung bereit sei oder nur bereit sein werde, eine materielle Beihilfe zu gewähren. Russland habe damals auf dem Ausdruck «aufrichtig» und für die grundsätzliche Anerkennung der Beihilfe auf der Gegenwart beharrt. Heute habe Russland ein Interesse an der Teilnahme an der Weltwirtschaftskonferenz und der Abrüstungskonferenz, für die es bereits Delegierte bezeichnet habe. Aus diesem Grunde sei es schliesslich bereit, von seinen damaligen Forderungen abzugehen. Es habe dies zum Teil schon durch den Verzicht auf das «aufrichtig» getan und wolle schliesslich noch weitergehen und auch in der zweiten früheren Differenz nachgeben, indem es sich mit der Zukunft der Bereitwilligkeit statt mit der Gegenwartsform begnüge und damit den schweizerischen Vorschlag vom 31. Januar 19262 unverändert annehme. Darin liege eine glatte Kapitulation. Überdies noch hinter den damaligen schweizerischen Vorschlag zurückzugehen, könne die Russische Regierung nicht verantworten. Auch liege hierzu irgend ein sachlicher Grund nicht vor. Jedenfalls sei die Annahme des schweizerischen Vorschlages vom 31. Januar 1926 ihr letztes Wort. Der Botschafter würde es sehr bedauern, wenn der ernstliche russische Verständigungswille durch eine Überspannung der schweizerischen Forderungen, bezw. durch ein Zurückgehen hinter den eigenen schweizerischen Vorschlag von 1926, nicht anerkannt würde. Die Öffentlichkeit würde aber erfahren, dass Russland der Schweiz bis zu deren eigenem früheren Vorschlag habe entgegenkommen wollen.
Bei dieser Sachlage ist es ausgeschlossen, dass die Erwähnung einer materiellen Beihilfe vermieden werden kann, und es wäre damit der Zeitpunkt gekommen gewesen, mit meiner letzten mir erlaubten Konzession, der Erwähnung einer Beihilfe im Sinne der Instruktion, herauszurücken. Ich unterliess es aber vorläufig aus zwei Gründen. Erstens wollte ich nicht, nachdem ich mich bisher so bestimmt gegen jede Erwähnung verwahrt hatte, durch einen bezüglichen Vorschlag zeigen, dass ich zu ihm schon ermächtigt gewesen sei, und sodann beschäftigte mich die Überlegung, ob es überhaupt einen Zweck habe und ratsam sei, den Vorschlag noch zu bringen. Die Erklärung des Botschafters war, wie gesagt, bestimmt, und ich hörte auch aus einer Bemerkung von ihm insbesondere, dass die Russische Regierung sich nicht etwa bloss mit der Bereitwilligkeit, später über das «Ob» zu verhandeln, begnügen könne, sondern an der früher von der Schweiz offerierten, grundsätzlichen Bereitwilligkeit, die Beihilfe zu gewähren und nur deren Modalitäten den späteren Verhandlungen vorzubehalten, festhalte. Ich behielt mir deshalb lediglich die Einholung neuer Instruktionen vor, und wir nahmen für den Fall, dass diese bis Samstag morgen eintreffen sollten, eine nochmalige Zusammenkunft für diesen Tag in Aussicht.
Die Frage ist nun die, was geschehen wird, wenn, wie zu erwarten, die Russische Regierung einen neuen schweizerischen Vorschlag ablehnt. Entweder werden wir nachträglich doch noch entgegenkommen, oder aber die Verhandlungen als gescheitert erklären müssen. Wir sind dann in der unangenehmen Lage, dass die Russische Regierung nach dem Scheitern der Verhandlungen öffentlich und insbesondere dem Völkerbund gegenüber wird erklären können, sie sei bereit gewesen, den eigenen Vorschlag des Bundesrates vom Januar 1926 nunmehr unverändert und vorbehaltlos anzunehmen, die Schweizerische Regierung aber sei hinter ihr damaliges Anerbieten zurückgegangen und deshalb für die weitere Fortdauer des Konfliktes mit dessen Folgen verantwortlich.
Unter diesen Umständen frage ich mich, ob es nicht vielleicht ratsam ist, die Russische Regierung bei ihrer Erklärung, den schweizerischen Vorschlag vom 31. Januar 1926 nachträglich anzunehmen, zu behaften in dem Sinne, dass damit die ganze damalige Formel angenommen werden müsse. D.h.: Beibehaltung einer Einleitung als Motiv der Verständigung, Weglassung der Erwähnung des Freispruchs und Weglassung jeglichen Grades des Bedauerns. Nachdem seinerzeit der Bundesrat sich mit der fraglichen Formel einverstanden erklärt, die Russische Regierung sie aber abgelehnt hat, so würde in ihrer nachträglichen Annahme durch die letztere immerhin ein schweizerischer Erfolg liegen. Sollte aber die Russische Regierung nochmals Verschlechterungen an ihr verlangen und die Verständigung daran scheitern, so würden wir wenigstens vor der Öffentlichkeit und dem Völkerbund salviert sein. Ich darf übrigens bemerken, dass mir der russische Standpunkt durch die nachträgliche Annahme unserer früher gebilligten Formel bis zum Äussersten gegangen zu sein, nicht als unverständlich und unversöhnlich erscheint.
Wenn Sie mich dazu ermächtigen, würde ich an der nächsten Zusammenkunft feststellen, dass Russland unsern Vorschlag vom 31. Januar 1926 angenommen hat, sodass die Formel zu lauten hätte wie folgt:
«Vom Wunsche geleitet, im allgemeinen Interesse die Teilnahme der Regierung der Union der S.S.R. an der Internationalen Wirtschaftskonferenz und an der Abrüstungskonferenz zu erleichtern, steht der Schweizerische Bundesrat nicht an, erneut zu erklären, dass er die Ermordung des Herrn Worowski sowie das gleichzeitige Attentat auf die Herren A. und D. verurteilt und bedauert. Er wird überdies, vom Geiste der Versöhnlichkeit geleitet, bereit sein, der Tochter des Herrn Worowski eine materielle Beihilfe zu gewähren, wenn einmal direkte Verhandlungen zwischen den Regierungen der Union der S.S.R. und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Gesamtheit der zwischen den beiden Ländern noch zu erledigenden Fragen eingeleitet werden, wobei dann die Art und Weise dieser Beihilfe gleichzeitig mit diesen Fragen wird diskutiert werden können.»
Wenn Sie mich dagegen anweisen, doch noch einen abgeschwächten Vorschlag vorzulegen, so proponiere ich folgende Formel:
«Er erklärt sich überdies aus versöhnlichem Geiste bereit, wenn einmal... eingeleitet werden, dabei auch über die Gewährung einer materiellen Beihilfe an die Tochter des Herrn Worowski zu verhandeln.»
Ich darf Sie bitten, mich wenn möglich telegraphisch instruieren zu wollen, wobei ich Ihre Antwort verstehen würde wie folgt:
«Erster Vorschlag»: Ich habe die Formel vom 31. Januar 1926 in vorstehendem Texte vorzulegen.
«Zweiter Vorschlag»: Ich habe den obenstehenden, abgeschwächten Vorschlag zu machen.
«Abwarten»: Ich habe weitere schriftliche Instruktionen abzuwarten und hiezu die Zusammenkunft vom 2. April zu verschieben3.
- 1
- Schreiben: E 2001 (C) 12/1.↩
- 2
- Vgl. Nr. 155.↩
- 3
- Das Schreiben Rüfenachts vom 31. März. wurde im Bundesrat in der Sitzung vom 2. April. 1927 behandelt. Der Vorsteher des Politischen Departementes wies dabei daraufhin, dass der Bundesrat in der Sitzung vom 12. Februar 1926 intern einer von Frankreich vorgeschlagenen Formel zugestimmt hatte, die weiter ging als die in Frage stehende bundesrätliche Fassung vom 31. Januar 1926. Es gehe kaum an, dass der Bundesrat hinter seinen eigenen früheren Vorschlag zurückgehe. Unter diesen Umständen sollte der schweizerische Gesandte in Berlin ermächtigt werden, der ersten Formel zuzustimmen. In der Beratung teilten sämtliche Mitglieder des Rates die Auffassung des Vorstehers des Politischen Departementes, Musy allerdings unter Vorbehalt seines grundsätzlichen Widerstandes gegen eine Entschädigung (E 1005 2/3). - Als Antwort auf das Schreiben vom 31. März. übermittelte das Politische Departement Minister Rüfenacht am 2. April 1927folgendes Telegramm: Sieben. Erster Vorschlag. Seid ermächtigt auf dieser Grundlage Notenaustausch vorzunehmen. Auswärtiges (E 2001 (C) 12/1).↩
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