Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
22. Russland
22.1. Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 273
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1542#6* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(C)1000/1542 1 | |
Dossier title | Berliner Abkommen 1927 (1927–1927) | |
File reference archive | B.15.0 • Additional component: Russland |
dodis.ch/45290
Der schweizerische Gesandte in Berlin, H.Rüfenacht, an den Vorsteher des politischen Departementes, G. Motta1
Gestern nachmittag fand in der Wohnung des Herrn Geheimrat Deutsch meine erste diesmalige Zusammenkunft mit dem Russischen Botschafter statt. Er war begleitet von seinem Botschaftsrat, ich von Herrn Minister Vogel. Die Besprechung war gegenüber derjenigen vom Dezember 1924 dadurch erleichtert, dass der Botschafter die deutsche Sprache jetzt ziemlich beherrscht, sodass die Übersetzungstätigkeit seines Botschaftsrates nur hinsichtlich einzelner Ausdrücke einzusetzen hatte, und ferner dadurch, dass der Botschafter diesmal viel weniger leidenschaftlich auftrat als 1924.
Der mir erteilten Weisung gemäss versuchte ich die Lösung ohne Erwähnung des Falles Worowski, also lediglich durch gegenseitiges Fallenlassen der Boykottmassnahmen. Dies wurde glatt abgelehnt bezw. mit dem Begehren um de jure Anerkennung beantwortet, die es allerdings ermöglichen würde, einen Strich unter die Vergangenheit und damit auch unter den Fall Worowski zu ziehen. Ohne diese Anerkennung, erklärte der Botschafter, würde eine nackte Aufhebung des Boykotts einer russischen Kapitulation gleich kommen, die für seine Regierung ausgeschlossen sei. Denn es handle sich eben, wenn nicht alles durch die Anerkennung getilgt werde, nur und gerade darum, den Fall Worowski mit seinen Folgen zu liquidieren. Der Botschafter kam, wie das letzte Mal, auch im Verlaufe der weitern Verhandlungen immer wieder auf die Anerkennung zurück mit dem Hinweis darauf, wie einfach und glatt diese Lösung alle Schwierigkeiten beseitigen würde. Als ich schliesslich bestimmt erklärte, dass zur Zeit die Anerkennung nicht in Frage kommen könne, meinte der Botschafter: «Wir können warten.» Die Ablehnung einer Lösung ohne Erwähnung des Falles Worowski war, nach der Ablehnung der Anerkennung meinerseits, von Seiten des Botschafters eine so kategorische, dass es zwecklos gewesen wäre, weiter zu insistieren. Ich legte deshalb die nachstehende Formel zur Diskussion vor: «Die Russische Regierung hat es abgelehnt, an internationalen Konferenzen auf schweizerischem Boden teilzunehmen, solange der Konflikt zwischen ihr und der Schweizerischen Regierung andauert. Dieser Konflikt besteht in dem von der Russischen Regierung gegenüber der Schweiz verhängten Boykott einerseits und der von der Schweizerischen Regierung verfügten Visumsperre gegenüber russischen Staatsangehörigen anderseits. Dieser Konflikt soll jetzt, schon aus Rücksicht auf den Völkerbund, beigelegt werden. Da sein Anlass die am /70./Mai 1923 in Lausanne erfolgte Ermordung des Herrn Worowski und das Attentat auf die Herren Divilkowski und Ahrens war, steht der Schweizerische Bundesrat nicht an, neuerdings zu erklären, wie sehr er diese verbrecherischen Handlungen verurteilt und bedauert. Dabei hält er aber seinen Protest gegen die von der Russischen Regierung aus Anlass der erwähnten Vorfälle ihm gegenüber erhobenen Anschuldigungen aufrecht. Damit erklären die beiden Regierungen den Konflikt als erledigt und die gegenseitigen Sperrmassnahmen als aufgehoben.» Der Botschafter bemerkte in erster Linie, dass seine Äusserungen zum Wortlaut vorläufig unverbindlich seien, da er sich dessen genaue Prüfung Vorbehalten müsse. Dies vorausgeschickt, erklärte er sich mit der Einleitung einverstanden, wenn die Erwähnung des Völkerbundes gestrichen werde. Russland habe keine Rücksicht auf den Völkerbund zu nehmen; wenn es nach Genf gehen würde, so wäre es nicht wegen, sondern trotz des Völkerbundes. Er blieb diesbezüglich fest, ich behielt mir Ihre Weisung vor; wir werden die Worte wohl weglassen müssen2
. Dies wird zwar den Wert der Einleitung etwas vermindern; die Rücksicht auf den Völkerbund als schweizerisches Motiv kann ja aber beim Zustandekommen einer Lösung gegebenenfalls in der Presse oder in den Räten oder in einem Schreiben an den Völkerbund betont werden. Zur Vermeidung des Kampfes um das Adjektiv «aufrichtig» zum «Bedauern» hatte ich, wie Sie sehen, eine andere Satzform gewählt und dabei das farblosere «sehr» eingeschaltet. Im übrigen ging ich, auch durch die Qualifikation der Taten als verbrecherische, ziemlich weit, in der Hoffnung, die Russische Regierung damit zu befriedigen, sie vom «aufrichtig» abzulenken und vielleicht von der Rentenforderung abzuhalten. Der Botschafter kam aber auf die Frage des Adjektives zurück. Als ich ihm aber auseinander setzte, dass und warum heute nach der Vorgeschichte das Wort «aufrichtig» für uns unannehmbar sei, Hess er sein Begehren fallen. Dagegen beanstandete er das Wort «neuerdings», da der Bundesrat bis jetzt sein Bedauern in dieser Form noch nie ausgesprochen habe. Ich verwies ihn auf die Reise des Vertreters des Politischen Departements nach Lausanne, sowie darauf, dass im französischen Vorschlag der bezügliche Passus unbeanstandet geblieben sei. Der Botschafter insistierte nicht weiter, behielt sich aber seine Stellungnahme vor.
Nun kam er aber auf die Rente, deren Anerkennung er verlangte. Auf meine Frage hin, was uns Russland für die Ermordung eines Gesandtschaftsangestellten und die Plünderung der Gesandtschaft anbiete, verwies er auf unsere Verweigerung der Anerkennung, die es verunmögliche, jetzt die Vergangenheit zu liquidieren und es notwendig mache, den Fall Worowski mit seinen Konsequenzen für sich allein zu behandeln. Auch machte er geltend, dass im Januar 1926 von schweizerischer Seite wenigstens die Erwähnung der Rente zugestanden worden sei, was allerdings nicht genügt habe, da die Russische Regierung die grundsätzliche Anerkennung einer Entschädigungspflicht verlangen müsse. Ich erklärte, dass eine solche Anerkennung jeder völkerrechtlichen Grundlage entbehre und abgesehen von allem ändern auch zur Vermeidung eines Präzedenzfalles abgelehnt werden müsse. Aber auch nur die Erwähnung einer später zu diskutierenden Rente sei heute nicht mehr am Platze, da ja die Tochter Worowski verheiratet sei und einer Hilfe gewiss nicht bedürfe. Der Botschafter bestritt Letzteres nicht, erklärte aber, es sei seiner Regierung nicht um das Geld, sondern um den Grundsatz zu tun. Ich stellte fest, dass also das russische Begehren auf die Statuierung einer Verantwortlichkeit der Schweizerischen Regierung hinauslaufe, die, da ein Verschulden nicht vorliege, abgelehnt werden müsse, oder doch auf eine moralische Demütigung, zu der ebenfalls ein Anlass nicht vorhanden sei und deren Versuch bei Verhandlungen über eine gütliche Verständigung nicht am Platze sei, vielmehr die letztere verunmögliche. Schliesslich schlug ich vor, eine Brücke dadurch zu schlagen, dass, wenn die Rente absolut erwähnt werden müsse, dies in der Weise geschehe, dass das früher gestellte russische Begehren einer Rente infolge der seitherigen Verheiratung der Tochter schon aus diesem Grunde als gegenstandslos erklärt werde. Der Botschafter behielt sich die einzuholenden neuen Instruktionen vor. Ich selbst rückte mit der äussersten Konzession, die Bereitwilligkeit des Bundesrates zur späteren Erörterung zu erklären, noch nicht heraus, da mir schien, dass der Botschafter diesmal in der Rentenfrage weniger hartnäckig sei als früher und sich meinen Argumenten nicht ganz verschlossen habe.
Die Erneuerung des Protestes des Bundesrates lehnte der Botschafter als novum gegenüber 1926, sowie auch deshalb ab, weil ja die Russische Regierung ihre Vorwürfe nicht wiederhole und deshalb auch kein Anlass zu einer Wiederholung des Schweizerischen Protestes vorliege. Was das novum betrifft, so bemerkte ich, dass der Passus wörtlich aus der Formel von 1924 übernommen sei und materiell sei der Protest deshalb gerechtfertigt, weil der Bundesrat, wenn er heute erneut den Vorfall bedaure, dabei auch wiederum bedaure, dass die Russische Regierung in der bekannten Weise auf denselben reagiert habe, ein Bedauern, das eben nur in die Form des Protestes gekleidet werden könne. Der Botschafter erklärte, dass dieser Protest das Zustandekommen einer Verständigung wesentlich erschwere. Auf seine Frage, ob das bezügliche schweizerische Begehren ultimativ sei, antwortete ich, dass, wenn die Lösung nur noch von diesem Punkte abhängen werde, ich bereit sei, darüber allfällig neue Instruktionen einzuholen. Ich machte also von der Befugnis, den Protest nötigenfalls fallen zu lassen, vorläufig noch keinen Gebrauch, da ich hoffe, ihn noch als Kompensationsobjekt in der Entschädigungsfrage verwenden zu können, umsomehr, als dem Botschafter sehr an der Weglassung gelegen zu sein scheint. In letzter Linie verlangte der Botschafter die Wiederaufnahme der Bestimmung, nach der die russischen Regierungsvertreter in Genf dieselbe Behandlung und dieselben Privilegien und Immunitäten geniessen sollen wie die Regierungsvertreter irgend eines ändern Staates. Ich machte darauf aufmerksam, dass diese ausdrückliche Bestimmung in der Formel vom Januar 1926 nicht enthalten gewesen sei, worauf der Botschafter einen früheren Entwurf vorlegte, der sie in der Tat aufweist. Ich behielt mir Ihre bezüglichen Instruktionen vor. Aus den Akten ersehe ich, dass eine bezügliche Erklärung enthalten ist im Schreiben des Politischen Departements an den Generalsekretär des Völkerbundes vom 30. Dezember 19253, und zwar damals noch unabhängig von der Frage der Beilegung des Konfliktes. Es scheint mir deshalb, dass dem bezüglichen Begehren, wenn es aufrecht erhalten wird, entsprochen werden kann. Ja, der Passus scheint mir sogar für uns günstig zu sein, da er einmal die bezüglichen Vorrechte ausdrücklich auf die internationalen Konferenzen beschränkt und zudem so ausgelegt werden kann, dass die Russen auf die Beschickung der Konferenzen Gewicht legen und deshalb zur Verständigung bereit gewesen seien4
. Der Botschafter schreibt heute nach Moskau um Instruktionen. Werden diese brieflich erteilt, so erwartet er sie auf Montag den 21. ds., sodass unsere Besprechung am 22. oder 23. wird fortgesetzt werden können. Möglicherweise wird er aber die Antwort telegraphisch und schon Freitag erhalten, in welchem Falle wir Sonnabend den 19. ds. wieder Zusammenkommen würden. Ich wäre Ihnen deshalb für eine telegraphische Instruktion dankbar, die sich nach dem Gesagten nur auf folgende drei Punkte beziehen müsste, da ich für alle ändern Ihre Weisungen besitze: 1. Kann in der Einleitung der Hinweis auf den Völkerbund weggelassen werden? - Ich erlaube mir, es zu beantragen. 2. Kann beim Ausdruck des Bedauerns das «neuerdings» gestrichen werden? - Ich erlaube mir, Festhalten zu beantragen. 3. Kann am Schluss die Einräumung der Privilegien eines Regierungsvertreters den russischen Delegierten nach Genf ausdrücklich zugesichert werden? - Ich erlaube mir, es zu beantragen5.
In einer allfälligen telegraphischen Antwort genügt es, auf die Nummern dieser drei Punkte Bezug zu nehmen, ohne ihren Inhalt zu wiederholen6.
- 1
- Schreiben: E 2001(C) 12/1. Beziehungen zu Russland.↩
- 3
- Nr. 139.↩
- 6
- Das Politische Departement übermittelte dem schweizerischen Gesandten in Berlin am 18.3.1927 folgendes Telegramm: No 5. Ihr Bericht 16. März.. Delegation Auswärtiges billigt durchaus Ihre ganze Stellungnahme und ist mit Ihren Vorschlägen zu den drei Punkten einverstanden. Bei Punkt zwei könnte nötigstenfalls Wort neuerdings durch andere gleichwertige Wendung ersetzt werden, wie z.B. entsprechend früheren Kundgebungen Bundesrates (E2001 (C) 12/1). -Motta setzte den Bundesrat am 21.3.1927 über die Mitteilungen Rüfenachts und die erteilten Instruktionen in Kenntnis (E 1005 2/3).↩
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