Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. DIE SCHWEIZ UND DER VÖLKERBUND
1. Abrüstung und Waffenhandel
Darin: Roost äussert sich zu den Fragen, die in der vorbereitenden Kommission für die Abrüstungskonferenz aufgeworfen worden sind. Die Vergleiche der Militärbudgets fallen für die Schweiz ungünstig aus. Annex vom 16.2.1927, dodis.ch/53745.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 257
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E27#1000/721#23380* | |
Old classification | CH-BAR E 27(-)1000/721 5137 | |
Dossier title | Abrüstung (1920–1938) | |
File reference archive | 12.B.1.c |
dodis.ch/45274
Der Vorsteher des Militärdepartementes, K. Scheurer, an den Vorsteher des Politischen Departementes, G. Motta1
Sie haben uns am 21. Januar abhin einige Fragen betreffend die Verhandlungen der Commission préparatoire de la conférence du désarmement übermittelt2. Wir haben sie der Generalstabsabteilung zur Prüfung und zum Bericht überwiesen und die beiliegende Antwort erhalten3; wir sind damit einverstanden und erlauben uns deshalb, sie Ihnen als unsere Ansichtäusserung zuzusenden.
Wir möchten nur die von der Generalstabsabteilung zuletzt berührte Frage etwas näher behandeln, nämlich die, wie wir uns zu den Arbeiten der Commission préparatoire und später zu denjenigen der Abrüstungskonferenz selber zu verhalten haben. Wir empfinden in dieser Hinsicht seit längerer Zeit gewisse Besorgnisse, die wir im Folgenden so kurz als möglich darlegen wollen.
Dass es sich bei der Abrüstung um eine wichtige Frage handelt, ist klar. Für uns stellt sie sich anders als für viele andere Völker, aber darum ist ihre Bedeutung nicht geringer. Vom Standpunkt unserer Aussenpolitik können wir jede Verminderung der Militärrüstungen begrüssen und unterstützen. Wir verlangen weder fremdes Gebiet noch eine irgendwie geartete Herrschaft über fremdes Volk; wir haben auch nicht Land und Leute zu verteidigen, die gegen ihren eigenen Willen oder gegen denjenigen eines Staates, dem sie früher angehörten, zu uns gekommen sind und selber eine Zurückversetzung in den frühem Stand wünschen oder von einem fremden Staat zurückverlangt werden. Unsere Politik ist vollkommen friedlich und unsere Landesverteidigung hat keinen ändern Zweck als den der Abwehr ungerechtfertigter Angriffe. Dieser Sachlage entspricht unsere Armee in ihrer Gestaltung und Ausrüstung und entsprechen auch die Grundsätze der Führung und Verwendung, auf denen unsere gesamte Arbeit aufgebaut ist. Geht der Grad der Kriegsbereitschaft in den für unser Verhalten massgebenden Ländern zurück, so kann auch unsere Abwehr oder die Vorbereitung dazu im Sinne der Entlastung geordnet werden. Dann stossen wir aber auf ein grosses Hindernis, den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht. Er hat für uns nicht nur militärische sondern ebensosehr politische Bedeutung. Er ist eine der wichtigsten Äusserungen der auf dem Grundsatz der Gleichheit beruhenden Demokratie und zugleich in seiner Anwendung eines der stärksten Bande, die unsere vielgestaltige Eidgenossenschaft Zusammenhalten. Müssen wir unsere Rüstungen herabsetzen, so kann das nur durch eine Verringerung der Zahl unserer Soldaten geschehen; an der Ausbildungszeit kann nichts gestrichen werden, wir bleiben mit unserer heutigen Dienstzeit immer noch weit unter dem, was in ändern Ländern von den Freunden der Abrüstung vorgeschlagen wird; an der Ausstattung unserer Truppen mit Kampfmitteln kann ebenfalls nichts abgelassen werden, bestehen hier doch schon eine ganze Reihe von Mängeln, die nach dem heutigen Stand der Dinge kaum zu ertragen sind. Müssen wir aber die Zahl unserer Soldaten vermindern, so kann das nur durch eine Herabsetzung der Rekrutenziffer geschehen, mit ändern Worten so, dass wir nicht alle Tauglichen zum Militärdienst einberufen und damit auf den verfassungsmässigen Grundsatz der Wehrpflicht aller verzichten. Wir wiederholen, dass die Wirkungen einer solchen Massnahme ebenso sehr auf politischem wie auf militärischem Gebiet sich fühlbar machen würden. Es steht für uns fest, dass unser Volk eine Armee, die nicht aus der allgemeinen Wehrpflicht hervorgeht, ganz einfach nicht ertragen würde. Wie gross die Gefahren sind, die einer Republik aus einem Gegensatz zwischen Volk und Armee erwachsen können, lehrt die Geschichte mit eindringlicher Deutlichkeit.
Wir glauben, dass schon diese allgemeinen Erwägungen allein uns veranlassen müssen, der ganzen Entwicklung der Angelegenheit unsere ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wir werden dazu aber auch durch einzelne Tatsachen veranlasst.
Wir erwähnen in dieser Hinsicht den Bericht, den der argentinische Vertreter Perez über das Wehrwesen unseres Landes erstattet hat. Es geht daraus mit aller Deutlichkeit hervor, wie schwer es ändern Leuten wird, unsere Verhältnisse richtig einzuschätzen. Es verwundert uns das weiter nicht, fällt es doch auch den nicht seltenen Besuchern unserer Armee nicht leicht, die als Fachleute und mit dem Auftrag, unsere militärischen Einrichtungen zu untersuchen, zu uns kommen. Gewisse entscheidende Dinge erfassen sie trotz Augenschein und Erläuterung oft überhaupt nicht. Kein Land ist wie das unsrige Missverständnissen ausgesetzt.
Einen ändern Fall betrifft die von der Commission préparatoire aufgeworfene Frage: Est-il possible de limiter les armements de guerre éventuels d’un pays ou bien les mesures de désarmement ne doivent elles viser que les armements de paix? Die Antwort lautete: La Commission estime qu’il n’est pas possible actuellement de limiter les armements de guerre éventuels d’un pays. Elle affirme, au contraire, la possibilité de limiter les forces de terre, de mer et aériennes entretenues en permanence en temps de paix par les divers pays ou pouvant être utilisées immédiatement sans mesures préalables de mobilisation. Diese Antwort ist für uns durchaus annehmbar. Wir unterhalten keine Truppen, die ohne vorhergehende Mobilmachung unmittelbar verwendbar wären. Allfällige Abrüstungsmassnahmen würden uns also nicht betreffen.
Nun glauben wir aber aus verschiedenen Meldungen schliessen zu müssen, dass die Commission préparatoire die in ihrer erwähnten Antwort vertretene Ansicht geändert hat oder doch ändern könnte. Wie es sich damit verhält, wissen wir nicht und können wir nicht in Erfahrung bringen4.
Damit kommen wir auf den unserer Ansicht nach entscheidenden, jedenfalls sehr heiklen Punkt, nämlich den, wie wir es anstellen müssen, um über das, was in der Abrüstungsfrage geht, auf dem Laufenden zu bleiben und unsere Interessen rechtzeitig und wirksam verfechten zu können.
Wie Sie selber erfahren haben, ist es ausserordentlich schwierig, in der gewaltigen Papierflut dasjenige zu entdecken, was wichtig ist und entscheidend werden kann. Schon die Masse selbst ist schwer zu bewältigen; dazu kommt die eigentümliche Art des Ausdruckes, bei der man oft nur mit grosser Mühe im Stande ist zu verstehen, was eigentlich gemeint ist. Es braucht geradezu ein eigentliches Studium, wenn man nur einigermassen sich ein Urteil über den Gang der Dinge bilden will.
Ganz abgesehen davon, dass wir zurzeit niemanden haben, dem diese Arbeit zugewiesen werden kann, befinden wir uns im Militärdepartement insofern in einer ungünstigen Lage, als wir mit dem Völkerbund und den mit ihm zusammenhängenden Einrichtungen in gar keinen Beziehungen stehen. Wir sind weder imstande, uns ein Bild darüber zu machen, in welcher Richtung die Entwicklung geht, noch besitzen wir irgend ein Mittel, unsere besonders geartete Stellung zur Geltung zu bringen, bevor die bindenden Beschlüsse gefasst sind.
Aus diesem Zustand heraus können für uns eines Tages ganz unangenehme Überraschungen erwachsen. So ist es ganz gut möglich, dass wir in kürzester Frist zu irgend einer Frage Stellung nehmen müssen, ohne dass wir uns über die Sachlage genügend Rechenschaft geben könnten. Wie leicht können wir uns dann täuschen, besonders wenn wir an den Druck denken, der auch dann im Sinne der Zustimmung zu den ohne uns getroffenen Vereinbarungen sicher uns gegenüber ausgeübt werden wird.
Wir sind daher der Ansicht, dass der heute fehlende Zusammenhang auf irgend eine Weise hergestellt werden sollte. Wir sind leider nicht in der Lage, einen bestimmten Vorschlag zu machen, weil wir, wie gesagt, keine Beziehungen zu den Einrichtungen des Völkerbundes unterhalten. Vielleicht wissen Sie einen Weg und deshalb bitten wir Sie, die Angelegenheit einer Prüfung zu unterwerfen5.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 27, Archiv-Nr. 23380/1.↩
- 2
- Das Politische Departement hatte sich damals wie folgt geäussert: [...] Über den Verlauf der bisherigen Verhandlungen haben wir Sie durch Übermittlung der Verhandlungsprotokolle und weiterer Dokumente fortdauernd auf dem Laufenden gehalten. Es wäre uns nun ausserordentlich wertvoll, zu erfahren, welche der bisher in Genf behandelten Fragen nach der Auffassung Ihres Departements mit besonderer Aufmerksamkeit weiterverfolgt werden sollten. Sodann ersuchen wir Sie, uns mitzuteilen, ob es sich Ihres Erachtens rechtfertigt, vor dem neuen Zusammentritt der «Commission préparatoire» zu irgend einer der bisher aufgetauchten Fragen Stellung zu beziehen.[...] (E 27, Archiv-Nr. 23 380/1).↩
- 3
- Als Annex abgedruckt.↩
- 4
- In seinem Schreiben an das Politische Departement vom 31.8.1927 stellte das Militärdepartement in Bezug auf den Bericht über die dritte Session der Commission préparatoire de la conférence du désarmement vom 26. April. 1927 fest: [...] Die Kommission hat sich, wie aus dem vorliegenden Texte geschlossen werden muss - allerdings nur unter den Vorbehalten der deutschen, englischen und amerikanischen Vertretungen - auf dem Grundsatz geeinigt, dass die Beschränkung der Bestände an Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten sich nur beziehen soll auf diejenigen Teile der Wehrmacht, die ohne Mobilisationshandlungen verwendungsfähig sind[...] . Aus diesem Artikel[...] ergibt sich für unser Land der sichere Schluss, dass die vorgeschlagene Beschränkung der Bestände unsere Armee nicht berühren wird, da sie über keinerlei Kräfte verfügt, die ohne Mobilisation verwendungsfähig wären. Wir wollen nicht verhehlen, dass dieses Resultat für uns von unserm spezifisch schweizerischen Standpunkt aus Beruhigung bringt, weil eine Lösung der Abrüstungsfrage, welche uns zwingen würde, unsere Bestände in einem Masse herabzusetzen, dass wir den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht aufheben müssten, uns vor eine nach unserer Ansicht sozusagen unlösbare Aufgabe gestellt hätte. [..J(E 2001 (C) 5/7).↩
- 5
- In seinem Schreiben vom 23.2.1928 an das Politische Departement führte das Militärdepartement aus: [...] Die Generalstabsabteilung hat mit unserer Zustimmung für die Behandlung derjenigen Angelegenheiten des Völkerbundes, an welchen unser Militärwesen interessiert ist, Herrn Oberst Züblin, gewesenen Kommandanten der Infanterie-Brigade 14, Rechtsanwalt in Zürich, als Berater zugezogen, dem sie jeweilen auch das Aktenmaterial übergibt. [...] (E 27, Archiv-Nr. 23380/1).↩
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