dodis.ch/45239
Der Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartementes,
W. Stucki, an den schweizerischen Gesandten in
Berlin,
H.Rüfenacht1
Nachdem heute der schweizerisch-deutsche Handelsvertrag vom 14. Juli auch im Ständerat, und zwar einstimmig, genehmigt worden ist2, wird der Bundesrat zur vorgesehenen Ratifikation des Vertrages bereit sein. Da anlässlich der Verhandlungen ausdrücklich von schweizerischer und deutscher Seite vorgesehen worden ist, den Vertrag auf den 1. Januar 1927 in Kraft zu setzen, so müssen die Ratifikationsurkunden spätestens am 1. Dezember 1926 ausgetauscht werden. Es wäre vielleicht gut, wenn Sie beim Auswärtigen Amt gelegentlich hieran erinnern und mitteilen wollten, die Schweiz sei Ende November oder am 1. Dezember zum Austausch und zur Inkraftsetzung des Vertrages auf den 1. Januar des nächsten Jahres bereit.
Angesichts der in letzter Zeit stärker gewordenen deutschen Opposition gegen den Vertrag haben wir uns ernsthaft gefragt, ob es taktisch klug sei, wenn in der Schweiz beide Kammern den Vertrag genehmigen, bevor er die Zustimmung des deutschen Reichstages gefunden hat und ob es nicht besser wäre, das Geschäft im Ständerat erst in der Dezembersession zu behandeln. Wenn mit unserem Einverständnis der Ständerat nun doch schon heute den Vertrag genehmigt hat, so geschah dies namentlich aus zwei Gründen: einmal warten bei uns alle Exportkreise, auch die Stickerei (!) sehnlich auf die möglichst baldige Inkraftsetzung des Vertrages. Würde der Ständerat den Vertrag erst im Dezember behandeln, so wäre natürlich eine Inkraftsetzung vor dem 20. Januar 1927 nicht möglich. Zum zweiten wollten wir der deutschen Regierung unter keinen Umständen den Vorwand schaffen, die Schweiz habe ihrerseits die beidseitig vorgesehene Inkraftsetzung auf den 1. Januar verunmöglicht und es könne deshalb ohne Verletzung der eingegangenen, zwar nur moralischen Bindung, auch in Deutschland die Angelegenheit verschleppt werden. Wir hoffen übrigens bestimmt, dass die Genehmigung des Vertrages durch beide schweizerischen Kammern eine ungünstige Wirkung auf die Behandlung im deutschen Reichstage nicht ausüben werde3.
Bei dieser Gelegenheit möchten wir Ihnen mitteilen, dass die einstimmigen Unterhändler und das Departement dem Bundesrat beantragen werden, den provisorischen Generaltarif vom 5. November 1925 auf 1. Januar 1927 in Kraft zu setzen, da uns dies mit Rücksicht auf die Verhandlungen mit der Tschechoslovakei und kommende Verhandlungen mit Frankreich und Italien absolut notwendig erscheint4. Sie können die deutschen zuständigen Stellen vertraulich auf diese Absicht aufmerksam machen und darauf hinweisen, dass schon aus diesem Grunde es im beidseitigen Interesse liege, den Handelsvertrag auf den gleichen Zeitpunkt in Kraft zu setzen. Die effektive Anwendung des Tarifs vom 5. November 1925 dürfte übrigens auch der deutschen Regierung insofern angenehm sein, als sie allen Zweiflern gegenüber den Beweis erbringen kann, dass es der Schweiz mit diesem Tarif ernst war und sich also die deutscherseits im Hinblick auf ihn gemachten Konzessionen durchaus rechtfertigen.