Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
22. Russland
22.1. Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 144
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001B#1000/1507#124* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(B)1000/1507 9 | |
Dossier title | Private Besprechungen Prof. Töndury mit dem russ. Botschafter Krestinski in Berlin betr. die Beziehungen der Schweiz zu Soviet-Russland (1926–1926) | |
File reference archive | B.15.11 • Additional component: Russland |
dodis.ch/45161
Das Unterzeichnete Directionskomité der Schweiz. Hilfs- und Kreditorengenossenschaft für Russland hat in seiner Sitzung vom 9. Januar Kenntnis genommen vom Berichte seines Präsidenten über sein Zusammentreffen mit Dr. Schönfeld (6. Dez.), mit Herrn Krestinski, dem russischen Botschafter in Berlin (12. Dez.) sowie über seine Unterredung mit Ihnen und mit Herrn Minister Dinichert (18. Dez.). Aus den ihm gemachten Mitteilungen sowie aus den neuesten Meldungen der soviet-russischen Presse (vgl. Iswestia vom 9. ds.) glaubt es schliessen zu dürfen, dass es den Russen ausserordentlich daran liegen würde, an den Vorarbeiten für die Abrüstungskonferenz und späterhin an derselben selbst teilnehmen zu können und dass sie daher das Fehlen normaler Beziehungen mit der Schweiz heute als ganz besonders hinderlich empfinden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Sie sich bereit erklärt haben, einer russischen Delegation an der Konferenz, unbeschadet des Verhältnisses zwischen Russland und der Schweiz, dieselben Rechte wie jeder ändern Delegation einzuräumen. Aus dem erwähnten Artikel der Iswestia geht deutlich hervor, dass die Russen Angst haben, es möchten aus dem Fehlen normaler Beziehungen zwischen Russland und der Schweiz Zwischenfalle entstehen, die angesichts der gereizten Stimmung vielleicht zu neuen Schwierigkeiten führen könnten. Die Russen glauben daher, nur dann wirklich auf gleichem Fuss mit allen ändern Delegationen zu stehen, wenn normale Beziehungen zwischen den beiden Staaten bestehen. Es ist nicht die Absicht des Directionskomités diesen Standpunkt zu kritisieren, so leicht dies vielleicht auch wäre, es genügt ihm, festzustellen, dass die Russen dieser Meinung sind und zwar, wie wir allen Anlass zu glauben haben, in vollem Ernste. Ist dies aber der Fall, so darf wohl auch angenommen werden, dass die Soviets heute eher, als zu irgendeinem ändern Zeitpunkt geneigt wären, gewisse Zugeständnisse zu machen, um zu dem gewünschten Resultat zu gelangen. Es entspricht diese Annahme auch durchaus dem, was unserm Präsidenten zwar nicht von Krestinski selbst, wohl aber von einem seiner Vertrauensleute gesagt worden ist. Für die Schweiz wäre daher der Zeitpunkt für Verhandlungen heute günstiger als je. Seither ist nun allerdings sowohl in der russischen wie in der Schweiz. Presse die Frage unserer Beziehungen zu Russland zum Gegenstand einer lebhaften Diskussion gemacht worden und es ist nicht zu verkennen, dass diese öffentliche Diskussion unter Umständen unsere Position einigermassen geschwächt hat. Denn nicht nur ist durch die öffentliche Erörterung unnötigerweise die Erinnerung an die sattsam bekannten Zwischenfalle von Lausanne neu aufgefrischt und dadurch die Stimmung hüben und drüben verschärft worden, sondern gewisse Äusserungen der schweizerischen Presse (wie z. B. die der Depeschenagentur, der Boykott sei eine ungerechte Massnahme)3, mussten bei den Russen die Meinung verstärken, dass sie mit dem Boykott uns auf das empfindlichste sowohl in unserer Ehre wie auch in unsern wirtschaftlichen Interessen getroffen hätten, sodass derselbe ein genügendes Pressionsmittel darstelle, um uns ihren Wünschen fügsam zu machen. Auch das Verlangen, der Boykott müsse aufgehoben werden, bevor irgendwelche Verhandlungen möglich seien, kann sie in dieser Meinung nur bestärken, und hat auch effectiv diese Wirkung gehabt, wie aus dem Verhalten Krestinski’s deutlich hervorgeht. Trotzdem auf diese Weise unsere Position den Russen gegenüber sicherlich eher geschwächt als gefördert worden ist, ist das Directionskomité dennoch der Überzeugung, dass es ausserordentlich zu bedauern wäre, wenn die verhältnismässig günstige Konstellation, die sich uns heute noch bietet, nicht dazu benützt würde, um wenigstens einen Versuch zur Erlangung von Zugeständnissen zu machen. Die blosse Aufhebung des Boykotts scheint uns dabei allerdings von sehr geringem Interesse zu sein, so grosse Anforderungen sie auch an die Eigenliebe der Russen stellen würde. Der Boykott ist u. E. für die Schweiz überhaupt vollständig bedeutungslos und gar nicht wert, dass man überhaupt davon redet. Über unsere Ehre und unser Ansehen in der Welt entscheidet nicht Sovietrussland, sondern der Rest der Welt, und wir glauben nicht, dass irgendwer im Ausland den Boykott anders, denn als eine der bei den Soviets üblichen Umkehrungen der Tatsachen aufgefasst hat, die wir zu unrecht tragisch aufgefasst haben. In geschäftlicher Beziehung ist dagegen zu bemerken, dass die Geschäfte, die ohne Boykott mit Sovietrussland hätten gemacht werden können, auch heute noch gemacht werden und zwar mit Wissen und Willen der Sovietvertretungen in Berlin und Paris, welche einigen Zwischenhändlern gewissermassen das Monopol hierfür eingeräumt haben. Die formelle Aufhebung des Boykottes allein hat daher weder in prestigepolitischer noch in geschäftlicher Beziehung irgendwelchen Wert und würde nur für die Russen von Vorteil sein, die dadurch von der Notwendigkeit sachlicher Zugeständnisse befreit würden. Solche aber könnten u.E. unter den gegenwärtigen Umständen sowohl in geschäftlicher Hinsicht wie auch in Bezug auf unsere Entschädigungsbegehren erreicht werden, wenn man sich entschliessen würde, im Sinne des Berichtes unseres Präsidenten die Hand zu konfidentiellen Verhandlungen, unter Ausschluss jeglicher Diskussion der Lausanner Affäre und des Boykottes, zu bieten. Würden diese Verhandlungen in Bezug auf diese beiden Punkte zu einem sachlich befriedigenden Resultat führen, so könnte sodann die Aufnahme der Beziehungen in gegenseitigem Einverständnis erfolgen, ohne dass der eine oder andere den ersten Schritt zu tun hätte, und es würde damit eo ipso auch der Boykottbeschluss der Sovietregierung dahinfallen. Würde es sich dagegen bei den Verhandlungen ergeben, dass die Zugeständnisse der Russen ungenügend sind, so hätten wir doch wenigstens alles getan, was getan werden konnte und dies, ohne dass wir uns irgendwie etwas hätten vergeben müssen. In geschäftlicher Beziehung wären dabei u. E. nicht so sehr formelle Regelungen als vielmehr Zusicherung von Bestellungen in bestimmter Höhe zu erstreben, da die Erfahrung aller ändern Länder gezeigt hat, dass formelle Regelungen nicht genügen, um den Handel mit Russland zu beleben. Im Bezug auf unsere Entschädigungen könnte die Lösung entweder in der Richtung einer praktisch verwertbaren Meistbegünstigungsklausel oder dann in einer Verbindung mit den kaufmännischen Bestellungen im Sinne des Ihnen von unserm Präsidenten mündlich skizzierten Planes gesucht werden. Wir haben Grund zu der Annahme, dass dieser letztere Weg im Princip den Russen nicht unwillkommen wäre.
Wir benützen den Anlass, um Sie zugleich auch auf einen Artikel des Berliner «Vorwärts» aufmerksam zu machen, der die Idee einer Intervention Deutschlands vorerst bei Russland lanciert. Wir wissen nicht, ob diese Idee Chancen hat, verwirklicht zu werden, glauben aber des bestimmtesten, dass auf dem Wege directer confldentieller Verhandlungen sachlich mehr zu erreichen wäre.
- 1
- Für das Direktionskomitee der Secrusse unterschrieben H.Töndury, M. Naef, R. Julliard, P. Moerikofer und E. Walch.↩
- 2
- Schreiben: E 2001 (B) 7/9.↩
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