Également: Compte rendu de l’entretien avec Rakowsky au sujet des relations soviéto-suisses et les moyens de les renouer. Appréciations de Rüfenacht. Annexe de 15.10.1924 (CH-BAR#E2001C#1000/1542#2*).
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 8, Dok. 357
volume linkBern 1988
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E1005#1000/16#11* | |
Dossiertitel | Protokolle des Bundesrates, Geheimprotokolle (Minuten und Originale) 1924 (1924–1924) | |
Aktenzeichen Archiv | 4.5 |
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E1005#1000/17#11* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 1005(-)1000/17 2 | |
Dossiertitel | Protokolle des Bundesrates, Geheimprotokolle (Minuten und Originale) 1924 (1924–1924) | |
Aktenzeichen Archiv | 4.5 |
dodis.ch/44999
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 17 octobre 19241
Beziehungen zu Russland
Procès-verbal de la séance du 17 octobre 19241
Aus einem Bericht des Gesandten in Berlin2 über seine durch Prof. Stein vermittelte Unterredung mit dem russischen Botschafter in London, Rakowsky, ergibt sich im wesentlichen folgendes:
Rakowsky führte aus, die russische Regierung hege den Wunsch, die Angelegenheit mit der Schweiz in Ordnung zu bringen, u. a. auch wegen der Entsendung eines russischen Beobachters zum Völkerbund3 nach Genf. Wenn auch die Schweiz, trotz des gegenwärtigen Zustandes, dem Aufenthalt eines solchen Beobachters in Genf keine Schwierigkeiten bereiten wolle, so möchte Russland doch einen Delegierten lieber nicht in der Schweiz wissen, solange es seinen Angehörigen das Betreten der Schweiz verbiete. Bei der Regelung des Verhältnisses zur Schweiz müsse Russland an einer gewissen Genugtung in der Angelegenheit Worowski festhalten4, da die Schweiz doch zum mindesten insofern gefehlt habe als sie keinen polizeilichen Schutz für den russischen Delegierten vorsah. Über die Fassung einer schweizerischen Erklärung zum Fall Worowski werde eine Verständigung leicht sein, sobald im Übrigen eine sachliche Einigung erzielt werde, worunter nichts anderes als die de jure Anerkennung Russlands mit Aufnahme auch der diplomatischen Beziehungen verstanden ist. Er glaube zu wissen, dass der Bundesrat den Gedanken der Anerkennung nicht mehr schroff ablehne.
Hierüber, so bemerkte der schweizerische Gesandte, sei er nicht informiert und wies auf die einer Anerkennung Russlands wohl noch abgeneigte öffentliche Meinung hin, die es vielleicht ratsam erscheinen lasse, schrittweise vorzugehen, d. h. vorerst die tatsächlichen Störungen der Beziehungen zwischen beiden Ländern zu beseitigen und damit den Boden für eine allfällige spätere weitergehende Annäherung vorzubereiten. Auch wies der Gesandte auf die noch bestehenden Bedenken wegen der russischen Propaganda in der Schweiz hin.
Demgegenüber führte Rakowsky aus, gerade die Zulassung einer russischen Vertretung in der Schweiz biete den Vorteil, dass allfällige Beschwerden über unerwünschte Propaganda bei ihr angebracht werden könnten. Die öffentliche Meinung in der Schweiz werde durch die Haltung der ändern Länder gegenüber Russland beeinflusst werden und die schweizerische Regierung sei wohl in der Lage, ihr die als erwünscht erscheinende Richtung zu geben. An einem schrittweisen Vorgehen liege Russland wenig, weil es durch Aufhebung des Boykotts der Schweiz einen Vorteil einräumen würde, dem keine Gegenleistung der Schweiz entspräche; denn als solche könnte die Aufhebung der Visasperre nicht betrachtet werden, da diese in der Hauptsache nicht den Sovietrussen, sondern die altrussischen Emigranten treffe, deren Lage zu verbessern Russland nicht reizen könne.
Der Gesandte zieht den Schluss, dass, wenn auch Rakowsky die vorläufige Beschränkung einer Verständigung auf die Wiederherstellung tatsächlicher Beziehungen nicht unbedingt ablehne, dieser Weg doch nicht leicht zu begehen sein werde, es wäre denn, der Bundesrat entschlösse sich, eine die russischen Gefühle befriedigende Erklärung zum Fall Worowsky abzugeben. Auf eine solche Erklärung würde offenbar für den Fall der Anerkennung Russlands de jure kein besonderes Gewicht gelegt.
Der Gesandte hat in dieser Unterredung die Frage der Anerkennung der schweizerischen Forderungen gegenüber Russland nicht aufgeworfen.
Rakowsky, der nach London zurückgekehrt ist, wäre bereit, die Besprechung mit dem dortigen schweizerischen Gesandten fortzusetzen, ist aber auch einverstanden, dass die Angelegenheit in Berlin weiter verfolgt werde; hiefür stände die Steinsche Vermittlung weiter zur Verfügung.
Der Gesandte ersucht um weitere Weisungen.
Der Vorsteher des politischen Departementes weist auf die bevorstehende Anerkennung der russischen Regierung durch Frankreich hin. Er ist der Meinung, die durch die vorgeschilderte Unterredung eingeleiteten Besprechungen sollen weiter verfolgt werden. Er macht zu diesem Zwecke folgende Vorschläge:
1. Der Gesandte in Berlin ist anzuweisen, die Angelegenheit weiterzuführen. Der Gesandte in London wäre somit anzuweisen, sich aller Verhandlungen in dieser Sache zu enthalten.
2. Es ist bei den weitern Verhandlungen zu verlangen, dass der russische Boykott gegenüber der Schweiz aufgehoben werde, bevor über die de jure Anerkennung Russlands verhandelt wird. Es darf nicht die Meinung aufkommen, dass mit der Aufhebung des Boykotts die Entschliessung der Schweiz für die Anerkennung de jure irgendwie vorweggenommen werden könne. Die öffentliche Meinung in der Schweiz würde es nicht verstehen, wenn Verhandlungen über die Anerkennung Russlands aufgenommen würden, bevor die im Boykott liegende Ungerechtigkeit beseitigt ist.
3. Wenn damit die Beseitigung des Boykotts erreicht werden könnte, so wäre gegen die Abgabe einer Erklärung in dem Sinne nichts einzuwenden, dass die Schweiz gegen die Entsendung eines russischen Beobachters nach Genf nichts einzuwenden habe und bereit sei, einem solchen Sendling den polizeilichen Schutz angedeihen zu lassen, um Vorkommnisse wie die in Lausanne zu vermeiden.
Der Vorsteher des politischen Departementes fügt bei, es werde auf Grund der Ausführungen Rakowskys zu prüfen sein, ob die gegenwärtige Visumsperre gegenüber den Russen abgeändert werden soll.
In der Beratung ergibt sich allseitige Zustimmung zu den Vorschlägen des Vorstehers des politischen Departementes, wobei betont wird, die Aufhebung des Boykotts müsse als conditio sine qua non für die Aufnahme von Verhandlungen über eine weitergehende Annäherung zwischen den beiden Ländern aufgestellt werden.
Von einer Seite wird aber geltend gemacht, die Anerkennung Russlands de jure erscheine für die Schweiz ausgeschlossen, namentlich auch auf Grund der Erfahrungen, die die Schweiz seinerzeit mit der Sovietmission gemacht habe und die sich nicht wiederholen dürfen. Denn mit solchen politischen Schwierigkeiten wie sie damals entstanden wäre die Wiederaufnahme der Beziehungen zu Russland zu teuer erkauft.
Von anderer Seite wird betont, auch nach Aufhebung des russischen Boykotts müsse der öffentlichen Meinung einige Zeit gelassen werden, sich neu einzustellen. Dann erst könne an Verhandlungen über die de jure Anerkennung gedacht werden.
Diesen Ausführungen gegenüber wird hervorgehoben, die Aufhebung des Boykotts werde einen guten Eindruck auf die öffentliche Meinung machen. Sei diese Aufhebung einmal Tatsache, dann werde es aber nicht wohl angehen, mit weitern Verhandlungen noch lange zuzuwarten, da stets auf den Boykott als Haupthindernis für solche Verhandlungen hingewiesen worden sei. Auch bei diesen weitern Verhandlungen dürfe gewiss nichts überstürzt werden; allein nachdem fast alle Staaten Russland anerkannt haben, könne die Schweiz nicht wohl noch lange abseits stehen, wenn sie nicht wichtige Vorteile, namentliche solche für die Industrie, preisgeben wolle. Auf die Dauer sei es auch nach den Grundsätzen des Völkerrechtes nicht angängig, der Regierung, die ein Volk sich gegeben hat, die Anerkennung zu versagen.
Der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes erklärt sich bereit, die Frage der Visumsperre gegenüber den Russen zu prüfen und weist darauf hin, dass er der Sovietregierung denn doch auch nicht erwünscht sein könne, wenn die Schweiz den Altrussen Tür und Tor öffne, da deren Einlassung die Stimmung für eine de jure Anerkennung der Sovietregierung kaum günstig beeinflussen würde.
Auf Grund der Beratung wird beschlossen:
Der Vorsteher des politischen Departementes wird ermächtigt, dem Gesandten in Berlin für die Fortsetzung der Besprechungen gemäss den vorstehenden Vorschlägen Weisung zu erteilen.5
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Russland (Wirtschaft)
Conradi-Affäre (1923)