Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS BILATERALES ET LA VIE DES ETATS
II.11. Etats-Unis d’Amérique
II.11.1. Questions de politique générale
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 8, doc. 314
volume linkBern 1988
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1180* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 496 | |
Dossier title | Washington, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Sozialberichte, Band 39 (1924–1924) |
dodis.ch/44956
In den Vereinigten Staaten, wo der Sozialismus wegen der hohen Arbeitslöhne, der geringen Arbeitslosigkeit und dem Wohlstände der Arbeiter relativ sehr wenig Anhänger zählt, und von geringer Bedeutung ist, bringt man in den breiten Massen der Bevölkerung den politischen Änderungen in England nicht ein so reges Interesse entgegen wie dies in Europa der Fall sein dürfte. Immerhin erregt der Gang der Ereignisse insofern eine gewisse Aufmerksamkeit als es sich um das stammverwandte und vom Amerikaner immer an erster Stelle gesetzte britische Reich handelt.
In den intellektuellen und politischen Kreisen liegen die Dinge anders. Dort zeigt man das lebhafteste Interesse an der sozialistischen Entwicklung Englands, ohne aber darin eine besondere Gefahr für Amerika zu sehen, es sei denn die, dass eine durch übertriebene, sozialistische Massnahmen geschwächte englische Volkswirtschaft, England selbst und Europa auf eine noch tiefere wirtschaftliche Stufe bringen und den amerikanischen Export ungünstig beeinflussen könnte. Anlässlich eines Diners auf unserer Gesandtschaft äusserte sich Staatsminister Hughes dahin, dass heute eine viel grössere Abhängigkeit Englands vom Kontinent erwiesen sei als man früher anzunehmen pflegte. Er führte zum Belege die grosse Arbeitslosigkeit in England im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch Russlands und Deutschlands an. Es sei daher Grossbritanien stark an der Wiederaufrichtung in erster Linie Deutschlands interessiert und er vermute, dass deshalb die englischen Delegierten zur Feststellung der deutschen Finanzlage politisch sich nicht derselben Unabhängigkeit erfreuten wie ihre amerikanischen Kollegen, die jeglicher politischer Einflüsse vollständig enthoben seien. Frankreich beurteile heute nach dem Frankensturz vielleicht die Verhältnisse in Europa auch etwas anders wie früher, und Belgien wünsche eine rasche Retablierung Europas. Hughes ist demnach offenbar der Ansicht, dass die Finanzdelegierten unter günstigen Bedingungen arbeiten können.
Das Resultat ihrer Bemühungen hängt allerdings zum grossen Teil von der Entwicklung in England ab. Wenn dieses sich trotz dem Einfluss der Liberalen zu stark nach links orientiert, dürfte erneut die Gesundung Europas gefährdet sein. Ein bekannter amerikanischer Politiker hat sich neulich dahin geäussert, dass England nun langsam auf das gefährdete Terrain russisch-sozialistischer Experimente hinübergleite. Als im Gespräch mit Hughes die Rede auf die vorerwähnte Bemerkung kam, ergab sich, dass Hughes diese Auffassung nicht teilt. Er ist der Meinung, dass MacDonald als feiner Politiker und verständnisvoller Engländer (fine intellectual, real English brain) sich nicht zu verhängnisvollen Experimenten verleiten lasse und dass im Falle er die Leitung in den Händen behalte, die Welt einem vorsichtigen, ausserordentlich interessanten und lehrreichen sozialistischen Versuche beiwohnen könne.
Diese Auffassung findet zum Teil ihre Bestätigung in Aussagen des Finanzministers Mellon, der Mitte Januar erklärte, dass Amerika im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Sozialismus in England eine intensive Investierung englischen Kapitals in amerikanischen Werten erwartete und er betonte ausdrücklich, dass die Hoffnung auf den Erfahrungen mit ändern Ländern, wie speziell der Schweiz, wo Vermögensabgaben befürchtet wurden, begründet war. Seines Wissens könne aber bis anhin keine derartige Kapitalbewegung beobachtet werden. Der englische Kapitalist halte also offenbar dafür, dass die Arbeiterregierung im Bewusstsein ihrer Verantwortlichkeit vor weitgreifenden Massnahmen gegen das Kapital absehe und so zeige letzteres auch keine besondere Eile aus dem Königreich abzuwandern.
Ob sich Mellon, was die Kapitalabwanderung anbelangt, auch heute noch so äussern würde, scheint mir fraglich. Hughes, der trotz vorerwähnter günstiger Beurteilung Englands die Möglichkeit des Emporkommens extremerer Elemente wie MacDonald nicht ausschliesst, sagt, dass man in englischen Finanzkreisen die Lage eher pessimistisch zu beurteilen scheine, da in aller letzter Zeit aus England gewaltige Kapitalien nach Kanada und Amerika abgewandert seien. Ferner teilte vergangenen Samstag ein Wall Street Bankier einem meiner Mitarbeiter mit, dass die New Yorker Banken alle übereinstimmend einige Wochen vor dem Regierungswechsel einen Zufluss englischen Kapitals beobachteten, der dann unmittelbar vor und nach dem Regierungsantritt MacDonalds abflaute und nun wieder im steten, starken Wachsen begriffen sei. Der amerikanische Bankier äusserte sich sogar dahin, dass die meisten englischen grossen Vermögen zum schönen Teil jenseits des Ozeans in Sicherheit gebracht sein dürften, falls in einigen Monaten gesetzliche Massnahmen gegen die Flucht des Kapitals ins Ausland ergriffen würden.
Ich frage mich, ob die Schweiz nicht etwas von diesem goldenen Strom auf ihre Mühlen leiten könnte. Das Kapital wandert aus Gebieten ab, denen es politisch und wirtschaftlich misstraut und wendet sich Ländern zu, denen es glaubt, Vertrauen entgegenbringen zu dürfen. Es handelt sich also darum, den Engländern dieses Vertrauen einzuflössen, was nicht schwer fallen dürfte. Nach den uns zugekommenen Berichten, hat sich ja die wirtschaftliche Lage unseres Landes im Jahre 1923 gebessert. Politisch ist das Abstimmungsresultat übr die Vermögensabgabe charakteristisch.2 Durch geeignete Schritte bei den englischen Banken, durch eine unaufdringliche Propaganda in England und vielleicht auf den fremden Plätzen in der Schweiz könnte wohl mancher Engländer und namentlich diejenigen, die nur der derzeitigen englischen Regierung, nicht aber Europa überhaupt misstrauen, zu Kapitalanlagen in der Schweiz veranlasst werden.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Washington 39.↩
- 2
- Votation du 3 décembre 1922sur la demande d’initiative populaire concernant la perception d’un prélèvement sur la fortune. FF, 1922, Vol. III, pp. 325–332. Cette demande a été rejetée par 736 952 votants et acceptée par 109 702. cf. RO. 1923 Tome 39, p. 44.↩
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