Classement thématique série 1848–1945:
VI. LE RAVITAILLEMENT DE LA SUISSE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-II, doc. 416
volume linkBern 1984
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#105* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 58 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 21, Teil 2 (1920–1920) |
dodis.ch/44627
Le Ministre de Suisse à Berlin, A. von Planta, au Chef du Département de l’Economie publique, E. Schulthess1
Ich bestätige mein letztes Schreiben vom 13.1-Mts.2 in Sachen des Kohlenlieferungsvertrages aus Zeche «Präsident» und bin heute in der Lage, Mitteilungen zu machen über eine weitere recht «temperamentvolle» Aussprache, die sich gestern zwischen Herrn Ministerialdirektor v. Simson und mir abgespielt hat. Ich war hingegangen, um den Nachweis zu leisten, dass die Continentale Handelsgesellschaft bisher überhaupt keinen Gewinn erzielt habe auf den Lieferungen aus Präsident. Herr v. Simson antwortete mir darauf: Das mag wohl sein, ändert aber nichts an der Tatsache, dass der deutsche Fiscus um ungezählte Millionen gebracht wird, wenn es bei dem Beckervertrag verbleiben muss. Dieser Fall wird aber, so fuhr Simson wörtlich fort, wohl nicht eintreten, nachdem das Gutachten des Reichsjustizministeriums dahin lautet, dass
1. ein Verzicht auf die Erhebung von Ausfuhrabgaben weder aus dem Vertrage selbst noch aus dem Genehmigungsbeschluss abgeleitet werden könne;
2. der im Genehmigungsbeschluss enthaltene Vorbehalt, dass «gesetzliche Bestimmungen hierdurch nicht berührt werden», selbstverständlich nicht nur auf damals schon bestehende Gesetze, sondern auch auf künftig zu erlassende Verfügungen gesetzlicher Art bezogen werden müsse;
3. durch das Gesetz vom 20. Dezember 1919 die Erhebung von Abgaben auf ausgeführten Kohlen vorgeschrieben sei;
4. ein Verzicht auf die Anwendung oder den Erlass von Gesetzen zweifellos nicht durch einzelne Ministerien und vor allem nicht in der Form der Zustimmung zu einer privatrechtlichen Abmachung ausgesprochen werden könne.
Angesichts dieses sehr bestimmten Gutachtens des Justizministeriums scheint es Herrn v. Simson nicht mehr zweifelhaft, dass die deutsche Regierung grundsätzlich an dem Standpunkt festhalten werde, dass durch die Genehmigung des Becker-Vertrages seitens einzelner Ministerien erstens kein Staatsvertrag abgeschlossen und zweitens kein gültiger und gewollter Verzicht auf die Erhebung von Ausfuhrabgaben ausgesprochen worden sei.
Ich habe Herrn v. Simson kein Hehl daraus gemacht, dass ich dieser ganzen Argumentation weder juristisch noch politisch zu folgen vermöge und dass für uns nur die Tatsache in Betracht falle, dass drei deutsche Ministerien ihr Wort verpfändet und wiederholt bestätigt haben und dass nun dieses Wort nicht eingelöst werden wolle. Ich suchte auch nachzuweisen, dass die juristischen Deductionen des Justizministeriums nichts weniger als concludent seien und verwies in bestimmter Weise auf die Tatsache, dass weder die Behörden noch die öffentliche Meinung in der Schweiz sich von der Überzeugung werden abbringen lassen, dass von deutscher Seite eine vertragliche Bindung unberücksichtigt gelassen werde. Herr v. Simson war natürlich etwas aufgebracht über meine Auffassung, die er des bestimmtesten ablehnte.
Schliesslich machte ich ihn darauf aufmerksam, dass mir der Reichskanzler in einer unmittelbar vorher stattgehabten Besprechung erklärt hatte, die deutsche Regierung lege das allergrösste Gewicht darauf, der schweizerischen Regierung gegenüber nicht unfreundlich zu erscheinen, worauf Simson antwortete: Ganz gewiss sind wir alle von diesem Wunsche beseelt und suchen gerade deshalb nach einem Ausweg, der es uns möglich machen soll, die unerträglichen Fesseln und Bindungen dieses Vertrages zu sprengen und doch der Schweiz zukommen zu lassen, was ihr gebührt. Er beeilte sich aber beizufügen: Immerhin mit dem Vorbehalte, dass die übermässigen Vorteile aus diesem Vertrage auf ein für Deutschland annehmbares Mass gebracht werden. Ich antwortete, dass wir uns selbstredend nur für unsere eigene Haut wehren; wenn die deutsche Regierung die deutsche Firma Becker vergewaltigen wolle, so sei das ihre Sache. Deshalb halte ich persönlich dafür, dass sich der Bundesrat wohl zufrieden geben würde, wenn der schweizerischen Volkswirtschaft die Vorteile, die ihr durch den Becker-Vertrag zugesichert seien, auf anderem Wege zugeführt werden; die Schwierigkeit werde darin bestehen, dass man sich über den Umfang dieser Vorteile einige und dass ein Weg gefunden werde, der sicher zu diesem Ziele führen müsse. Simson bestätigte diese Schwierigkeit, sprach dann noch von «dem unkorrekten Verhalten der Stahlwerke Becker» und bezeichnete die Behauptung, dass das Geld für die Rekonstruktion der Zeche Präsident nur in der Schweiz zu finden gewesen sei, als eine Unwahrheit, indem die benachbarten Zechen mit Vergnügen bereit gewesen wären, das nötige Geld zu beschaffen, worauf ich antwortete: Das glaube ich wohl, aber Sie kennen ja das ebenso derbe als wahre Wort: Nur die allergrössten Kälber wählen ihre Metzger selber!
Schliesslich sagte mir Simson: Sie haben davon gesprochen, dass man es in der Schweiz als Unfreundlichkeit empfinden würde, wenn der Vertrag Becker nicht anerkannt und eingehalten würde; darf ich dem entgegenhalten, dass gewiss auch die deutsche Regierung berechtigt wäre, es als Unfreundlichkeit zu empfinden, wenn die Schweiz ihr nicht behülflich sein wollte, sich aus einer Lage zu befreien, die sie als rechtlich, wirtschaftlich und politisch unerträglich und unhaltbar betrachtet.
Sie ersehen aus dieser Aussprache, dass die deutsche Regierung um jeden Preis den bestehenden Vertrag aus der Welt schaffen will, um ihn durch eine neue Abmachung von Staat zu Staat zu ersetzen, und dass sie nach einem gangbaren Wege sucht, um der Schweiz die Vorteile hinsichtlich der Kohlenlieferung, welche sich aus dem Vertrage ergeben, mehr oder weniger zu sichern. Ich halte dafür, dass wir keinen Grund haben, einer Lösung in diesem Sinne grundsätzlich ablehnend gegenüber zu treten. Immerhin wird es taktisch richtig sein, wenn wir vorderhand an unserem primären Standpunkte festhalten, wobei ich persönlich freilich die Ansicht vertrete, dass der Protest nach aussen von dem dringenden Wunsche nach innen beseelt sein sollte, zu einer Lösung zu kommen, wie sie die deutsche Regierung in Aussicht zu nehmen scheint. Wir würden auf diesem Wege vielleicht keine so glänzende, aber eine viel gesichertere und dauerhaftere Stellung erhalten.
Am Schlüsse unserer Aussprache bemerkte ich Herrn v. Simson, es scheine mir, das Kohlensyndikat und der Herr Kohlenkommissär betrachten die Stellung nunmehr als sturmreif und bringen deshalb ihre letzten Reserven ins Gefecht, denen wir entsprechend begegnen müssten. Simson versicherte mich, dass dieses Mal die Offensive wirklich nicht vom Kohlenkommissär ausgehe, sondern dass er, Simson allein, die Verantwortung dafür übernehmen müsse, und er tue dies im vollen Bewusstsein der unangenehmen Konsequenzen, weil er nun einmal vollständig davon überzeugt sei, dass sich der Vertrag mit den höchsten Interessen des Staates nicht vertrage.
Interessant war für mich die Tatsache, dass Reichskanzler Fehrenbach, dem ich auch von der Sache sprach, unter anderem bemerkte: Es zeigen sich eben bei Behandlung dieser Frage auch starke innerpolitische Schwierigkeiten, welche mit der Tatsache Zusammenhängen, dass der frühere Finanzminister Erzberger sich in besonders intensiver Weise für die Genehmigung des Vertrages eingesetzt habe. Daraus geht hervor, dass man die Lösung des Rätsels in den Fäden sucht, welche zwischen der Leitung des Stahlwerks Becker und dem früheren Finanzminister Erzberger gesponnen worden worden sein sollen. Man rührt damit an die Vorgänge, welche im Prozesse Erzberger/Helfferich nur teilweise ihre Aufklärung gefunden haben. Es scheint sich wirklich alles gegen diesen Beckervertrag verschworen zu haben!
Nächste Woche wollen die Becker-Herren den bekannten Reichstagsabgeordneten Hue für ihre Sache in Bewegung setzen, er soll auch zu mir kommen.
Schliesslich hat mir Simson erklärt, dass er sich dafür einsetzen werde, dass die unbehinderte Kohlenlieferung nach Vertrag weiter für den Monat November und wenn nötig auch für Dezember zugestanden werde, da die Verhandlungen «zweifellos länger gehen werden, als wir voraussehen konnten».