Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ETATS
II.3 Autriche
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-II, doc. 90
volume linkBern 1984
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1245* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 521 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 34 (1919–1919) |
dodis.ch/44301
Das jüngste österreichische Rotbuch und den dazu vom Archivar Dr. Gooss verfertigten offiziellen Kommentar habe ich Ihnen durch die beiden letzten Kurriere übermittelt.
Der allgemeine Eindruck dieser Publikationen ist kein günstiger, es sei denn in sozialistisch-jüdischen und alldeutschen Kreisen. Man findet diese Publikation, welche die k.u.k.öster.ung. Regierung vom Juli 1914 und namentlich den damaligen Minister des Äusseren, Grafen Berchtold, stark belastet, sei höchst inopportun, weil die Entente wenig zwischen der monarchischen öst.ung. Regierung und der jetzigen republikanischen deutsch-österreichischen differenzieren werde, sondern einfach auch das jetzige Österreich, vielleicht mehr wie bisher, für den Kriegsausbruch verantwortlich machen werde – und dies ausgerechnet in einem Moment, wo Österreich vor der Entente auf den Knien liegt und um Kohlen und Lebensmittel betteln muss. Wie ich von sehr gut unterrichteter Seite erfahre, hat noch Dr. Bauer die Herausgabe des Rotbuches vorbereitet und den neuen Archivar des Staatsamtes für Äusseres zur Verfassung des Kommentars veranlasst; er konnte auch noch den Dr. Renner bewegen, die Veröffentlichung jetzt zu gestatten.
Wie aus der Auswahl der Dokumente und namentlich aus dem Kommentar hervorgeht, ist der von Dr. Bauer verfolgte Zweck ein doppelter: erstens einmal soll das von ihm so gehasste aber immer noch gefürchtete monarchische Regime möglichst schlecht gemacht und die Schuld am Kriege einzig ihm, seinem System und seinen Leuten aufgebürdet werden, dann aber soll zweitens hauptsächlich Deutschland entlastet werden, was aber nur auf Kosten Österreichs geschehen kann und auch wirklich geschieht. – Dr. Otto Bauer, und mit ihm manche seiner Parteigenossen, betrachten sich eben, trotz Friedensvertrag, immer noch als eigentlich zum deutschen Reiche zugehörig. Nicht nur hoffen die Sozialdemokraten von einer Anlehnung und einem baldmöglichsten Anschluss an Deutschland eine Stärkung ihrer Partei, deren Einfluss in Österreich, namentlich auf dem Lande, entschieden an Boden zu verlieren scheint, sondern Dr. Bauer schwebt hauptsächlich für seine Person eine leitende Stellung im deutschen Reiche als Ideal vor. Der Vorsteher der Sozialisierungskommission ist ein zäher Charakter, der mit einer hervorragenden Energie einen einmal gefassten Plan verfolgt. Das Loos des jetzigen Österreich als solchem ist ihm, im Grunde genommen, ziemlich gleichgültig; Partei-Interessen und persönlicher Ehrgeiz sollen die ihn leitenden Motive sein. Im übrigen scheinen die Sozialisten auch die Vorstellung zu hegen, dass sie sich durch ein Abschieben der Verantwortung für den Krieg auf die monarchistischen Aristokraten- und Bourgeoisregierungen bei den Sozialisten der Ententeländer einschmeicheln können, um im Rahmen der Internationale ihre ehemalige Stellung wiederzuerringen.
In Ententekreisen scheint das Rotbuch keine ungeteilte Anerkennung zu finden, besonders nicht bei den Franzosen, in deren Politik eine Entlastung Deutschlands auf Kosten Österreichs keineswegs passt. So sagte mir denn auch Herr Allizé, die Energie und Konsequenz, welche Berchtold z.B. in den beiden Ministerräten vom 7. & 19. Juli bewiesen habe, passe so wenig zu seinem Charakter, dass unbedingt angenommen werden müsse, es sei ihm vorher deutscherseits das Rückgrat gestärkt worden. Man werde übrigens, glaubt er, demnächst Dokumente publizieren können, welche beweisen, dass Berchtold vom damaligen deutschen Botschafter von Tschirschky genau instruiert und inspiriert gewesen sei.
Von einer dem Kommandanten der neuen ungarischen Armee, Admiral Horthy (ehemaliger Vertreter der Marine beim Kaiser), nahestehenden Persönlichkeit erfahre ich, dass diese Macht bereits einen Bestand von 50000 Mann habe und wohlbewaffnet sei. Waffen und Munition seien von den Italien ern geliefert worden, die auch die Kroaten, deren Verhältnis zu Serbien ein immer gespannteres wird, mit Waffen versehen. Früher, als er noch bei der Arad er Zwischen- oder Nebenregierung tätig war, hatte Horthy wohl Mannschaften rekrutieren, aber von der Entente beinahe keine Waffen erhalten können, weil die Rumänen jegliche ungarische Armee fürchten; jetzt unterstützen die Italien er die Armee der Regierung Friedrich und die dissidenten Kroaten wie früher die bolschewistische Regierung, weil es in ihre Balkan- und Adria politik passt.
Mein Gewährsmann behauptet zwar, dass die Armee Horthys nicht zu einem Feldzug gegen die Rumänen Verwendung finden solle, trotz der vandalischen Aufführung der letzteren, die alles rauben und verschleppen; sie soll zunächst, sobald die Rumänen Budapest verlassen, nur die Hauptstadt besetzen und dort die Ruhe und Ordnung aufrechterhalten; an einen Krieg gegen Rumänien sei jetzt nicht zu denken. Ob die Tschechen die ungarischen Rüstungen gerne sehen, möchte ich bezweifeln, sicher ist, dass in der Slovakei die antitschechische Stimmung an Boden gewinnt. «Was den Ungarn im Laufe von einem Jahrtausend nicht gelungen ist, nämlich bei den Slovaken ungarischen Patriotismus zu wekken, haben die Tschechen in einem Jahre zustande gebracht, sie sind in der Slovakei mehr gehasst als es die Magyaren je gewesen sind» sagte mir der obenerwähnte Gewährsmann.
Obschon von der Entente nicht anerkannt, hält sich jetzt seit Wochen die Regierung Friedrich in Budapest. Die Entente ist eben auch darin keineswegs einig, wer in Ungarn ans Ruder kommen soll. Nachdem die Engländer mit Bela Kun zu unterhandeln versucht hatten, sollen sie jetzt einer Monarchie mit einem englischen Prinzen an der Spitze nicht abhold sein. Als Kandidat des Obersten Cunningham wird ein Prinz v. Teck (welcher von beiden weiss ich noch nicht), Bruder der Königin von England, genannt. Italien hat seinen bisherigen Gesandten, den Prinzen Livio Borghese, der sich mit der Bolschewiken-Regierung stark kompromittiert hatte, abberufen, an seine Stelle kommt ein Marchese della Torretta.
- 1
- E 2300 Wien, Archiv-Nr. 34.↩
Tags