Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ETATS
II.4 CHINE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-II, doc. 72
volume linkBern 1984
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.36-07#1000/1741#76* | |
Dossier title | Friede, Korrespondenz (1918–1921) | |
File reference archive | III.5 |
dodis.ch/44283
Mit Telegramm No. 30 vom 7. September2 erlaubte ich mir, Sie auf eine Auslegung des Präsidenten der Worte «to respect and preserve as against external aggression territorial integrity and existing political independence» aufmerksam zu machen, die mir unverständlich erscheint und angesichts des Gewichtes der Persönlichkeit ein gefährliches Präjudiz schaffen könnte, an dessen Richtigstellung die kleinen Länder m.E. ein vitales Interesse haben dürften. Die Äusserung des Präsidenten fiel in der gemeinschaftlichen Sitzung mit der Senatskommission für auswärtige Angelegenheiten und findet sich im Protokoll dieser Sitzung (Einvernahmen der Senatskommission, Part 10, Seite 540). Sie wiederholt sich mit aller Schärfe in einer Rede, die der Präsident auf seiner Redetour in St.Louis3 gehalten hat und die in inliegendem Zeitungsausschnitt4 wiedergegeben ist.
In der ebenfalls beiliegenden5 bekannten politischen Wochenschrift «The New Republic», die bis zum Beginn der Friedenskonferenz sehr präsidentenfreundlich war, seit den Pariser Ereignissen aber sich mit zunehmender Schärfe gegen ihn wendet, und deren Hauptredaktor der bekannte Walter Lippmann ist, der unter Oberst House an den amerikanischen Vorbereitungsarbeiten für die Friedenskonferenz eine nicht untergeordnete Rolle spielte, finden Sie einen Artikel, der gegen diese Auslegung des Präsidenten scharfen Protest erhebt, unter Hinweis auf den Einfall Deutschlands in Belgien. In der Tat wäre nach der Auslegung des Präsidenten eine Verletzung der Pflichten aus Art. X mit einem solchen bewaffneten Einfall nicht verbunden, da ja nach der ausdrücklichen Erklärung des Reichskanzlers Deutschland damals jede annexionistische Absicht ablehnte. Ebensowenig wäre in einem solchen Falle die Pflicht der ändern Ligamitglieder gegeben, dem überfallenen Staate zu Hilfe zu eilen. Unbestimmt bleibt die Frage, wann der Zeitpunkt eintritt, in welchem nach Auffassung des Präsidenten der Wille des einfallenden Staates zum Verbleiben oder zur Annexion von Gebieten erkenntlich sein soll.
Ich habe mit Mr. Lansing über diese Auslegung gesprochen und ihn um seine Ansicht gebeten. Er war darüber selbst sehr erstaunt, bemerkte, dass er noch von keiner ändern Seite hierauf aufmerksam gemacht worden sei und dass er sie sich in der Tat nicht erklären könne.
Die Auslegung sei seines Erachtens entschieden gefährlich, und es dürfte sich eventuell empfehlen, darauf näher zurückzukommen. Er sprach die Vermutung aus, dass der Präsident vielleicht an die Verhältnisse in Mexico gedacht habe, die ja die Vereinigten Staaten von Zeit zu Zeit zu einem militärischen Spaziergang in dieses Land veranlassen, um Leben und Eigentum amerikanischer Bürger gegen mexikanische Räuberbanden zu schützen. Das Recht solcher vorübergehender Eingriffe, die nicht in aggressivem, sondern in rein defensivem Sinne erfolgten, müsse natürlich jedem Staat gewahrt werden gegenüber einem ändern Staat, der nicht in der Lage sei, Leben und Eigentum der Ausländer zu schützen. Er gab zu, dass natürlich auch diese Unterscheidung zwischen aggressiver und defensiver Intervention die Gefahr des Missbrauchs in sich schliesse. Man denke z.B. an die Wiederholung eines Italienerkrawalls in Zürich, der Italien Gelegenheit geben könnte, zum Schutze seiner Angehörigen Truppen «in defensiver Absicht» in die Schweiz einmarschieren zu lassen.
Ausser Lansing interpellierte ich auch den Führer der demokratischen Senatsfraktion, Senator Hitchcock, der mit dem Präsidenten in fortwährender Fühlung steht. Auch er konnte mir keine erschöpfende Aufklärung geben. Er meinte, der Präsident habe damit offenbar beweisen wollen, dass die Verpflichtung der Ligamitglieder aus Artikel X durchaus nicht schon durch blosse Grenzverletzungen gegeben sei, wie sie z.B. auf dem Balkan ja alle Augenblicke Vorkommen. Er wollte damit der Auffassung der Gegner dieses Artikels entgegentreten, die behaupteten, dass angesichts der zahlreichen Zänkereien einzelner Völker die Pflicht der bewaffneten Intervention der Vereinigten Staaten sozusagen dauernd vorhanden sei.
Ebensowenig waren zwei republikanische Senatoren, worunter der berühmte Präsident des Committee on Foreign Relations, Senator Lodge, in der Lage, mir eine Erklärung zu geben. Beiden war die Auffassung des Präsidenten völlig unverständlich. Senator Lodge bediente sich einer ziemlich despektierlichen Äusserung.
Es ist allerdings richtig, dass die in Art. XVI angedrohte wirtschaftliche Massregelung im allgemeinen genügen dürfte, um einen Staat vor abruptem Einfall in ein anderes Land abzuhalten. Das gilt aber nur solange, als sich dieser Staat nicht mächtig genug fühlt, den wirtschaftlichen Boykott durchzuhalten. Was heute ausgeschlossen erscheint, das kann in einigen Jahrzehnten sehr wohl zur Wirklichkeit werden.
Ich hielt die Angelegenheit für wichtig genug, um sie Ihnen zur Kenntnis zu bringen. Sie ist nur eine weitere Bestätigung dafür, dass der Wortlaut der Ligastatuten an Klarheit zu wünschen übrig lässt, trotz der Behauptung des Präsidenten, dass ein klareres und besseres Englisch überhaupt nicht geschrieben werden könne.
Ich erwarte Ihre Ansichtäusserung und allfälligen Instruktionen.
- 1
- Lettre: E 2200 Washington 11/5.↩
- 2
- Ce télégramme contient le passage suivant: [...] Es wird an genannter Stelle von Wilson die Auffassung vertreten, ein bewaffneter Einfall in das Gebiet eines ändern Landes komme an sich noch keiner Verletzung der territorialen Integrität im Sinne des Art. 10 der Völkerbundstatuten gleich, sondern erst wenn Gebiete vom einfallenden Staat besetzt behalten oder annektiert werden, sei eine solche Verletzung vorhanden.[...] (E 2001 (B) 1/81).↩
- 3
- Le télégramme no 30 rapporte un extrait du discours du Président Wilson à St-Louis: [...] Dadurch, dass ich Ihren Hof betrete, wird dessen politische Integrität nicht verletzt, doch verletze ich sie sehr, wenn ich mich weigere, wieder hinauszugehen. [...] ( E 2001 (B) 1/81).↩
- 4
- Non reproduits.↩
- 5
- Non reproduits.↩