Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 60
volume linkBern 1979
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7350#1000/1104#157* | |
Dossier title | Verhandlungen mit dem Ausland betr. Kohlenlieferungen in die Schweiz: Deutschland, England, Belgien und Frankreich (1914–1918) | |
File reference archive | 5.3.05 |
dodis.ch/43805 Le Ministre de Suisse à Berlin, Ph. Mercier, au Chef du Département de l’Economie publique, E. Schulthess1
Bezugnehmend auf meine telegraphische Anfrage vom 5. ds. Mts. und die Rückäusserung der Abteilung für Auswärtiges vom 10. ds. Mts. betr. Fühlungnahme mit Herrn Hugo Stinnes beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, dass ich Herrn Stinnes am 12. ds. Mts. Abends empfangen habe. Aus dieser Unterredung geht folgendes hervor:
Obschon nach den Bestimmungen des Waffenstillstandsvertrages das Privateigentum ausdrücklich geschützt ist (vgl. Vertrag + A VI «... dem Eigentum der Einwohner darf kein Schaden oder Nachteil zugefügt werden...»)1 und obschon Deutschland nicht ausdrücklich zur Abgabe von Kohle an die Alliierten verpflichtet ist mit Ausnahme der Kohlenlieferungen für den Betrieb der Verkehrsmittel auf dem linken Rheinufer (Vertrag A VII und Zusatznote Nr. 2, IV, e)2 ist heute keine Kohle für Deutschland und für die Schweiz aus den besetzten Gebieten zu bekommen. Marschall Foch hat nach Aussage Stinnes’ durch General Nudant ausdrücklich erklären lassen, dass nur Kohle für Heeresbedarf und für die Eisenbahnen des besetzten Gebietes verlangt werde. (Die Entente soll nach dem Sinne des Vertrages zur selbständigen Kohlenrequisition nur berechtigt sein, falls Deutschland die ausbedungenen Mengen nicht liefert; man hat deutscherseits den Eindruck, als ob die Entente durch die Besetzung und Absperrung die deutsche Lieferung verunmögliche, um sich einen Rechtstitel für die Requisition zu schaffen). Da Stinnes den Jahresbedarf der Eisenbahnen im besetzten Gebiet auf eine Million Tonnen Kohle schätzt (der Bedarf für die Besatzungsarmee spielt bei der Menge der Förderung keine Rolle), die Kohlenförderung im besetzten Gebiet aber viel grösser ist, vermutet Stinnes, dass entgegen der oben erwähnten Erklärung des General Nudant lothringische Kohle unter Verletzung der deutschen Privatrechte an den Bergwerken nach Frankreich und Italien geführt werde. Es sei lediglich diesen vertragswidrigen Handlungen zuzuschreiben, dass die süddeutschen Bundesstaaten und die Schweiz trotz der bestehenden Verträge keine Kohle erhalten können.
In Anbetracht dieser Sachlage hält Stinnes es für geboten, dass die Schweiz in sehr energischer Weise von der Französischen Regierung zu Händen von Marschall Foch verlange, dass der Waffenstillstandsvertrag von der Entente, insbesondere von den Franzosen, so vollzogen wird, dass die von den Deutschen mit der Schweiz abgeschlossenen Kohlenlieferungsverträge eingehalten und ausgeführt werden können.
Von dieser energischen Demarche bei der Entente sollte dann die Schweiz der Deutschen Regierung mit tunlichster Beförderung Kenntnis geben und hiebei von der Deutschen Regierung verlangen, dass sie ihrerseits durch die Waffenstillstandskommission (unter dem Drucke der Schweiz) im gleichen Sinne bei der Entente vorstellig werde. Zur Einleitung und kräftigen Unterstützung dieser Aktion hält Stinnes es für geboten, dass in der schweizerischen Presse energisch Lärm geschlagen wird, dass die Kohlenlieferungen durch die Franzosen verunmöglicht werden. Insbesondere sollte die westschweizerische Presse hiefiir benützt werden, da diese bei den Franzosen am meisten Gewicht hat. In Berlin würde dann dafür gesorgt, dass die Äusserungen der schweizerischen Presse auch in die deutsche Presse übergehen.
Stinnes erwartet, dass auf Grund energischer Vorstellungen der Schweiz in der vorgeschlagenen Weise insbesondere auf die Unterstützung von England und Amerika zu rechnen sei, da diese Staaten bisher immer auf dem Standpunkt gestanden haben, dass das Privateigentum und bestehende Verträge berücksichtigt werden sollen.
Aus innerpolitischen Gründen steht heute (infolge der Opposition der unabhängigen Sozialdemokraten) noch nicht fest, ob Stinnes wieder zur deutschen Waffenstillstandskommission in Trier abgeordnet werden wird. Er würde aber auf jeden Fall, eventuell also von Berlin aus, ein Vorgehen der Schweiz im oben skizzierten Sinne durch seinen persönlichen Einfluss in Trier unterstützen.
Im weitern Verlauf der Unterredung äusserte sich Stinnes ausserdem dahin, dass auch im Ruhrgebiet ein erheblicher Ausfall der Kohlenförderung zu konstatieren sei (Arbeiterwirren, welche nach Zeitungstelegramm vom 13.XII noch im Steigen begriffen sind, Transportschwierigkeiten aller Art). Trotzdem hält er es für möglich, bei Unterstützung durch die Besatzungsarmee Koks von der Ruhr per Rheinkahn bis Mannheim oder Kehl zu befördern und dort durch komplete, durch die Schweiz gestellte Züge, abholen zu lassen (laut Zusatznote Nr. 2,1 untersteht der Rheinverkehr der vollen, unbeschränkten Autorität des Höchstkommandierenden der alliierten Heere. Nach den neuesten Besprechungen der interalliierten Schiffahrtskommission (Wolffs Telegr. 13. XII) ist der Rheinverkehr mit dem Ausland wieder zugelassen und insbesondere Veranlassung zur Freigabe aller festg haltenen Kohlenschiffe getroffen.)