Vorschlag zur Koordination der kulturellen und geistigen Hilfe in Deutschland. Sich nicht auf die politische Linie der Besatzungsmächte begeben. Gefahr der Verzettelung der Hilfsaktionen: Schaffung eines Koordinationsausschusses für kulturelle Hilfsaktionen in Deutschland und Österreich.
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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 17, doc. 48
volume linkZürich/Locarno/Genève 1999
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001E#1000/1571#1048* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(E)1000/1571 84 | |
Titolo dossier | Kulturelle Deutschlandhilfe. Koordination (1945–1948) | |
Riferimento archivio | B.38.21.1.01 • Componente aggiuntiva: Deutschland |
dodis.ch/4360
Ich kann mich kurz fassen, um Ihnen die Auffassung des Politischen Departements, soweit es sich mit den Fragen des zwischenstaatlichen kulturellen Austausches überhaupt zu befassen hat, bekannt zu geben.
Über die Notwendigkeit der Wiederaufnahme kultureller und geistiger Beziehungen zu Deutschland brauche ich mich nicht zu verbreiten. Sie alle geben sich über diesen Aspekt des Problems Rechenschaft. Die Tatsache, dass Sie sich persönlich der geistigen Hilfe an Deutschland widmen und daher auch zu dieser Konferenz erschienen sind, zeigt, dass Sie die Frage positiv beantworten.
Auch über das eigentliche Traktandum der heutigen Sitzung, d. h. über die Frage der Zweckmässigkeit, der Wünschbarkeit oder der Notwendigkeit einer besseren Koordinierung der zahlreichen geistigen Hilfsaktionen zu Gunsten Deutschlands, die gegenwärtig in der Schweiz im Tun sind, werden Sie nicht in erster Linie die Vertreter der Bundesverwaltung zu vernehmen wünschen. Es liegt uns auch fern, Ihnen zu diesem Punkt irgendeine amtliche Auffassung aufdrängen zu wollen. Wir betrachten diese Frage vielmehr in erster Linie als Ihr Problem und nicht etwa als solches der Verwaltung.
Wenn der Sprechende trotzdem, infolge seiner Unterschrift auf der Einladung, gewissermassen zu den Initianten der heutigen Zusammenkunft gehört, so deshalb, weil er darum gebeten wurde. Dies kam daher, weil wir uns seit etwa zwei Jahren von Amts wegen mit dieser oder mit jener geistigen Hilfsaktion oder Initiative zur Wiederaufnahme des kulturellen Austausches zwischen der Schweiz und Deutschland zu befassen hatten, indem das Politische Departement von den Interessenten entweder um Rat oder um diplomatischen Beistand angegangen worden war. Dieser Umstand hat uns auch in die Lage versetzt, auf Grund der uns zur Verfügung stehenden Dokumentation eine zusammenfassende Notiz über das recht komplizierte und vielschichtige Gebiet der «Geistigen Hilfe der Schweiz an Deutschland» auszuarbeiten. Sie alle haben diese Notiz, die natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben konnte, gleichzeitig mit der Einladung zur heutigen Konferenz erhalten3.
Die Frage einer Koordinierung der geistigen Hilfsaktionen an Deutschland hat sich, wie den meisten von Ihnen bekannt sein dürfte, seit Kriegsende wiederholt gestellt. Es wurden auch schon verschiedene Koordinationsversuche unternommen. So seinerzeit durch die Schaffung einer «Schweizerischen Kommission für Deutschlandhilfe» sowie durch die «SchweizerischeBücherhilfe»4, um nur diese beiden Beispiele zu nennen. Auf parlamentarischem Boden wurde das Problem der geistigen Deutschlandhilfe und ihrer Koordinierung im Sommer 1946 durch eine Interpellation von Herrn NationalratBoerlin aufgeworfen5. Diese Interpellation gab dem Bundesrat die Möglichkeit, Erklärungen darüber abzugeben, wie sich die schweizerische Regierung zu diesen Fragen stellt. Die Erklärungen, die der Vorsteher des Politischen Departements, BundesratPetitpierre, am 17. Dezember 1946 vor dem Nationalrat abgab6, behalten in allen wesentlichen Punkten Gültigkeit.
Man kann aus jener Antwort folgendes festhalten:
a) Die allgemeinere Frage der Wünschbarkeit und Notwendigkeit einer schweizerischen geistigen Hilfe an Deutschland wurde vom Vorsteher des Politischen Departements bejaht.
b) Über die Gestalt, die diese Hilfe annehmen sollte, d. h. über die Form, in der sie sich dem deutschen Volke gegenüber zu äussern habe, erklärte BundesratPetitpierre:
«Il ne faut pas que l’aide spirituelle de la Suisse à l’Allemagne soit comme un élément accessoire de l’occupation. Elle manquerait son but si le peuple allemand jugeait que la Suisse n’agit pas spontanément, mais s’associe à la politique des puissances occupantes. Toute équivoque doit être écartée: il n’y a aucune arrière-pensée politique en nous; nous ne songeons pas à imposer notre aide intellectuelle et spirituelle, nous l’offrons à l’Allemagne; c’est à elle à savoir si elle veut l’accepter.»
Die Schweiz soll also weder Handlangerdienste der Besatzungsbehörden leisten, noch ihre Hilfe der deutschen Bevölkerung irgendwie aufdrängen. Ich glaube, dass auch über diese beiden Punkte unter den hier Anwesenden Übereinstimmung herrscht.
c) Was die Frage einer alltäglichen «offiziellen» geistigen Hilfe der Schweiz an Deutschland anbelangt, so wurde diese vom Vorsteher des Politischen Departements aus politischen und aus finanziellen Gründen eher verneint:
«Sur un plan plus général, le Conseil fédéral pense qu’il ne peut pas prendre la direction d’une action de secours, mais qu’en revanche, le Département politique, d’entente avec le Département de l’Intérieur, doit faciliter, dans la mesure du possible, la reprise d’échanges culturels et scientifiques.»
Und weiter:
«Pour le surplus, il nous semble que l’aide spirituelle à l’Allemagne est avant tout l’affaire des institutions privées qui s’y sont intéressées jusqu’à présent, ou d’institutions officielles comme les universités pour ce qui concerne plus spécialement la science et les échanges culturels.»
Auch in diesen Punkten hat sich die Auffassung des Politischen Departements seither nicht geändert. Es ist nach wie vor die Meinung, dass gemäss der schweizerischen Tradition und unserer innenpolitischen Struktur der Antrieb zum kulturellen und geistigen Beistand an Deutschland vorab von privaten schweizerischen Kreisen und den wohltätigen oder kulturellen Organisationen ausgehen muss: «Dans le domaine de l’esprit et de la culture», erklärte BundesratPetitpierre noch, «il faut en tout cas éviter une concentration, une centralisation.»
Eine grossangelegte geistige Hilfe an Deutschland von Bundesseite her, gleichsam eine offizielle Ankurbelung der kulturellen Beziehungen, kommt somit nicht in Frage.
Dasselbe gilt, aus den gleichen Erwägungen, von der Koordinierung der zurzeit im Gange befindlichen oder geplanten geistigen Hilfsbestrebungen. Darüber, ob eine Koordinierung wünschbar, möglich und tragbar ist, müssen unseres Erachtens nicht die Verwaltung, sondern die interessierten Organisationen und Persönlichkeiten selber und spontan entscheiden. Und falls Sie zur Auffassung gelangen, dass eine Koordinierungsstelle, mit mehr oder weniger grossen Kompetenzen, rationell und zweckmässig wäre, so müsste dieses Organ von den beteiligten Kreisen ins Leben gerufen und bestellt werden. In jedem Falle haben wir von Anfang an den Standpunkt vertreten, dass aus Gründen verschiedenster Art diese Koordinierungsaufgabe nicht von einem Dienstzweig des Politischen Departements übernommen werden könnte noch dürfte.
Nachdem dies klargestellt ist, wird man von uns vielleicht trotzdem noch wissen wollen, wie wir über die Koordinierungsfrage denken, ob wir eine solche Lösung an sich begrüssen würden oder nicht.
Hierauf kann ich antworten, dass wir aus unserer Tätigkeit den Eindruck erhielten, dass die Gefahr einer allzugrossen Zersplitterung der schweizerischen geistigen Hilfsmassnahmen zu Gunsten Deutschlands tatsächlich besteht. Gerade die Mithilfe an der Organisierung der heutigen Zusammenkunft gab uns Gelegenheit, einmal mehr festzustellen, wie viele und wie verschiedenartige Stellen und Personen auf diesem Gebiete tätig sind, und wie wenig die einen oft zu wissen scheinen, was die andern überhaupt tun oder planen. Dieser Zustand kann sich nachteilig auswirken, weil derart die an sich ohnehin beschränkten schweizerischen Mittel allzusehr aufgespaltet werden; die Zusammenfassung gewisser gleich gerichteter Initiativen, oder wenigstens ihre vermehrte Abstimmung aufeinander, könnte öfter einen leichteren und einen grösseren Erfolg verbürgen. Andererseits ist zu bedenken, dass man, um in Deutschland überhaupt etwas unternehmen zu können, in fast allen Fällen auf die Billigung oder gar auf die Unterstützung der Besetzungsmächte angewiesen ist. Diese Besetzungsmächte zögen es natürlich vor, statt mit 10 oder 20 verschiedenen Organisationen oder Personen verkehren zu müssen, sich an eine einzige Stelle halten zu können, die ihnen wenn möglich auch eine gewisse Gewähr für die Vertrauenswürdigkeit der Bestrebungen bieten würde. Wenn für uns in der Schweiz die private Initiative auf dem Gebiete des Geisteslebens und der Hilfstätigkeit eine Selbstverständlichkeit ist, so kann man dasselbe Verständnis kaum von den Funktionären zentralisierter, stark nach militärischen Grundsätzen arbeitender ausländischer Besetzungsapparate erwarten.
Ich komme daher zum Schlusse, indem ich zusammenfasse:
1) Die Frage, ob eine Koordinierung stattfinden soll, haben in erster Linie die hier vertretenen Organisationen und Persönlichkeiten zu entscheiden7.
2) Eine Koordinierung durch eine amtliche Stelle, etwa des Politischen Departements, könnte aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Frage kommen.
3) Da eine verständige und geschmeidige Koordinierung aber zweifelsohne manche Vorteile böte, wären wir bereit, einer allenfalls zu schaffenden Koordinationsstelle nach Möglichkeit unseren Beistand zu leihen8; es könnte dies geschehen, indem wir, wenn es gewünscht wird, auch in Zukunft unsere politischen oder diplomatischen Mittel zur Verfügung halten, um gewisse Türen zu öffnen und um den Verkehr, sei es mit den Besetzungsmächten oder sei es auch mit deutschen Behörden, zu erleichtern, und so die schweizerischen geistigen Hilfsbestrebungen in Deutschland zu unterstützen.
- 1
- G. Keel hielt diese Rede anlässlich der Konferenz für eine Koordination der geistigen Deutschlandhilfe vom 15. Januar 1948. An der Konferenz waren u. a. folgende Personen anwesend: F. T. Wahlen, H. Oprecht, W. Bretscher, R. Olgiati, E. de Haller, vgl. Präsenzliste der Konferenz. Nicht abgedruckt.↩
- 2
- (Kopie): E 2001(E)-/1/84.↩
- 3
- Vgl. die Notiz betreffend die geistige Hilfe der Schweiz an Deutschland vom 3. November 1947. Nicht abgedruckt (dodis.ch/5580).↩
- 4
- Zur Schweizer Bücherhilfe vgl. E 2001(E)-/1/85.↩
- 5
- Die Interpellation von E. Boerlin zur Frage der Haltung der Bundesbehörden zur kulturellen Deutschlandhilfe und zu deren Koordination wurde am 24. Juni 1946 im Nationalrat eingereicht, vgl. NR-Prot. vom 18. Dezember 1946, E 1301(-)-/ I/376, S. 613–624, vgl. auch E 2001(E)-/1/85.↩
- 6
- Vgl. NR-Prot. vom 18. Dezember 1946, E 1301(-)-/ I/376, S. 613–624, die Begründung der Interpellation durch E. Boerlin sowie die Antwort von M. Petitpierre wurden erst in der Sitzung vom 18. Dezember 1946 vorgetragen.↩
- 7
- Die Teilnehmer schufen an der Konferenz vom 15. Januar 1948 den «Schweizerischen Ausschuss der kulturellen Hilfsaktionen für Deutschland und Österreich», dessen genaue Organisation aber erst im Juli 1948 definiert wurde, vgl. E 2001(E)1967/113/821.↩
- 8
- Am 19. März 1948 stellte der BR dem Koordinationsausschuss für kulturelle Hilfsaktionen in Deutschland und Österreich 20’000 Fr. zur Verfügung und sprach für die Schweizer Spende einen Kredit von 330’000 Fr., wobei 230’000 Fr. für die « SchweizerBücherhilfe» und 100’000 Fr. für den «Vortragsdienst» reserviert waren, vgl. BR-Prot. Nr. 709 vom 19. März 1948, E 1004.1(-)-/1/491, (dodis.ch/2798). Zum Vortragsdienst für deutsche Kriegsgefangene vgl. E 2001(E)-/1/85.Vgl. auch DDS, Bd. 17, Dok. 66, dodis.ch/4424.↩
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Austria (Politica) Relazioni culturali