Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 246
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E27#1000/721#13561* | |
Old classification | CH-BAR E 27(-)1000/721 2807 | |
Dossier title | Zusammenarbeit zwischen der schweizerischen und französischen Armee bei einem deutschen Angriff auf die Schweiz (1916–1918) | |
File reference archive | 06.H.3.e.2 |
dodis.ch/43521
Aide-Mémoire du Chef de l’Etat-Major Général de l’Armée suisse, Th. von Sprecher1
Im Empfangszimmer des Generalstabes:
Oberst Morier, französischer Militär-Attaché, mit mir.
Oberst Morier hatte sich gestern angekündigt, worauf ich ihm die Stunde von 11 Uhr angab. Er war gestern (?) bei Bundesrat Hoffmann gewesen, um ihm, gleich wie der Botschafter es getan hatte, die französischen Befürchtungen wegen eines deutschen Durchbruches durch die Schweiz gegen Frankreichdarzulegen. Bundesrat Hoffmann hatte ihn an mich gewiesen.
Er sagt ungefähr folgendes: Ob die Zentralmächte nach Abschluss des rumänischen Feldzuges sich gegen Ägypten, Saloniki, Odessa, Italien oder wo sonst hin wenden werden, wisse er nicht; keine dieser Operationen aber könne eine Entscheidung bringen; dies sei nur von einem Siege im Westen zu erwarten. Den Durchbruch an der französischen Front aber halte er für ausgeschlossen; gegenwärtig allerdings auch gegenüber Deutschland; aber bis im Frühjahr kann sich das ändern. Deutschland sei einzig darauf angewiesen, den Sieg durch Umfassung der Gegner zu erlangen, das führe zum Durchbruch durch die Schweiz, da ein Angriff durch Nordfrankreich Richtung Kanal für Deutschland unmöglich sei. Gegenwärtig allerdings seien darauf hinzielende Vorbereitungen seitens der Zentralmächte nicht festzustellen. Er war aber überzeugt, dass bis zum Frühjahr 1917 Deutschland eine Armee von 600000-800000 Mann dafür bereitstellen könne. Diese Bereitstellung könne (was zuzugeben ist) ziemlich weit von der Südgrenze Deutschlands vorgenommen werden, da mit den heutigen Beförderungsmitteln der Her antr an sport auch aus 200 und mehr Kilometer Entfernung sehr rasch zu bewerkstelligen sei. Er frägt an, ob wir militärisch noch auf demselben Boden ständen wie zur Zeit der Unterredung2 mit dem Herrn Oberst Dupont und Oberstleutnant Raynouard, was ich ihm bestätigte. Er könne versichert sein, dass wir einem Durchmarsch durch unser Land uns mit aller Macht entgegenstellen würden. Auch bestätigte ich ihm unsere Absicht, uns nicht getrennt schlagen zu lassen, sondern soweit zurückgehen zu wollen unter Verlangsamung des deutschen Vorgehens, um es erst nach Vereinigung mit den französischen Hilfskräften zum entscheidendem Kampf mit der deutschen Einbruchsarmee kommen zu lassen.
Er regt sodann meine Ergänzung der früheren Abrede in folgendem Sinne an:
1° Möglichste Beschleunigung des Herantransportes der französischen Armee, die sich mit uns vereinigen soll. Automobile und Rollmaterial der Bahnen hätten sie genug zur Verfügung. Ich erklärte ihm: Dies entspreche ganz unserem Wunsch, da wir ein Interesse daran hätten, nicht mehr schweizerisches Gebiet preiszugeben, als es zu oberwähntem Zwecke unvermeidlich sei; Frankreich möchte aber die Konzentration nicht in der Nähe der Grenze vornehmen, um Beunruhigung in unserm Land zu vermeiden und um die Deutschen nicht vorzeitig aufmerksam zu machen.
2° Vermehrte Bereitstellung von schwerer Artillerie zuhanden unserer Armee. (Einverstanden.)
3° Bereitstellung von Munitionen für unsere 15-cm-Haubitze, von denen Frankreich eroberte Stücke besitzt. (Von mir angeregt.)
4° Bezeichnung der Offiziere, die als Vertreter ins verbündete Hauptquartier abgesandt würden. Als erstes wäre seitens Frankreich Oberst Morier selbst in Aussicht zu nehmen. Auch wir würden diese Offiziere bezeichnen, ihre Namen aber als geheim in den Mobilisierungsakten behalten. NB: Französische Offiziere mit guter Kriegserfahrung.
(Betr. Kriegserfahrung und Wert von Artillerie und Munition bemerkt Oberst Morier nebenbei, dass dank der überwältigenden Artillerie-Wirkung die französischen Verluste bei dem letzten gelungenen Vorstoss von Verdun, alle Verwundeten inbegriffen, nur zwischen 3000-4000 Mann betragen haben und bei 10000-12000 feindlichen Gefangenen ca. 3% feindliche Verluste.) Im allgemeinen bestätige ich Herrn Morier die frühere Abrede, wonach erst und allein auf unser Verlangen französische Kräfte in die Schweiz einrücken dürfen. Ferner erkläre ich ihm, dass wir einstweilen gar keine Anhaltspunkte dafür hätten, dass die Deutschen eine solche Unternehmung, wie er sie vermute, beabsichtigen. Die materielle Möglichkeit davon gebe ich ihm zu, mehr nicht.
(In Wirklichkeit halte ich es für ausgeschlossen, dass Deutschland entgegen seinen dem Politischen Departemente und vorher schon mir abgegebenen Versprechungen, unser Gebiet verletze, wenn nicht zuvor von gegnerischer Seite eine Verletzung stattgefunden hat. Wohl im Auge zu behalten ist, ob nicht seitens der Entente ein Durchbruch geplant und vorbereitet wird [siehe meinen Bericht von Dezember 1916 und die Beilage von Oberst Egli über dasselbe Thema]. Noch heute mittag bestätigt mir Herr Bundesrat Hoffmann auf dem Herwege, dass in der Tat auch an massgebenden Stellen in Paris wie bei Minister Thomas die Befürchtung eines deutschen Durchbruchs durch die Schweiz bestimmt besteht.)
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