Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 209
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#10988* | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 01.09.-01.09.1916 (1916–1916) |
dodis.ch/43484
1836. Internierung von Familienvätern
Am 18. August überreichte der der französischen Botschaft für Internierungsfragen zugeteilte Graf Manneville dem Politischen Departemente eine Note2 betreffend Internierung gefangener Familienväter in der Schweiz, nachdem vorgängig der Botschafter im Aufträge seiner Regierung mündlich das in dieser Verbalnote ausgesprochene Gesuch dem Politischen Departemente unterbreitet hatte.
Schon vor Monaten war in schweizerischen Blättern zu lesen, dass auf die Initiative des Papstes die französische und deutsche Regierung sich verständigt haben, die gefangenen Familienväter mit mindestens drei Kindern nach 18 Monaten Gefangenschaft in der Schweiz zu internieren. Da der Bundesrat weder offiziell noch offiziös verständigt oder angefragt worden war, hat das Politische Departement die Richtigkeit dieser Zeitungsmeldungen bezweifelt.
Sie scheint aber doch einen positiven Untergrund gehabt zu haben, wenigstens wird in der französischen Note von einer durch die deutsche Regierung gutgeheissenen Anregung des Heiligen Stuhls gesprochen, dem die französische Regierung zugestimmt habe.
Neuestens wird nun das Einverständnis des Bundesrates nicht nur von der französischen Regierung, sondern auch von dem offiziösen Vertreter des Heiligen Stuhls, Monseigneur Marchetti und einem halboffiziösen Vertreter, Monseigneur Tiberghien, nachgesucht und mit grossem Nachdruck in dieser Beziehung gearbeitet, während die deutsche Regierung bis anhin noch keinerlei Schritte unternommen hat und aus den Mitteilungen der deutschen Gesandtschaft hervorgeht, dass sie sich bis anhin noch nicht gebunden zu haben scheint.
Dieses neue Internierungswerk, bezüglich dessen Ausgestaltung die Details in den vorerwähnten Noten enthalten sind, erregt grosse Bedenken.
Einmal steht es im Widerspruch zum Grundgedanken der bisherigen Internierung: Herausnahme der Kranken und Verwundeten aus den Gefangenenlagern und Versetzung in neue Verhältnisse, welche Hoffnung auf Gesundung oder Besserung erlauben. Nach dem neuen Projekt dagegen wird eine Kategorie von Gesunden, Arbeitsfähigen interniert, die nur deshalb einer besondern Behandlung teilhaftig werden, weil sie eine Familie in einem gewissen Umfange besitzen und deshalb vielleicht mehr als andere unter der Gefangenschaft moralisch leiden, was nebenbei gesagt nicht einmal sicher zutrifft.
Sodann wird die Beschäftigungsfrage bei diesen voll arbeitsfähigen Leuten natürlich eine ganz andere Rolle spielen als bei den langsam und nur zum Teil gesundenden bisherigen Internierten. Das haben denn auch die Vertreter Frankreichs und des Heiligen Stuhls eingesehen, und sie suchen dem Einwand dadurch zu begegnen, dass sie von vornherein eine Organisation der Arbeit mit aus Frankreich eingeführten Rohstoffen und für ausschliesslich französische Rechnung in Aussicht nehmen. Eine solche Organisation, die dann natürlich auch für die deutschen Internierten vorgesehen werden müsste, bietet aber erhebliche Schwierigkeiten.
Die Frage der Unterbringung will dadurch gelöst werden, dass auf Rechnung der fremden Staaten Barackenlager errichtet würden. Abgesehen davon, dass auch dies nicht so einfach sein dürfte, so entsteht dann der sonderbare Widerspruch, dass die arbeitsfähig gewordenen Internierten der ersten Kategorie einer ändern Behandlung unterworfen werden als die Arbeitsfähigen der zweiten Kategorie. Nur nebenbei sei bemerkt, dass die Sympathien für den Internierungsgedanken mancherorts zurückgehen werden, wenn an Stelle von Hotels, in denen die Internierten untergebracht werden, Baracken treten würden.
Diese Unterbringungsart würde es auch mit sich bringen, dass zur Bewachung der Lager und zur Aufrechterhaltung der Disziplin schweizerische Truppen aufgeboten werden müssten, was mancherorts Bedenken erregen dürfte.
Von den Schwierigkeiten der Durchführung mit Rücksicht auf den Nachweis des vorgeschriebenen Kinderbesitzes und auf das Recht auf Internierung nach Ablauf von 18 Monaten Gefangenschaft sei nicht gesprochen, da diese Schwierigkeiten in erster Linie die die Gefangenen abgebenden Staaten betreffen. Dagegen darf angedeutet werden, dass, falls die Internierung dieser Kategorie von Gefangenen grosse Zahlen erreichen sollte, das auch vom militärischen Standpunkt aus nicht unbedenklich erscheint, da es sich ja um lauter wehrfähige Männer handelt.
Vor allem ist es nun aber die mit Wahrscheinlichkeit zu gewärtigende Zahl der Internierten, die von der Idee abschreckt. Selbst wenn man die niedrigsten Schätzungszahlen annimmt, die genannt worden sind, werden es viele Tausende auf jeder Seite sein. Das könnte nun aber das andere Internierungswerk gefährden. Es sind heute beinahe 19000 Internierte in der Schweiz; im Laufe des Herbstes wird nochmals eine Nachschau in den verschiedenen Ländern durchgeführt werden, welche, mit Rücksicht auf die blutigen Schlachten der letzten Monate und voraussichtlich auch der nächsten, eine reiche Ernte ergeben wird, so dass auf Ende des Jahres mit 25000 Internierten gerechnet werden kann. Wenn Italien und Österreich sich auf eine entsprechende Konvention einigen sollten, was bisher noch nicht gelang, aber doch möglich, ja wahrscheinlich ist, so wird sich die Schweiz selbstverständlich der Aufgabe, sie unter gleichen Bedingungen wie die Franzosen, Belgier, Engländer und Deutschen zu internieren, nicht entziehen können und wollen, so dass auch hier wieder neuer Zuwachs zu gewärtigen ist. Und damit ist, wenn der Krieg das nächste Jahr fortdauert, die Aufgabe der Schweiz nicht abgeschlossen.
Damit gelangt man dann aber auf Zahlen, bezüglich welcher die Schweiz gezwungen sein wird, zu erklären, dass nun ihre Leistungsfähigkeit erschöpft sei. Man denke nur an die Schwierigkeiten der Lebensmittelversorgung, wenn auch zuzugeben ist, dass man ja der Schweiz wohl in der Beschaffung der Lebensmittel für die Kriegsgefangenen niemals Schwierigkeiten machen wird. Die Aufgabe der Internierung, die die Schweiz übernommen hat, soll in dem Rahmen, wie sie übernommen wurde, möglichst gut gelöst werden, aber es geht nicht an, an eine neue Aufgabe heranzutreten, die die Lösung der ersteren gefährden oder verunmöglichen könnte.
Diese Erwägungen würden dazu führen, das Ansuchen der französischen Regierung ohne weiteres ablehnend zu beantworten. Speziell aber mit Rücksicht darauf, dass die französische Regierung dem Projekte aus politischen Rücksichten grosse Bedeutung beizulegen scheint, ist es angezeigt, nicht eine schroff und definitiv ablehnende Antwort zu geben, sondern sich darauf zu beschränken, unpräjudizierlich der definitiven Stellungnahme sich bereit zu erklären, die Anregung zum Gegenstände einer einlässlichen Untersuchung zu machen.
Es wird daher beschlossen, die Note der französischen Regierung gemäss dem Entwürfe des Politischen Departementes zu beantworten3, wobei auf die Bemerkung in der Note Frankreichs, dass die Ziffer der Gefangenen, die der Wohltat teilhaftig würden, zurzeit nicht angegeben werden könne, Bezug genommen werden soll.
- 1
- E 1004 1/263. Était absent: F. Calonder.↩
- 2
- Non reproduit. Cf. E 27, Archiv-Nr. 13969/1.↩
- 3
- Cf. no 211.↩
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