Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 189
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1174* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 494 | |
Dossier title | Washington, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Sozialberichte, Band 33 (1916–1916) | |
File reference archive | 186 |
dodis.ch/43464
Auf Ihr Kabel vom 16. Juni.2 habe ich am 20. Juni.3, ebenfalls chiffriert, geantwortet.
Als ich gestern, wegen der mexikanischen Situation, auf dem Staatsdepartemente vorsprach, fragte ich ganz beiläufig, ob kürzlich erschienene Zeitungsartikel, welche von kommendem europäischen Frieden sprechen (Beilage), vom Staatsdepartement inspiriert worden seien. Dies wurde energisch verneint. Präsident Wilson sehe den Moment noch nicht gekommen, um seine guten Dienste anzubieten.
Von meinen Kollegen sind die meisten schon von Washington weg, in ihre Sommerresidenzen gezogen. Immerhin habe ich in den letzten Tagen mit dem spanischen Botschafter und dem holländischen Gesandten sprechen können.
Ersterer hat, wie alle Neutralen, der hiesigen Regierung mehrfach mitgeteilt, dass sein Souverän bei etwaigen Friedensschritten gerne mitzumachen bereit sei. Man hat ihm höflich gedankt und ist niemals auf die Sache zurückgekommen.
Der holländische Gesandte, C. van Rappard, ist weitergegangen. Er versuchte, resultatlos, die Presse dahin zu beeinflussen, Artikel zu schreiben in dem Sinne, dass Wilson einen Aufruf an die Kriegführenden erlassen solle, Friedensdelegaten nach dem Haag zu senden. Ich nehme an, dass Rappard ähnliche Vorschläge auch dem Staatsdepartement unterbreitet hat. Jedenfalls weiss ich, dass er kürzlich den Privatsekretär des Präsidenten, Mr. Tumulty, eigens darum zum Essen eingeladen hat, um ihm, zwecks direkter Weiterleitung an Wilson, diesen Plan auseinanderzusetzen.
Die Idee meines Kollegen, für welche er, wie er mir sagte, aus eigener Initiative und ohne Auftrag, ja sogar ohne Wissen seiner Regierung arbeitet, hat vieles für sich.
Der Vermittler müsste eine Aufforderung an alle Kriegführenden erlassen, dahinlautend, sich zwecks Vorlegung von Friedensvorschlägen, gleichgültig welcher Art, an einem bestimmten Orte vertreten zu lassen. Gleichzeitig sollte, entgegen der diplomatischen Etikette, der Wortlaut dieser Aufforderung der ganzen Welt bekanntgegeben werden, so dass das grosse Volk imstande wäre, wenn nötig einen Druck auf widerspenstige Regierungen auszuüben. Während der Verhandlungen müsste Waffenstillstand eintreten.
Zu solchem Unterfangen braucht es einen wirklich grossen Mann, dem es gleichgültig ist, bei Fehlschlagen des Planes Spott zu ernten. Beim Gelingen wäre Weltruhm sein Lohn.
Wilson ist, meines Erachtens, nicht dieser Mann. Er fürchtet sich, trotz grossen Ehrgeizes, nicht nur vor dem Misserfolge bzw. dem Spott, sondern hauptsächlich davor, dass ein grosser Teil der amerikanischen Bevölkerung, welcher sich jetzt durch Kriegslieferungen bereichert, sein Einmischen übelnehmen würde. Dass er also irgendeinen Schritt vor den Novemberwahlen tun wird, ist unwahrscheinlich. Ob Wilson als Vermittler den Zentralmächten überhaupt genehm sein wird, ist eine offene Frage. Auch sein Verhältnis zu Grossbritannien ist heute nicht mehr so gut, wie es noch vor wenigen Wochen gewesen.
Wäre es nicht möglich, dass unser Bundespräsident diesen Schritt unternimmt, welchen ihm die ganze Welt, selbst wenn er fehlschlagen sollte, hoch anrechnen würde? Durch die grossen philanthropischen Taten, welche die Schweiz seit Kriegsbeginn vollbracht, sind aller Augen längst in Bewunderung auf unser Land gerichtet!
Der zweite Teil meines gestrigen Kabels sprach von der drohenden Möglichkeit eines Krieges mit Mexiko. Ob ein solcher beginnt, werden die nächsten Tage entscheiden. Bejahendenfalls dürfte Wilson alsdann als europäischer Friedensvermittler kaum mehr in Betracht kommen.
100000 Mann der Nationalgarde aus allen Einzelstaaten sind schon vorgestern aufgeboten worden, um im Notfälle an die Grenze gesandt zu werden, damit die jetzt dort liegenden regulären Truppen ins Innere von Mexiko weitergesandt werden können. Nach bisheriger Gesetzensinterpretation wären diese Milizen nur auf dem Gebiete der Vereinigten Staaten zu verwenden; schon trachtet aber der Kongress, deren Verwendung auch ausser Landes zu ermöglichen. Die Miliztruppen werden nun während einiger Wochen in ihren respektiven Staaten gedrillt, denn wohl ein Drittel dieser Bürgergarde ist überhaupt noch niemals früher zu irgendeiner Übung einberufen worden. Ganze Regimenter sind daher heute noch ohne Waffen und Uniformen. In erster Linie würden wohl die Mannschaften aus den östlichen Staaten, New York, Pennsylvanien, Distrikt Columbia etc., wo bereits einigermassen geregelte Militärverhältnisse bestehen, verwendet werden. Gegenüber anderen Staaten wird man langsam vorgehen müssen, auch das sich nicht so traurige Szenen wiederholen wie vor 14 Tagen beim Aufgebot der Nationalgarde des Staates Texas, wo einfach alles fehlte, von der Disziplin bis zu den Schuhen.
Es ist heute unmöglich vorauszusagen, was die nächste Zukunft bringen wird. Gestern ist neuerdings eine lange Note an Carranza abgegangen (Beilage), durch welche man angeblich hofft, den Krieg vermeiden zu können.
Aber was kommen muss, wird kommen! Der grosse amerikanische Wasserweg in Panama hat erst dann vollen Wert für die Vereinigten Staaten, wenn ihre Grenzen sich bis an den Kanal ausdehnen. Wenn auch die Vereinigten Staaten jetzt militärisch schlecht vorbereitet sind, so haben sie doch reichlich Mittel und Zeit, alles nachzuholen, und Carranza muss sehr wohl wissen, dass sein Kampf gegen die Vereinigten Staaten auf die Dauer aussichtslos ist.
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