Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 185
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E27#1000/721#13561* | |
Old classification | CH-BAR E 27(-)1000/721 2807 | |
Dossier title | Zusammenarbeit zwischen der schweizerischen und französischen Armee bei einem deutschen Angriff auf die Schweiz (1916–1918) | |
File reference archive | 06.H.3.e.2 |
dodis.ch/43460 Le Général U. Wille au Chef du Département politique, A, Hoffmann1
Ich habe gleich nach unserer Unterredung vom 24. Mai den Generalstabschef veranlasst, den Herrn Pageot zu sich einzuladen und dabei ausdrücklich anzugeben, dass ich ihn dazu beauftragt hätte. Ich hoffe damit dem von Ihnen gefürchteten Eindruck meiner dilatorischen Antwort an Pageot vorgebeugt zu haben.
Da die Politik nicht meines Amtes ist und ich mich mit der Wahrung unserer Neutralität nur soweit zu befassen habe, wie das Heer dafür notwendig ist, und da dies im vorliegenden Falle, obgleich es sich nur um militärische Abmachungen handelt, nicht ganz zutrifft, so habe ich mich sofort Ihrem Wunsch unterzogen und, wie erwähnt, den Generalstabschef beauftragt, zu weiteren Verhandlungen den Herrn Pageot zu sich kommen zu lassen.
Zum Schluss unserer Unterredung habe ich Ihnen erklärt, dass Oberstkorpskommandant von Sprecher da eine sehr schwere Aufgabe erhalte und ich vorher mit ihm des eingehendsten’darüber sprechen werde. Es sei gestattet, Ihnen das darzulegen.
Als vor ungefähr drei Wochen der Herr Pageot auf dem Generalstab erschien mit der Behauptung, Deutschland plane, durch unser Gebiet die französische Flanke zu gewinnen, war die selbstverständliche Antwort darauf die Frage, wie sich Frankreich dann verhalten werden, ob wir dann auf ein Kooperieren mit der französischen Armee rechnen könnten. Zu dieser Frage, in der die Erklärung der Bereitwilligkeit lag, in diesem Fall mit Frankreich gemeinsame Sache zu machen, waren wir berechtigt und verpflichtet; es lag darin nichts, was uns von der ändern Seite als Aufgeben der strikten, unbefangenen Neutralität und was uns von der Bundesversammlung als Verletzung des Eides, die Neutralität unseres Landes zu wahren, zum Vorwurf gemacht werden könnte.
Als auf diese Anfrage die zustimmende Antwort von Frankreich erfolgte, musste aber die Sache solange, bis Deutschland tatsächlich Miene machte, unsere Neutralität zu verletzen, gänzlich ruhen gelassen werden. Wenn wir jetzt auf irgendwelche weiteren Verhandlungen, die die Ausführung näher präzisieren, die die beiderseitigen Rechte und Pflichten festsetzen etc. etc., eintreten, so verletzen wir dadurch unsere Pflicht unbefangen strikter Neutralität; wir treten dadurch zu diesem Nachbar in ein besonderes Freundschafts- und Vertrauensverhältnis, das in der Folge die unheilvollsten Komplikationen für unser Land nicht bloss haben kann, sondern ganz sicher auch haben wird. Daran ändert gar nichts, dass wir das nicht wollen und dass wir glauben, wir dürften, ohne Gefahr für uns, uns mit dem einen Nachbar in nähere Abmachungen einlassen, bevor uns direkte Gefahr vom ändern droht, oder dass wir sogar glauben, wir könnten dadurch unsere allgemeine Situation verbessern.
Mit diesen Darlegungen stehe ich in voller Übereinstimmung mit dem, was ich bei Übernahme des Kommandos als meine Auffassung meiner Aufgabe vorgelegt habe.
Der Besuch des Herrn Pageot, bei welchem er um die Bezeichnung der zwei Delegierten für die nähern Besprechungen bat, hatte offensichtlich den Zweck, das herbeizuführen, worauf wir im Interesse unserer Unabhängigkeit und Würde, und sogar im Interesse unserer staatlichen Existenz, nicht eintreten dürfen und auf das durch die uns bereiteten Einfuhrschwierigkeiten und durch die Hatz in der welschen Schweiz hingearbeitet wird. Wir sollen in absolute Abhängigkeit, oder euphemistisch ausgedrückt, in innige Interessengemeinschaft mit den Entente-Mächten gebracht werden.
Es ist dies nichts anderes, als was seit Beginn des Krieges mit mehr oder weniger gutem Erfolg gegenüber allen kleinen und mittleren Staaten unternommen wurde. Bei uns kommt noch ein besonderer Grund und ein besonderer Zweck hinzu. Die Schweiz ist seit Ausgang des Mittelalters immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Frankreich gestanden; dieses Verhältnis aufrechtzuerhalten, gehört zu den Überlieferungen der französischen Diplomatie, welches auch die augenblickliche Regierungsform ist. Erst in neuerer Zeit hat dieses Verhältnis aufgehört, nicht etwa weil die französische Regierung anfmg, ihre traditionelle Politik gegenüber unserem Lande zu vernachlässigen, sondern weil unsere Bundesregierung gegenüber dem Föderalismus erstarkte und in Zusammenhang damit überhaupt mehr Selbstgefühl bekam und anfing, selbständige Politik zu betreiben. Eine starke Minderheit in unserem Lande war aber nie mit dem Abstreifen der französischen Oberherrschaft einverstanden, teils aus Rassenzusammengehörigkeitsgefühl, teils aber auch, weil sie meinte, dass sie sonst zur nichts bedeutenden Minderheit herabgedrückt würde, aus welchem Grunde ihre Anhänger auch Föderalisten «à outrance» sind und systematisch auf die Ohnmacht der Bundesregierung hinarbeiten!
Planvolle Arbeit zur Wiederaufrichtung der französischen Suprematie und zur Stärkung des Föderalismus hat schon lange vor dem Krieg ihren Anfang genommen; der Krieg, der die Rasseninstinkte aufrührte, viel Ungemach und Unzufriedenheit und nervöse Unrast verursachte, erschien nur als der geeignete Moment, um jetzt den Sieg zu erkämpfen. Planvoll und mit Energie ist auf dieses Ziel hingearbeitet worden. Kein vernünftiger und ehrlicher Mensch kann sich dem frommen Wahn hingeben, die Oberstenaffäre sei aus einem ändern Motive, als nur um die Macht in die Hände zu bekommen, lanciert worden! Ob Frankreich bei allem die Hand mit im Spiele hatte, wie viele behaupten, ist ganz gleichgültig, um richtig zu beurteilen, dass heute Frankreich offen auf den Plan tritt. Es kann gar nicht verkannt werden, dass je vollkommener wir auf das eingehen, was der Besuch des Militärattaches Pageot bei mir bezweckte, desto vollkommener auch die Opposition gegen Bundesrat und Armeeleitung zum Verschwinden zu bringen ist. Frankreich tritt jetzt gewissermassen als Retter aus unserer schweren innerpolitischen Situation auf. Wenn ich auch gerne annehmen will, dass Frankreich keinerlei Anteil hatte an der Aufregung des Rassenhasses in unserem Lande und an der aus dieser emporgewachsenen Hatz gegen Bundesrat und Armeeleitung, so scheint mir doch zweifellos, dass sein jetziges Eingreifen planvoll vorbereitet worden ist. Während der grossen Hatz, in der der Armeeleitung Landesverrat zugunsten des Gegners Frankreichs und dem Bundesrat schwächliche Nachsicht gegenüber diesem Treiben vorgeworfen wurde, überraschte das offizielle Frankreich durch ganz besonders hervortretendes Wohlwollen gegenüber unserer Regierung und gegenüber unserer Armeeleitung. Es wurde bei jedem Anlass uns versichert und bewiesen, dass Frankreich unseres Landes aufrichtiger Freund sei und voll rückhaltlosem Vertrauen in die Loyalität nicht bloss des Bundesrates, sondern auch aller an der Spitze der Armee stehenden Personen. Mit solchen überschwenglichen Versicherungen begann auch der Herr Pageot seine Unterredung vom 24. Mai mit mir.
Es ist gar nicht zu leugnen, dass der Moment, um uns wieder in das alte Abhängigkeitsverhältnis zu bringen, gut gewählt war. Auf der einen Seite unsere Einfuhrschwierigkeiten und auf der ändern Seite unsere innerpolitischen Zustände. Den schweren Sorgen wegen dem einen wie dem ändern ist mit einem Schlage abgeholfen, sobald der Herr Pageot seiner Regierung melden kann: es ist eine Verständigung mit der schweizerischen Armeeleitung erfolgt, die ein Defensivbündnis ist und aus der mühelos sich das weitere entwickeln wird. Es fragt sich nur, ob das im Interesse unseres Landes liegt. Das muss nüchtern und unbeeinflusst von persönlicher Sympathie und dem Vorteil des Augenblicks erwogen werden.
Wenn zweifellos am Schluss des Krieges das erreicht ist, wofür England diesen Krieg von langer Hand durch seine Einkreisungspolitik vorbereitet und herbeigeführt hat: die wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands, dann kann es vielleicht ganz vorteilhaft sein, wenn wir uns jetzt schon der Entente in die Arme werfen; nur müssen wir das klug einrichten, damit wir nicht gleich Belgien, Serbien und Montenegro dafür während des Krieges büssen müssen.
Aber einstweilen hat es nicht den Anschein, dass das englische Kriegsziel je erreicht werden könnte, und ganz zweifellos ist, dass wenn es auch bis zu einem gewissen Grad erreicht werden könnte, Deutschland doch nach relativ kurzer Zeit sich wirtschaftlich wieder erholt haben wird und dann auch wieder als Militärmacht gerade so gross dastehen wird wie jetzt.
Im übrigen ist das Ziel der Hatz, die den jetzigen traurigen Zustand in unserem Lande wohlüberlegt herbeigeführt hat, nicht allein nur die Suprematie Frankreichs, sondern überhaupt die Ohnmacht der Bundesregierung. Föderalismus in höchster Potenz, so wie ihn diese Leute herbeiführen wollen, ist gleichbedeutend mit der Vernichtung unseres Staates.
Es ist daher selbstverständlich, dass in gar keiner Richtung auf das eingetreten werden darf, was durch die von Frankreich gewünschte Besprechung herbeigeführt werden soll, und es denkt ja auch gar niemand daran. Der Herr Generalstabschef kann im wesentlichen gar nichts anderes antworten, als was ich dem Herrn Pageot schon gesagt habe: Unsere aufrichtige Dankbarkeit für die Bereitwilligkeit, uns zu Hilfe zu kommen, sobald wir um diese Hilfe ansuchen, wenn Deutschland in unser Land einmarschiert. In der Hauptsache wird diese Hilfe darin zu erblicken sein, dass die Franzosen auf ihrer Seite unserer Grenze sofort energisch die Offensive aufnehmen, das entlastet uns am ehesten. Weitere Stipulationen sind einstweilen zwecklos, zu diesen ist reichlich genügend Zeit, wenn die Sache aktuelle Bedeutung bekommt, was einstweilen nicht gefürchtet zu werden braucht. Einstweilen berechtigt nichts zu der Annahme, Deutschland werde nicht ganz gleich wie Frankreich mit der grössten Gewissenhaftigkeit unsere Neutralität und staatliche Unabhängigkeit respektieren.
Ich bin der Ansicht, man soll die französischen Delegierten darlegen lassen, was der französische Generalstab meint und will. Denn je offener er seine Gedanken und Pläne darlegt, desto bestimmter muss er sich auch darüber äussern, was er von uns erwartet und was er uns dafür bietet, desto mehr nehmen die Abmachungen den Charakter der Verständigung über ein Defensivbündnis an. Je mehr man Frankreich veranlasst, sich auszusprechen, desto schwerer ist schliesslich, keinerlei Verpflichtungen (wenn auch nur mündlich) einzugehen und es doch fertigzubringen, dass die Abgesandten nicht mit sehr erkalteter Freundschaft für uns abreisen.
Wir sind nicht gross und stark genug, dass uns gleichgültig sein kann, wenn die mit den besten Absichten hieher gekommenen Abgesandten unseres grossen Nachbars durch unsere abweisende Kälte verärgert wieder zurückkehren, und noch viel weniger dürfen wir uns erlauben, mit Machiavellischer Moral mit unseren Nachbarn zu verkehren.
Der Herr Generalstabschef hat da eine sehr schwere Aufgabe, zwischen Scylla und Charybdis durchzukommen; damit, dass nichts schriftlich niedergelegt wird, ist den Gefahren dieser Unterhaltung nicht vorgebeugt.
Ich habe den Herrn Generalstabschef von meiner vorstehend dargelegten Auffassung des genauesten unterrichtet und hoffe, dass es ihm gelingt, Frankreich nicht böse zu machen und doch nicht zu verabreden und zuzugestehen, was von uns erwartet wird.
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- Lettre (Copie): E 27, Archiv-Nr. 13 561. Note manuscrite du général U. Wille en tête du document: Dem Herrn Generalstabschef zur Kenntnisnahme. Ich bitte nochmals die grösste Vorsicht bei der Unterhaltung zu beobachten, nichts Positives zuzugestehen, von allgemeinen Redensarten, nichts, was den Charakter eines Plans des Zusammenoperierens trägt. Was ich in diesem Memorial als Endziel dargelegt habe, ist ganz gewiss richtig, auch wenn das, was ich über die Genesis gesagt, unrichtig ist. Le Chef de l'Etat-Major Général de l’Armés suisse, Th. v. Sprecher, ajoute dans une note: Der grundlegende Irrtum dieser Darstellung ist, dass Pageot nicht an mich herangetreten ist mit dem Angebot der Hilfe, sondern mir von einer Ansammlung deutscher Truppen gesprochen hat. Die Besprechung betr. eventueller Hilfe ging, nachdem ich dem General davon gesprochen hatte, von mir aus. Bundesrat Hoffmann hat mir dann erklärt, Frankreich sei daraufhin gleich viel entgegenkommender geworden. Pageot hat in Eröffnung, wie ich nicht anderer Annahme, sofort Decoppet mitgeteilt.↩
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