Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
10. Italien
10.1. Allgemeine Beziehungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 397
volume linkBern 1983
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#10623* | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 03.02.-05.02.1914 (1914–1914) |
dodis.ch/43252 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 3. Februar 19141 489. Italienische Polizeiagenten in der Schweiz
Mit Schreiben vom 20. Dezember 1913 übermittelte der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt dem Bundesrate die Abschrift eines Berichtes des bei der dortigen Polizeiverwaltung angestellten Detektivs Vollenweider, vom 14. gleichen Monats, wonach die italienische Regierung in der Schweiz einen Dienst zur Überwachung der hier wohnenden Anarchisten organisiert. Nach der Angabe Vollenweiders ist er von einem Beamten des italienischen Konsulates in Basel, Herrn Borelli, zur Mitwirkung an dieser Überwachung, gegen eine monatliche Entschädigung von Fr. 60 bis 80, eingeladen worden, mit dem Bemerken, dass in ändern Kantonen bereits Polizeibeamte für diesen Dienst gewonnen seien. Später sei er von Borelli ersucht worden, behufs Regelung der Angelegenheit mit dem Organisator des Dienstes auf das Konsulat zu kommen; dieser Einladung habe er, Vollenweider, nach einer Besprechung mit seinem Vorgesetzten, Herrn Polizeiinspektor Müller, nicht Folge geleistet.
Gegen die Einrichtung eines derartigen Überwachungsdienstes von Seite Italiens und gegen das Verhalten des Konsulatsbeamten Borelli protestiert nun die baselstädtische Regierung in ihrem Schreiben, im fernem bemerkt sie am Schlüsse desselben:
«Es wird zu prüfen sein, ob Borelli nicht wegen versuchter Bestechung dem Strafrichter zu verzeigen sei, und wir ersuchen Sie, sich darüber auszusprechen, ob eine Strafverfolgung von der Bundesbehörde veranlasst werden müsse. Jedenfalls bitten wir aber, auf geeignete Weise dafür zu sorgen, dass solche Vorkommnisse inskünftig unterbleiben.»
Das Justiz- und Polizeidepartement, das vom Politischen Departement um einen Bericht der Bundesanwaltschaft ersucht worden war, legte am 31. Dezember 1913 folgende Anträge vor:
1. Es sei der italienischen Regierung von den durch den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt berichteten Vorkommnissen Kenntnis zu geben mit dem Bemerken, dass eine direkte Ausübung polizeilicher Funktionen durch Organe italienischer Behörden auf Schweizerboden nicht geduldet werden könne, und mit dem Ersuchen, für Abstellung solcher Missbräuche besorgt zu sein.
2. Es sei das Justiz- und Polizeidepartement einzuladen, die kantonalen Polizeidirektionen darauf aufmerksam zu machen, dass von den italienischen Behörden aus versucht werde, eine Überwachung der in der Schweiz lebenden italienischen Anarchisten zu organisieren und dafür die Mithülfe schweizerischer Polizeibeamter zu erlangen; die kantonalen Behörden seien zu ersuchen, den Bundesanwalt zu benachrichtigen, wenn eine derartige Tätigkeit von Ausländern zu ihrer Kenntnis gelange.
3. Es sei der Regierung des Kantons Basel-Stadt von diesen Massnahmen Mitteilung zu machen mit dem Beifügen, dass kein Grund zur Anwendung des Bundesstrafrechtes vorliege, sondern dass es den kantonalen Behörden überlassen werden müsse, zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob wegen der versuchten Bestechung eines kantonalen Polizeibeamten gegen den Sekretär des italienischen Konsulates strafrechtlich einzuschreiten sei.
Als Ergänzung zu dieser Miteilung erhielt das Politische Departement ausserdem einen ausführlichen Bericht der Bundesanwaltschaft vom 16. Januar laufenden Jahres2 über die Entstehung und Tätigkeit der politischen Polizei und das bisherige Verhalten der italienischen Vertreter in der Schweiz und der italienischen Polizeibehörden in Sachen der Anarchistenüberwachung.
Den Ausführungen der Bundesanwaltschaft ist zu entnehmen, dass im Ganzen genommen gegen das Verhalten der italienischen Polizeibehörden in Sachen der Anarchistenüberwachung nichts einzuwenden ist, dass aber, nach verschiedenen Indizien zu urteilen, eine gewisse Einmischung der Konsulate als nicht ausgeschlossen erscheint. In dieser Richtung ist namentlich, ausser den direkten Anträgen des Herrn Borelli an Detektiv Vollenweider in Basel, besonders gravierend, was dieser Borelli über die in ändern Kantonen schon eingerichteten Beziehungen von Polizeibeamten zu italienischen Konsulaten ausgesagt hat.
Trotzdem erachtet es das Politische Departement nicht für angezeigt, jetzt schon nach den Vorschlägen der Bundesanwaltschaft vorzugehen, da sie geeignet wären, ein Aufsehen zu erregen, welches im Interesse der guten Beziehungen zu Italien besser vermieden würde. Vor allem hat es Bedenken, in einem Kreisschreiben an die Kantone zu gelangen und sie wegen der versuchten Überwachung der italienischen Anarchisten durch italienische Behörden zu mobilisieren. Damit würde zweifellos die ganze Frage der Aufsicht über die Anarchisten und die politische Polizei aufgerollt; dies in einem Zeitpunkte zu tun, in welchem es möglich ist, der polizeilichen Tätigkeit der italienischen Konsuln und ihrer Organe durch eine unauffällige Reklamation beim italienischen Minister entgegenzutreten, dürfte nicht angemessen sein.
Es wird demgemäss beschlossen:
1. Das Politische Departement wird beauftragt, den italienischen Gesandten zu bitten, beim Herrn Bundespräsidenten vorzusprechen. Bei dieser Audienz ist dem Herrn Minister nahe zu legen, er möge im Allgemeinen dafür sorgen, dass die polizeiliche Tätigkeit der Konsuln in Sachen der Anarchistenüberwachung sistiert werde, namentlich aber ist er auf das ungehörige Verhalten des Herrn Borelli aufmerksam zu machen, der es nicht gescheut habe, einen Polizeibeamten unter Anerbietung einer Geldbelohnung für seine Zwecke zu gewinnen zu suchen.
2. Das Politische Departement wird der Regierung von Basel-Stadt mitteilen, dass der Bundesrat Massregeln getroffen habe, um den gerügten Vorgängen entgegenzutreten. Zu gerichtlichen Schritten gegen Herrn Borelli sehe er sich schon deshalb nicht veranlasst, weil kein Grund zur Anwendung des Bundesstrafrechtes vorliege. Es müsse den kantonalen Behörden überlassen werden, zu prüfen, ob auf Grund kantonalen Rechtes wegen versuchter Bestechung eines kantonalen Polizeibeamten gegen Borelli vorgegangen werden solle.
3. Von einem Kreisschreiben an die Kantone wird - für einmal - abgesehen.