dodis.ch/43217
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 5. April 1913
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1673. Anerkennung der chinesischen Republik
Politisches Departement. Antrag vom 4. April 1913
Herrn Bundesrat Forrer ist am 25. vorigen Monats von dem ihm persönlich bekannten derzeitigen chinesischen Minister des Äussern, Liou Tseng Tsiang, das nachfolgende Telegramm zugegangen, das als Gesuch um Anerkennung der chinesischen Republik durch den Bundesrat aufzufassen ist:
«Par suite de la récente déclaration de M. Wilson, la question de la reconnaissance de la République chinoise revit aux Etats-Unis; je suis convaincu que la Suisse, la plus ancienne République du monde, n’est pas indifférente au sort de sa plus jeune cadette, et je ne doute pas qu’elle s’intéresse, elle aussi, à ce mouvement qui se dessine dans le monde en notre faveur; puis-je compter sur votre influence personnelle pour sonder les dispositions du Conseil fédéral à notre égard? Merci d’avance pour une réponse favorable2.
Liou Tseng Tsiang, Ministre des Affaires Etrangères.»
Die Frage der Anerkennung der chinesischen Republik wurde bereits voriges Jahr vom politischen Departement eingehend geprüft, in Anbetracht der Vorteile wirtschaftlicher Natur, die sich für die Schweiz als ersten anerkennenden Staat erwarten Hessen. Es wurde jedoch davon Abstand genommen, dem Bundesrate einen diesbezüglichen Antrag zu unterbreiten, und zwar vornehmlich aus folgenden Erwägungen:
1. China hatte ein Anerkennungsbegehren gar nicht gestellt.
2. Die innere politische Lage Chinas und mithin die Stabilität der Republik schien damals noch unsicher.
3. Die Schweiz, die in China nicht vertreten ist und deren Landsleute Schutzgenossen dritter Mächte sind, konnte kaum in der Sache absolut selbständig vorgehen.
Nun hat sich die Lage nach diesen verschiedenen Richtungen geändert.
Der Bundesrat wird um Anerkennung ersucht.
Die republikanische Staatsform hat sich in China bereits eingelebt, und am 7. April nächsthin wird die Nationalversammlung den definitiven Präsidenten der Republik wählen.
Auf Anfrage, wie es sich mit der von der Regierung der Vereinigten Staaten in Aussicht gestellten Anerkennung verhält, teilt die Gesandtschaft in Washington heute telegraphisch mit3, Präsident Wilson werde die chinesische Republik am 8. April, also am Tage nach der Präsidentenwahl, formell anerkennen, und er hoffe, andere Mächte würden das Gleiche tun.
Bei dieser Sachlage glaubt das Politische Departement, dass der Bundesrat dem Beispiel der Vereinigten Staaten folgen darf und soll. Es können der Schweiz hieraus nur Vorteile erwachsen. Diese Ansicht wird auch vom schweizerischen Handelsagenten in Shanghai, Herrn Winteler, der kürzlich in Peking war und das Gesuch Liou Tseng Tsiang’s telegraphisch unterstützt, geteilt4.
Es wird demgemäss beschlossen:
Das Politische Departement wird ermächtigt, am 8. April an den chinesischen Minister der Auswärtigen Angelegenheiten folgendes Telegramm zu richten:
«Conseil fédéral suisse déclare reconnaître République chinoise et forme les vœux les plus chaleureux pour son avenir et sa prospérité. Au nom du Conseil fédéral. Le Président de la Confédération.»