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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 320
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E22#1000/134#934* | |
Dossier title | BG vom 26.3.1914 über die Organisation der Bundesverwaltung (1904–1914) | |
File reference archive | 3.5.1 |
dodis.ch/43175
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Die jetzige Organisation der Bundesverwaltung in Bezug auf die Beziehungen zum Ausland beruht auf dem Bundesbeschluss vom 28. Juni 1895 (welcher selbst hauptsächlich auf dem Bundesbeschluss vom 21. August 1878 basiert) und dem Bundesratsbeschluss vom 28. Dezember 1895. Es soll demnach «die in Ausführung bundesrätlicher Beschlüsse an auswärtige Regierungen und deren Vertreter sowie an die schweizerischen Gesandtschaften und Konsulate zu richtende Korrespondenz in der Regel vom Bundesrate ausgehen und vom Bundespräsidenten und dem Kanzler unterzeichnet sein, » daneben aber «können und sollen die Departemente in allen ihren Angelegenheiten d.h. in allen Geschäften, die der Bundesbeschluss vom 28. Juni 1895 ihnen zur Behandlung, Vorbereitung und Begutachtung zuweist, mit den schweizerischen Gesandtschaften und Konsulaten im Auslande direkt verkehren; sie werden jedoch das Politische Departement von allen Vorkommnissen, welche die Beziehungen der Schweiz zum Auslande irgendwie beeinflussen können, stets auf dem Laufenden halten.» Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass durch die erwähnte «Behandlung, Vorbereitung und Begutachtung» die Geschäfte bei ihrer definitiven Erledigung durch den Bundesrat meist schon stark präjudiziert sind. Ferners ist zu bemerken dass, in Praxi die aufgestellten Regeln nicht immer innegehalten worden sind; von den meisten Departementen wird das Politische Departement überhaupt nicht über die Beziehungen zum Auslande auf dem Laufenden gehalten oder erst dann, wenn es zu spät ist, um einzugreifen; es hat keinen Zweck uns eine Note zu unterbreiten, wenn sie schon abgegangen ist; es wäre mir beinahe lieber, wir hätten gar keine Kenntnis davon, denn die, wenn auch verspätete, Mitteilung erweckt wenigstens den Schein, als wären wir mitverantwortlich, was doch unmöglich der Fall sein kann, wenn wir erst nachträglich unsre Ansicht äussern können. Ich verweise hier z. B. auf die Verhandlungen betreffend den Abschluss des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrag vom 13. November 1909. Dass aber das Politische Departement berufen sein sollte, beim Verkehr der ändern Departemente mit dem Auslande (und zwar nicht nur bei Abschluss von Verträgen, sondern auch in vielen ändern Angelegenheiten) mitzuwirken, braucht nicht erst hier dargetan zu werden; es handelt sich oft nicht nur um Anwendungen von Gesetzen und feststehenden Regeln, sondern es spielen oft allerlei Opportunitätsrücksichten mit, über die nur unser Departement zu urteilen im Stande ist.
Von den meisten schweizerischen Gesandtschaften und Konsulaten wird das Politische Departement auch nicht über ihre Beziehungen zu ändern Departementen unterrichtet, so dass eine Kontrolle ihrer Tätigkeit durch unser Departement ausgeschlossen ist.
Wie ist nun diesem Übel abzuhelfen? Soll die Korrespondenz sämtlicher Departemente und der Bundeskanzlei mit unsern Vertretern im Auslande und den Vertretern fremder Regierungen in Bern durch uns vermittelt werden? Es scheint das auf den ersten Blick eine unnötige Komplikation, und doch ist kaum ein anderes Mittel vorhanden, um eine wirkliche Kontrolle auszuüben. Immerhin könnte noch näher geprüft werden, ob nicht gewisse Angelegenheiten im direkten Verkehr erledigt werden könnten; wir denken dabei namentlich an die der Bundeskanzlei im Bundesratsbeschluss vom 28. Dezember 1895 sub 4 zugewiesenen Materien (Erbschaften, Auskunftsgesuche) und an Auslieferungen bei denen keine prinzipiellen Fragen auftauchen u.a.m. Ich weiss wohl, dass die Überprüfung durch unser Departement eine Arbeitsvermehrung mit sich bringen wird und dass auch in sehr vielen Fällen uns die Rolle eines einfachen Briefschalters zukommen kann, doch ist dies das einzige Mittel eine richtige Kontrolle zu führen. Denn, wenn man es den Departementen überlässt, zu beurteilen, was sie uns unterbreiten sollen und was nicht, werden wir sehr bald gar nichts mehr oder nur Unwichtiges zugestellt erhalten. Es sollten uns eben dann die nötigen Hilfskräfte zur Verfügung gestellt werden, wobei aber nicht ausser Acht gelassen werden darf, dass sich viele einfache Transmissionen durch gedruckte Formulare erledigen lassen. Die Hauptmehrarbeit würde wohl auf den Departementssekretär fallen, doch werden wir zeigen, wie er andererseits wieder entlastet werden könnte. Wir würden meiner Ansicht nach benötigen:
1. Einen 2ten Adjunkten, welcher sich mit dem ersten Adjunkten in die Korrespondenz teilen würde, da der Departements-Sekretär durch das Studium aller ihm durch die Finger gehenden Akten, Berichterstattungen an den Departementsvorsteher und Erteilung von Instruktionen vollauf beschäftigt wäre.
2. Einen Kanzlisten als Gehilfen für das Naturalisationswesen. Herr Dr. Winkler hat jetzt einen guten Teil der Arbeit (Wiedereinbürgerungen und Optionen) an Herrn Fischbacher abgegeben, sodass dieser für die übrigen Departementsgeschäfte fast nichts mehr leisten kann; könnte er die Wiedereinbürgerungen etc. wieder abgeben, so könnten wir vielleicht ohne weiteren sonstigen Kanzlisten auskommen; die Naturalisationen und Wiedereinbürgerungen sind aber in letzter Zeit so zahlreich, dass sie Herr Dr. Winkler allein kaum bewältigen könnte. - Eine weitere Entlastung würde darin bestehen, dass gewisse im Bundesbeschluss vom 28. Juni 1895 dem Politischen Departement zugewiesene Geschäftszweige anderen Amtsstellen zur Behandlung übertragen würden. Wir denken dabei an die im Bundesbeschluss Art. 1 sub Art. 23 des B.B. vom 21. August 1878 unter Ziffer 2, 11 und 12 erwähnten Geschäfte, nämlich:
Zif. 2: Die Aufrechterhaltung der Ruhe und öffentlichen Ordnung im Innern.
Es ist nicht einzusehen, warum unser Departement sich damit beschäftigen soll; wir sind durch unsre Tätigkeit nicht darauf vorbereitet, wie sollen wir mit Sachkenntnis handeln, wenn plötzlich Unruhen entstehen, wenn wir bis zu deren Ausbruch mit den Verhältnissen, die dazu Anlass geben, gar nicht vertraut waren, mit ihnen nichts zu schaffen hatten? Wir haben ja auch gar keine eigenen Organe zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, sondern müssen uns sowieso an das Justiz- und Polizeidepartement wenden, welches die Bundesanwaltschaft in Bewegung setzt, eventuell auch an das Militärdepartement; dieses Kapitel gehört doch entschieden zu den Attributionen des Justiz- und Polizeidepartements, natürlich unter Oberaufsicht des Bundesrates resp. des Bundespräsidenten. Die Zuteilung dieses Geschäftszweiges an unser Departement stammt aus einer Zeit, da keine Bundesanwaltschaft bestand und die ganze Bundesverwaltung überhaupt mehr in den Händen des Bundesrates und damit des Bundespräsidenten lag. (Vergl. Bundesgesetz vom 16. Mai 1849 Art. 12 sub 10 und Art. 23 sub e.) Warum könnte nicht bei einer neuen Verteilung gesagt werden, dem Justiz- und Polizeidepartement liege die Aufrechterhaltung der Ruhe und öffentlichen Ordnung im Innern «unter Oberaufsicht des Bundespräsidenten» ob? Das Justiz- und Polizeidepartement ist ja ohnehin schon nach dem B.B. vom 28. Juni 1895 mit der Überwachung der allseitigen Erfüllung der Bundesverfassung und der Bundesgesetze betraut.
Zif. 11: Die Organisation der eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen. Warum fällt dieses Kapitel in unsern Bereich? In Praxi werden alle diesbezüglichen Geschäfte von der Bundeskanzlei besorgt und das Politische Departement ist nur Vermittlungsstelle. Es scheint auch ganz richtig, dass die Bundeskanzlei, die das eigentliche Sekretariat des Bundesrates und der Bundesversammlung darstellt, hier das Nötige besorgt. Nun kann man sich fragen, wohin die Ausarbeitung der betreffenden Gesetze hingehört; in das Justiz-Departement oder in die Bundeskanzlei? Logisch wäre es vielleicht, diese Arbeit dem Justizdepartement zu übertragen; es trifft schon laut B.B. vom 28. Juni 1895 die «Verfügungen bezüglich der Handhabung der bundesmässigen Rechte des Volkes und der Bürger wie der Behörden» und ihm kommt im allgemeinen die «Bearbeitung der Bundesgesetze über civil- und strafrechtliche Materien» zu. Andrerseits ist nicht einzusehen, warum nicht auch die Bundeskanzlei sich einmal auf eine höhere Warte stellend legislatorisch schaffend auftreten sollte. Jedenfalls ist doch ein Departement, das sich sonst mit unsern Beziehungen zum Auslande befasst, weniger geeignet als das Justiz- und Polizeidepartement oder die Bundeskanzlei Gesetze auszuarbeiten über Proportionalwahlen, Gesetzesinitiative, obligatorisches Referendum, Wahlkreiseinteilung etc. etc.
Zif. 12: Die Grenz- und Gebietsverhältnisse der Kantone unter sich. Daraus, dass wir die Überwachung und Regulierung der Grenzverhältnisse zum Auslande übernehmen, kann doch unsre Kompetenz für Grenzverhältnisse im Innern nicht gefolgert werden. Das ist gewiss viel eher Sache des Departementes des Innern, dem schon die Strassen und Brücken, die Wasserbaupolizei, Flusskorrektionen und ähnliches unterstellt sind oder dann des Justiz- und Polizeidepartementes, wenn weniger Gewicht auf die technische Seite der Materie gelegt werden soll.
Es darf natürlich nicht ausser Acht gelassen werden, dass durch eine genauere Kontrolle aller unsrer Beziehungen zum Ausland nicht nur der Departementssekretär, sondern namentlich auch der Bundespräsident als Departementsvorsteher mehr belastet würde; ihm kämen also die vorerwähnten Abschiebungen gewisser Geschäftszweige an andre Departemente in dieser Beziehung auch zu gute, doch sollte noch untersucht werden, ob ihm nicht - ausser einigen dem Sekretär übertragenen kleineren Geschäften und Unterschriften - noch ein Teil der mehr mechanischen Arbeit abgenommen werden könnte. Ist es nicht viel verlangt, wenn jede Überweisung eines an den Bundesrat oder Bundespräsidenten gerichteten Briefes an das kompetente Departement vom Bundespräsidenten visiert werden muss; könnte nicht die Bundeskanzlei diese Überweisungen ganz besorgen? Es wäre gewiss eine Entlastung für den Bundespräsidenten und zugleich ein Zeitgewinn für die ganze Verwaltung. Unzukömmlichkeiten sind kaum zu erwarten und ich möchte bezweifeln, dass die Durchsicht der Überweisungen dem Bundespräsidenten einen Überblick über die Tätigkeit der ändern Departemente gewährt, da doch die meisten und wichtigsten Korrespondenzen direkt an sie gelangen und dagegen eine Unmasse Korrespondenzen über «minima» an den Bundesrat adressiert werden; hier sollte auch für den Bundespräsidenten der Satz gelten: «minima non curat praetor».